Graffiti-Stickereien in Bus und Bahn:Stickt die Subkultur noch richtig?

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Ausdruck häuslicher Gemütlichkeit oder Aggressivität: Die Schwedin Ulrika Erdes verziert Bus- und Bahnsitze mit Stick-Graffiti. Und begeistert damit besonders ältere Menschen.

Christian Kortmann

Graffiti war gestern, die Künstlerin Ulrika Erdes aus dem schwedischen Malmö hinterlässt ihre Botschaften auf eine andere Art: Sie stickt Bilder in die Polster von Bus und Bahn. "Public Embroidery", öffentliche Stickerei, hat die 24-Jährige ihre Kunstform getauft. Da fragt man sich doch: Stickt die Subkultur noch richtig?

Mit Liebe gestickt: Ein Fadenherz der Künstlerin in einem Zug. (Foto: Foto: oh)

SZ: Guten Tag, Frau Erdes, heute schon gestickt?

Ulrika Erdes: Nein, leider noch nicht. Vor einer Woche habe ich in einem Zug ein Herz gestickt.

SZ: Haben Sie eigentlich aus Langeweile in Zügen und Bussen mit dem Sticken begonnen?

Erdes: Ich weiß nicht mehr, wo genau ich die Idee hatte. Es war kurz vor Weihnachten 2006 in Malmö, als ich dachte: Wenn da auf dem Polster im Bus eine Stickerei wäre, würde mich das irgendwie glücklich machen - und wahrscheinlich auch andere. Mein erstes Motiv war ein rotes Herz. Seitdem habe ich an die 100 Bilder gestickt. Manchmal mache ich Fotos davon. Hier in Schweden erkennen die Leute dann die Art des Zuges am Stoffmuster.

SZ: Was sagen denn die Schaffner und die anderen Fahrgäste, wenn Sie die Sticknadel rausholen und die Sitze bearbeiten?

Erdes: Eigentlich gar nichts. Vielleicht, weil ich ganz selbstverständlich sticke, so wie andere Zeitung lesen: nicht heimlich, aber diskret. Und in drei bis vier Minuten ist so ein Herz fertig. Nur ein Busfahrer, der mich schon kannte, sagte mal beim Einsteigen: "Guten Tag, bitte keine Stickereien heute." Manche Transportunternehmen finden sogar gut, was ich mache, andere ziehen die Fäden.

SZ: Sie sticken neben Herzen auch kurze Sprüche und Vögel.

Erdes: Ich habe in den Stickmusterbüchern meiner Mutter gesucht: Vögel sind einfach, lustig und ausdrucksvoll. Ich habe aber auch schon Gorillas gestickt.

SZ: Und Sie sind mit Ihrer Leidenschaft nicht mehr allein ...

Erdes: Ich habe nicht nur in Malmö öffentliche Stickereien hinterlassen, sondern auch im Nachtzug nach Berlin. In schwedischen Medien wurde über mich berichtet, und ich hatte Ausstellungen in Weimar und Aberdeen. Jetzt hoffe ich, dass es möglichst viele Nachahmer gibt.

SZ: Ist Stickzeug die neue Sprühdose?

Erdes: Noch nicht ganz. Aber viele Street-Art-Künstler suchen nach neuen Wegen. Mittlerweile reagieren die Leute gleichgültig auf Graffiti, weil sie selbstverständlich geworden sind. Public Embroidery ist ein Weg, auf sich aufmerksam zu machen.

SZ: Das sehen Graffiti-Künstler doch bestimmt anders.

Erdes: Von ihnen kommt die schärfste Kritik an meiner Arbeit: Sie finden es nicht gut, dass ich nicht wie sie anonym arbeite. Sie halten meine Stickereien für zu schön und zu brav. Was ich vorher aber ebenso wenig erwartet hätte: Am besten gefällt meine Arbeit älteren Menschen.

SZ: Dabei wenden Sie sich mit Sticken gegen traditionelle Geschlechterrollen.

Erdes: Zuerst möchte ich Menschen ein Lächeln schenken. Doch zugleich habe ich einen feministischen Anspruch: Eine traditionelle weibliche Handarbeit im männlich geprägten öffentlichen Raum zu zeigen, stellt eine Grenzüberschreitung dar. Man weiß dann nicht mehr, ob die Stickerei Ausdruck von häuslicher Gemütlichkeit oder von Aggressivität ist.

© SZ vom 31.03.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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