Helge Schneider:"Intelligent, aber schwach gebildet"

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Helge Schneider will Clown sein, kein Komiker. Er ist Gegenspieler von allem, was Mode ist - warum der Alleinunterhalter so erfolgreich ist.

Michael Ebert

(SZ vom 23.04.2003) Dresden - Das Konzert lief gut, jetzt sind wir unterwegs durch die Straßen, es ist weit nach Mitternacht, die Dresdener Neustadt liegt halb erloschen um uns. Zwei gehen in gesetztem Tempo, einer läuft krumm und quer, wird plötzlich schnell und wieder langsam, geht vor uns, hinter uns, rennt auf die andere Straßenseite, beschaut sich jedes Fenster, jede Auslage, findet an jedem Baum etwas Besonderes, an jedem Plakat etwas Bemerkenswertes. Er geht nicht nur auf dieser Straße, er nimmt sie in sich auf, die Hände tief im Parka vergraben, schaut mit großen Augen, neugierig wie ein kleiner Junge. Er redet viel, aber unterhält sich nicht mit anderen, sondern mit sich selbst. Helge Schneider, 47 Jahre alt, auf Tournee durch Deutschland: Spaßmacher, Quatschkanone, "singende Herrentorte" - und bestimmt der älteste kleine Junge der Welt. Ein unmöglicher Spaziergänger. Ein Einzelgänger. Ein komischer Mensch.

Helge Schneider demonstriert hier eine Bus-Haltestelle bei einer Probe zum Musical "Mendy - Das Wusical". Das Stück hatte am 17. April Premiere im Bochumer Schauspielhaus. Schneider hat den Text geschrieben, Musik komponiert und sich zum ersten Mal als Theaterregisseur in Szene gesetzt. (Foto: N/A)

Zur Strafe gibt es Jazz

Helge Schneiders Leben ist ein Gegenentwurf zu allem, was alltäglich ist, gewöhnlich und bürgerlich in dieser Welt. In der neunten Klasse hat man ihn vom Gymnasium geworfen, er hat vier Kinder von drei Frauen, er kauft sich einen Aston Martin nur für eine einzige Fahrt von seiner Heimatstadt Mülheim ins nahe gelegene Essen, kleidet sich wie ein verloren gegangener Hippie. Er ist der Gegenpol zu allem, was in Mode ist. Auf der Bühne spielt er Jazz statt Hitparaden-Musik, und wenn sich sein Publikum beschwert, weil es mehr Späße und weniger Jazz will - dann haut er noch fester in die Tasten und sagt gar nichts mehr. Strafjazz nennt er das.

Antipode der Kurzzeitstars

Er ist der Gegenspieler der idiotischen Feierabend-Komiker im Fernsehen, die ihre flüchtigen Kalauer mit Lachern vom Band garnieren. Er steht seit 30 Jahren auf der Bühne, macht Spaß und Musik, erzählt uns aus unserem Leben. Er ist ein Clown, etwas anderes kann er gar nicht, jeder andere Beruf würde ihn unglücklich machen oder verrückt. Er ist der Antipode der Kurzzeit-Superstars, des kurzlebigen Pop, der Geschwindigkeit der Welt. Trotzdem ist seine Tournee ausverkauft, das Album "Out Of Kaktus" verkauft sich gut, am Schauspielhaus Bochum hat er "Mendy - das Wusical" inszeniert, das gerade Premiere hatte, auf Pro 7 hatte er kürzlich die erste eigene Fernseh-Show, ein neues Buch ist in Planung und ein weiterer Kinofilm ebenfalls, Arbeitstitel: Jazzclub.

Lernen von Schneider

Vielleicht macht er ja alles richtig. Vielleicht ist ja das Leben leichter, wenn man alles ganz anders macht, wenn man ein bisschen verrückt ist? Vielleicht hat Helge Schneider noch immer so viele Fans, weil man von ihm in diesen Zeiten der Krise ein fröhlicheres Leben lernen kann?

Auf den zweiten Blick sieht es nicht so aus. Helge Schneider sitzt an der Theke der Jazz-Bar Blue Note in der Dresdener Neustadt, der letzten Bar, die noch offen hat. Er ist betrunken, nicht fröhlich, es ist drei Uhr, ein hübsches Mädchen mit blonden Haaren umgarnt ihn und er sie auch, aber nur ein bisschen. Er trinkt Bier vom Fass, und als Bing Crosby aus den Lautsprechern singt, singt Helge Schneider leise mit, aber nicht auf Englisch - gemeinsam mit Freund Willi übersetzt er Crosbys Text simultan ins Deutsche, kichert, weil nicht jeder seiner Reime Sinn ergibt, wie auch, um diese Zeit.

Mehr Spaß am Ernst des Lebens

Er trägt die Haare zu einem mächtigen Scheitel geföhnt, Jeans mit Schlag, eine Harley-Davidson-Lederjacke und einen Pullover aus hellblauem Nicki-Stoff. Wenn er sein Gesicht nicht mit Bühnengrimassen entstellt, sieht er überraschend gut aus, er ist klein und schlank und drahtig. Müde kratzt er sich den Vier-Tage-Bart, und die Blonde ist dann auch kein Thema mehr. Sein jüngster Sohn Henry ist erst ein Jahr und zwei Monate alt, und er hat Henry schon zu lange nicht mehr gesehen.

