Glauben 2005:Trost vom rasenden Beichtvater

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Ein katholischer Augustiner-Pater fährt mit einem VW-Bus durch Deutschland und bietet seine Dienste an - mit erstaunlicher Resonanz.

Von Rudolf Neumaier

Auf der Überholspur geschehen die wundersamsten Dinge, Pater Hermann-Josef Hubka beobachtet das jeden Tag. Er ist viel unterwegs auf der Autobahn, fährt selten schneller als 80 Kilometer pro Stunde und so gut wie ausschließlich auf der rechten Spur.

Das Beichtmobil (Foto: Foto: dpa)

Also wird er praktisch ständig überholt. Manche Autofahrer unterbrechen ihr Überholmanöver jedoch mittendrin und drosseln ihr Tempo, um mit Pater Hermann-Josef Blickkontakt aufzunehmen. Dann lachen sie und winken. Oder sie bekreuzigen sich. Auf der Autobahn. Es kann vorkommen, dass diese Leute an der nächsten Raststätte bei ihm einsteigen. Um zu beichten.

Hermann-Josef Hubka, 46, ist als Ordensmitglied der Augustiner-Chorherrn ein Mann Gottes, wie man so sagt, und mit seinem Rauschebart sieht er aus wie einer dieser frommen Männer auf alten Heiligenbildern.

Sein Fahrzeug ist ein Beichtstuhl: In roten Großbuchstaben steht "Beichtmobil" auf dem weißen VW-Bus. Seit vergangenem März fährt er damit übers Land, 17 Wochen war er letztes Jahr auf Achse. Seine Zielgruppe: "Die Leute von der Straße." In den meisten Fällen komme er bei ihnen an.

Rosenkränze statt Kugelschreiber

Ließen sich alle Sünden, die Menschen in diesem Fahrzeug bekannten, in Kilogramm aufwiegen, wären unter der Last wohl längst die Achsen gebrochen. Mehrere hundert Beichten habe er in den vergangenen Monaten im Auto abgenommen, sagt der Pater.

Er führt keine Strichlisten, aber er registriert die Zahl an seinem schrumpfenden Reservoir an Rosenkränzen. Wie Kreditinstitute ihren Kunden Kugelschreiber mitgeben, steckt der Geistliche seinen bußfertigen Besuchern hölzerne Rosenkränze zu.

An diesem Wochenende hat er sein Vehikel vor der Allerheiligen-Kirche im Münchner Stadtteil Schwabing abgestellt. Er steuert oft Pfarreien und andere kirchliche Einrichtungen an - die engagieren ihn als Attraktion für besondere Anlässe wie Pfarrfeste.

Es ist kalt auf dem Kirchplatz, sehr kalt. Die Standheizung des Beichtmobils funktioniert nicht, aber die kleine Kerze mit der Aufschrift "Lumen Christi" (das Licht Christi), die auf dem Klapptisch im Wagen inneren flackert, schafft eine behagliche Atmosphäre.

Möglicherweise ist es auch der Pater selbst, der Wärme verströmt, seine weiche Stimme, sein Heiligenbart, seine Augen, die immerzu den Kontakt mit denen des Gegenübers suchen. Der ganze Mann ist auf Empfang geschaltet.

Und draußen wartet ein Büßer, Typ leitender Angestellter, Ende 30, das Gesicht grimmig verzogen, die Schultern zusammengekrampft wie ein Päckchen Demut, was an der Kälte liegen mag oder daran, dass er gleich einem Wildfremden erzählen wird, was ihn belastet. Jedenfalls steigt er zwölf Minuten später aus und wirkt gewärmt. Und erleichtert.

Das trage mitunter bei zur "Versöhnung mit Gott und den Menschen". Diese Losung steht auch auf dem Faltdach des acht Jahre alten VW-Busses, der nicht nur als fahrbare Büßerstube unterwegs ist, sondern auch als Werbe-Vehikel für das dem Papst unterstellte Hilfswerk Kirche in Not/Ostpriesterhilfe.

