Glamorama:Urnen zum reinschlüpfen

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Diese Schuhe! Die kanadische Sängerin Céline Dion, 48, hat einen bei Prominenten verbreiteten Tick. (Foto: Getty)

Schuhe sind längst mehr als nur Treter: Sie sind Kulturträger. Céline Dion hat gleich 3000 Paar, und Jérome Boateng hat gar zwei Zimmer nur für sein Schuhwerk.

Von Hilmar Klute

Manche Leute sagen "ich bin marzipansüchtig" oder "ich bin süchtig nach Smoothies"; sie tun das, um sich einerseits als leidenschaftliche Naturen zu empfehlen. Vor allem aber möchten sie ihre Saubermann-Unschuld ausstellen: Ich bin keines von den bedauernswerten Geschöpfen, die sich literweise Gin reinkippen müssen oder abends nicht ohne ihr Röhrchen Diazepam einschlafen können. Sucht ist für mich positiv besetzt, ich bin ein reines Herz, das einfach nicht anders kann, als schöne Dinge zu tun oder schöne Dinge um sich zu scharen. Die heute schon als legendär einzustufende Sängerin Céline Dion hat kürzlich gesagt: "Manche Leute nehmen Drogen, ich kaufe Schuhe." Sie besitze an die 3000 Paar, die sich in ihrem Anwesen in Florida türmen. Schuhe, die sich in Anwesen türmen, sind aber schlecht untergebrachte Schuhe. Sie weisen einen Haushalt als unorganisiert und deren Verwalter als überfordert aus.

Elegant bis souverän ist dagegen die Lösung, die der Fußballspieler Jérôme Boateng für sich und seine Leidenschaft gefunden hat. Es ist wohl so, dass auch Boateng Schuhe sammelt, vornehmlich Sneakers - da hat sich die Mutter von Boateng aber auch schon mal gegen die Stirn getippt und gemeint, ihr Junge hätte sie ja wohl nicht mehr alle: Schuhe sammeln wie eine Frau? Falsch, Mutti. Boateng sammelt Schuhe wie ein Asservatenkammerherr. Er hat seine Lieblinge in zwei separaten Räumen untergebracht, wo sie ein gewissermaßen selbstbestimmtes Leben führen; möglicherweise haben sie sogar separate Eingänge. Kleiner Scherz.

Es gibt eigentlich nichts Langweiligeres als Schuhe. Man sieht sie nur, wenn man beim Gehen ständig nach unten blickt oder wenn man die Beine auf den Schreibtisch legt - beides Gesten, die als sozial umstritten gelten. Trotzdem sind Schuhe im öffentlichen Bewusstsein dermaßen aufgeladene Kulturträger, dass sie inzwischen in Museen ausgestellt werden, das Haus der Geschichte in Bonn beherbergt bekanntlich die Turnschuhe, die Joschka Fischer bei seiner Vereidigung als hessischer Umweltminister trug. Die Stadt Weißenfels in Sachsen-Anhalt unterhält sogar ein eigenes Schuhmuseum, welches dieser Tage eine exquisite Lieferung neuer Exponate bekommen hat. Gregor Gysi gab seine "Bundestags-Schuhe" dorthin. Bundestags-Schuhe: Unter diesen Begriff stellt Gysi solche Schuhe, die er am häufigsten bei Parlamentssitzungen trug; sie seien, so Gysi verschmitzt, "weder schwarz noch grau", sondern unscheinbar und farblos. Die lässig nachgereichte Charakteristik soll natürlich ein dialektischer Feinschmeckerspaß sein; Gysi ist doch das Gegenteil von farblos, nicht wahr? Und bitte: Gysi und unscheinbar? Geht's noch?

Irre, für was Schuhe inzwischen herhalten müssen. Der Schuh ist eine Art Urne zu Lebzeiten: aufgeladen mit Restruhm stehen sie in Türmen, Zimmern, Museen und sind uns Nachgeborenen Gleichnisse für was noch mal? Ach, für nichts? Ja, das passt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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