Wir reden über Jazz, das heißt: er redet. Vom Jazz ist es für ihn nur ein kleiner Schritt zum Gefühl. "Du musst obercool sein, um diese Musik spielen zu können", sagt er. "Beim Jazz geht es um Timing. Ich übe dieses Timing, seit ich lebe."

Aber wie passt das auf der Bühne zusammen, der Jazz und die Faxen, obercool und oberlustig, das geht doch kaum? "Es geht. Und je besser ich spiele, desto leichter ist es. Ich beweise den Menschen, dass man völlig bekloppt sein kann, völlig abgefahren. Und dann in der Fantasie ausbrechen kann aus allem Irdischen. Ich zeige auf der Bühne beides: Den Ernst des Lebens. Und den Spaß des Lebens. Dass man auch als Bekloppter eine beseelte Musik spielen kann, die Menschen mitreißen kann. Das ist meine Hauptaufgabe: Menschen mitreißen. Aus ihrem traurigen Leben reißen. In ein schöneres Leben mitreißen."

Intelligent, aber schwach gebildet

So wie es die Musik mit ihm gemacht hat. Während seine ältere Schwester 1968 mit rauchenden Ruhrpott-Existenzialisten herumhing, schwänzte der 15-jährige Helge Schneider das Gymnasium und verbrachte seine Zeit in Musikläden, lernte Klavier und Cello zu spielen. Er ging zum Tanzkaffee der Jungen Union und in die Beatschuppen der DKP, er wollte Musik machen und sonst nichts. "Ich hab einen IQ von 140. Oder 149? Ich glaube, ich bin ganz intelligent, aber eben nur schwach gebildet. In der Schule war das schlimm: In Geschichte nahmen wir den zweiten Weltkrieg durch und ich dachte, der dritte sei auch schon gewesen..." Während er die 9. Klasse wiederholte, flog er von der Schule, weil er die Entschuldigungsschreiben seiner Eltern gefälscht hatte. Er versuchte sich als Bauzeichner, Straßenfeger, Fließbandarbeiter, Landschaftsgärtner, bis ihm die Musik ein besseres Leben schenkte: Nach einer Sonderbegabten-Prüfung nahm das Duisburger Konservatorium den 17-Jährigen auf. Endlich hat er seinen Weg gefunden.

Und den geht er am liebsten alleine. Die Frauen verließen ihn oder er verließ sie. Wenn alle ins Kino gingen, blieb er zuhause. Wenn die Prominenz im Berliner Adlon wohnt, will er in ein anderes Hotel. Er ist kein einfacher Mensch. Der erste Eindruck: schroff, abweisend, obercool. Die meiste Zeit des Jahres ist er auf Tournee, jeden Tag in einer anderen Stadt, immer mit 2000 Menschen in einem Saal und doch nur bei sich. Allein. Ein Unterhalter. Ein Alleinunterhalter.

Die Kinder, die Frauen

Einst, als das Anderssein gerade in Mode war, hat man ihn zum Anführer der Spaßgesellschaft erklärt, weil sein Humor so absurd und sein Bühnenoutfit so abstrus war; weil er vom "Katzeklo" sang und Bücher schrieb, die "Zieh dich aus, du alte Hippe" hießen; weil er verrückte Kino-Filme machte wie "Texas". Hinter Schneider marschierte eine bunte Armee aus Wigald Bonings und Guildo Horns und blonden, singenden Ludern und Zlatkos und Menschen wie die sächsische Hausfrau Regina Zindler, deren Nachbarschaftsstreit ein gewisser Stefan Raab in ein Lied über einen Maschendrahtzaun einbaute. Was sinnlos und grell und laut und oft einfach nur blöd war, galt als lustig und verkaufte sich gut. Und einmal im Jahr trafen sich alle Spaß-Pappenheimer beim Grand Prix.

Der Beste von allen

Zeitgleich mit der New Economy verblasste auch die Spaß-Gesellschaft, für schlechte Witze war plötzlich kein Geld mehr da in Deutschland, und man schrieb auch Helge Schneider ab. Dabei hatte er mit den Witzfiguren der Spaßgesellschaft nie etwas zu tun - ausgerechnet er, der Einzelgänger, als Teil eines Ensembles? Er war nur einfach als erster da, und er war der beste von allen, also hatte man ihn vorangestellt. Helge Schneider hatte keine Werbeverträge, er braucht keine Gagschreiber und keine Lacher vom Band, er war auch nie beim Grand Prix. Die Einberufung in die Spaß-Truppe lehnte er ab: "Ich fühlte mich, als wollte man mir ein Kind anhängen von einer Frau, mit der ich nichts hatte. Die ich nicht einmal kenne."