Mobile Kapellen

Die Idee entstand in der Münchner Zentrale der katholisch-konservativen Organisation: In der Nachkriegszeit betrieb sie mobile Kapellen auf Lastwagen, da lag der Einsatz eines fahrbaren Beichtstuhls als Werbeträger nahe.

Eine ähnliche Verwandlung wie bei dem Mann ist bei einer Dame zu bemerken, die in dem Beichtmobil zum ersten Mal seit 36 Jahren gebeichtet hat, wie der Pater erzählt. "In einem verstaubten Beichtstuhl unter einer Kirchenempore hätte sie das wahrscheinlich nicht gemacht." Mutmaßt er.

Und dann vergleicht er sich mit einem Unfallchirurgen, der täglich mit menschlichem Schicksal umgehen muss, mit einem Psychotherapeuten und mit einem Staubsaugerbeutel.

"Maria Knotenlöserin"

Staubsaugerbeutel? Laufend wird er mit heiklen Angelegenheiten konfrontiert, die die Büßer aus Scham nicht gerade bei ihrem Dorfpfarrer loswerden wollen. Sie vertrauen ihre Nöte lieber einem Beichtvater an, der am nächsten Tag nicht mehr da ist und außerdem wie jeder Priester dem Beichtgeheimnis unterliegt.

Beziehungsprobleme zum Beispiel, unter denen Familien zerbrechen, weil die Mutter dem Vater nicht mehr treu ist. "Abends muss der Staubsaugerbeutel geleert werden, sonst platzt er." Sein Ventil sei das Gebet, sagt Pater Hubka.

Auf dem Campingtisch steht die Bibel, hinter der Sitzbank hängt ein Heiligen-Bildchen am Bordschrank. Es heißt "Maria Knotenlöserin". Die Jungfrau Maria und Rosenkränze als Heilmittel gegen die Sünde - das zeigt, dass im Beichtmobil alles andere als eine progressive Glaubenshaltung befördert wird. Einerseits.

Andererseits gibt sich Hermann-Josef Hubka aufgeklärt: "Du kommsch net in d' Höll, wenn du net beichtesch." Manchmal driftet er in seine Mundart ab - er wohnt mit zwei anderen Augustinern im badischen Kloster Waghäusel.

Die meisten Katholiken hätten keinen Bezug mehr zum Sakrament der Beichte, sagt er. In einigen Pfarrkirchen drohen Beichtstühle zu Besenschränken umfunktioniert zu werden - früher bildeten sich davor einmal die Woche Schlangen.

Ernst Werner, der zuständige Referent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, bestätigt, dass es "die traditionelle Beichtpraxis nicht mehr gibt".

Allerdings verzeichnet die Bischofskonferenz gerade jetzt zur Fastenzeit eine stärkere Resonanz auf die Angebote in Wallfahrts- und in Beichtkirchen. "Wir befinden uns in einem Umwälzungsprozess", sagt Werner, "es entwickeln sich neue Formen."

Auf Bestellung um Gottes Lohn

Wenn ein Büßer seinen Wagen betritt, legt Pater Hermann-Josef die violette Stola über den Kunstfellkragen seiner Winterjacke, er zieht die Sichtblenden an den Fenstern hoch, und auf Wunsch legt er eine Kassette mit geistlicher Musik ein.

Kirche in Not finanziert ihn auch, daher kommt das Beichtmobil auf Bestellung um Gottes Lohn. Wobei der Werbeeffekt und die Spendeneinnahmen so hoch ausfallen, dass es sich rentiert, wie Pater Hubka einräumt.

Früher, als noch die Sowjets herrschten, reiste er für die Ostpriesterhilfe öfter durch Sibirien. Aus dieser Zeit hat er einen Thermo-Schlafsack, den er brauchen kann auf seiner Mission über die Autobahnen zwischen Österreich und Dänemark.

Wenn er nicht in Pfarrhäusern unterkommt, übernachtet er im Beichtmobil auf Autobahnraststätten. Ob er dort nachts von reuigen Sündern aus dem Schlaf gerissen wird? "Bisher nicht", sagt er, "aber ich rechne mit allem."

© SZ vom 23.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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