Zumindest fanden ihn plötzlich alle komisch, nachdem er jahrelang erfolglos durchs Land getingelt war: 1993 sang ganz Deutschland "Es gibt Reis, Baby", im Kino lief "Texas", ein Jahr später folgten der Party-Hit "Katzeklo" und der Agenten-Film "00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter". Sogar seine Bücher, oft in einer Woche runtergetippt, verkauften sich. Er kann machen, was er will, es funktioniert. Zu Harald Schmidt darf er bis heute kommen, so oft er will.

So leicht wie möglich

Das Geld, das er verdiente, gab er gleich wieder aus. Da waren die Kinder, sein Vater, die Frauen, er baute sich ein Tonstudio in Mülheim an der Ruhr. "Fast wäre ich damals mal kurz ein Halb-Millionär gewesen", erzählt er, und auch heute gehe es ihm gut, ja. Aber reich? Nee. Er lebt von den Erlösen der Tourneen, das reicht, 2500 Zuschauer in Dresden, 2000 in Chemnitz, später Krefeld und Stuttgart, die "Verzei mir, Baby"-Tour (es heißt wirklich: Verzei, ohne h) dauert über ein halbes Jahr, und überhaupt, was soll das mit dem Geld. "Ist doch auch egal."

Am nächsten Abend ein Auftritt in Weimar. Auf der Bühne ist er brillant. Ständig dekonstruiert er seine eigene Show, macht Ernst mit dem Spaß und lacht über die traurigsten Dinge, den Krieg, den Krebs, den Tod. Nur so lässt sich das Leben mit seiner grausamen Unberechenbarkeit, dem ewigen Hin und Her überstehen, will er sagen. Seine Lebenshilfe für die Zuhörer: Nimm es, wie es kommt. Aber nimm es so leicht, wie du kannst.

Themen auf der Bühne

Er behandelt die ganze Welt, Inge Meysel in der Bild-Zeitung, Umweltkatastrophen in Spanien, das Fernsehen, die Showstars, philosophiert über den Alltag von Kiffern und Büro-Angestellten: "Manche von uns werden schon ganz früh uralt. Manche werden uralt und sehen aus wie noch gar nicht da. " Ständig spielt er mit Worten, Tönen, Instrumenten, kindisch, zynisch, kichernd, traurig. Und während sein Publikum sich noch den Bauch hält nach einem Spaß, setzt er sich ans Klavier, spielt einen Boogie-Woogie, improvisiert Beethovens Mondscheinsonate hinzu, ganz ernst, ganz bei sich. Die Alt-Stars Jimmy Woode am Bass und Pete York am Schlagzeug begleiten ihn, York sagt später: "Helge hat ein Gefühl für die Musik wie kaum ein anderer. Er kann alles spielen. Er ist ganz sicher musikalischer als alle vier Rolling Stones zusammen."

Nach dem Auftritt verfällt Schneider wieder in die Rastlosigkeit der Nacht zuvor, ein Spaziergang durch Weimar, dann sitzt er stundenlang in der Hotel-Bar, trinkt Bier, erzählt.

Begräbnisse zum Lachen

Erzählt, dass er auch ohne Klavier das Klavierspielen üben kann - im Kopf hört er die Töne von Tasten, die er nicht greift. Erzählt von der großen Friedens-Demo in Berlin, dass er da auch gern aufgetreten wäre, wenn man ihn gefragt hätte. Lächelt über die Angst der Menschen, nicht mehr "in" zu sein und fordert Respekt für sein Werk: "Ein Lied wie Katzeklo ist musikalisch so anspruchsvoll wie Summertime von George Gershwin." Erzählt, dass er auf der Beerdigung seiner Mutter lachen musste, dass er auf Beerdigungen immer lachen muss. "Alle sind immer so traurig und trist, und dann kommt meine Fantasie. Und ich male mir lustige Sachen aus, betrachte diese absurde Szenerie, und muss lachen..." Helge Schneider ist ein Kind und ein alter Mann, ein Verrückter und ein seriöser Herr. E in Clown, der beste, den wir haben.

Es wird spät. Zwei Männer im Anzug laufen vorbei und sprechen aufgeregt in ihre Mobiltelefone. "Schau", sagt Helge Schneider, "was der Mensch aus seiner Existenz macht, das ist schon zum Lachen. Anzug, Handy, Zigarette, nach Hause anrufen, über einen Satelliten verbunden sein mit seiner Frau, und dann Probleme wälzen... eine Scheiße ist das. Aber am Ende mach ich es genau so."

Viel zu lernen

Es ist nicht leicht, ein glückliches Leben zu führen, nicht mal für einen Spaßmacher wie Helge Schneider. Aber vor ein paar Jahren hat er ein Lied geschrieben für Menschen, die immer unzufrieden sind und ihr Leben und sich selbst zu ernst nehmen. Im Refrain singt Helge Schneider, der Muffkopf, der Schulabbrecher, der Herrenparfüm-Ablehner, der Peter-Pan-Verschnitt, der Schlechtspazierer, der Clown: "Bist du einmal traurig auf der Welt, dann sing Fitze Fatze, wie es dir gefällt." Mehr kann man von diesem Mann nicht lernen. Aber wenig ist das nicht.

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