Germanwings-Absturz:"Mit vermerkter Suizidalität"

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An der Absturzstelle des Germanwings-Flugzeugs in der Nähe des Ortes Seyne-les-Alpes suchen die Helfer immer noch nach dem zweiten Flugschreiber. (Foto: Yoan Valat/dpa)

Die Gespräche mit der Familie des Copiloten bringen kaum neue Erkenntnisse. Dafür aber dessen Krankenakte: Er war offenbar vor Jahren wegen Selbstmordgefahr in Behandlung.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

Es ist ein schwerer Gang, für beide Seiten. Es klingelt jetzt wieder an den Türen derer, die ihre Partner, Eltern und Kinder verloren haben. In der vergangenen Woche schon kam die Polizei, um ihnen zu sagen, dass sie nicht mehr leben; dass sie bei dem Absturz des Airbus von Barcelona nach Düsseldorf gestorben sind. In dieser Woche nun kommen die Polizisten noch einmal, sie fragen nach dem, was vom Leben noch übrig ist, nach Haaren, etwas Haut oder einem Fingerabdruck. Man braucht all das für die Identifizierung. Es ist ein schwieriges Gespräch, auch deshalb ist ein Seelsorger jedes Mal dabei, wenn die Polizei wieder klingeln muss bei den Hinterbliebenen der 75 deutschen Opfer der Katastrophe.

Eine Woche nach dem Absturz der Maschine über den französischen Alpen arbeiten mehr als 100 Polizisten an der Aufklärung, 50 Leichen wurden bisher am Unglücksort identifiziert. 50 Beamte stark ist die Mordkommission, die gegen einen Täter ermittelt, der nicht mehr lebt, gegen den nie eine Anklage erhoben werden kann. Es sind Ermittlungen, an deren Ende keine Anklage gegen Andreas Lubitz stehen wird, aber vielleicht etwas Gewissheit.

Die Ermittler sichten derzeit die Krankenakten des Copiloten, der bei so vielen Ärzten war. Bei den Fliegerärzten der Lufthansa, bei einem Neurologen, einem Psychiater, einem Psychotherapeuten und auch bei der Düsseldorfer Uniklinik.

Vor Jahren, sagen die Staatsanwälte am Montag in Düsseldorf, sei Lubitz "mit vermerkter Suizidalität" in Behandlung gewesen. Er war damals an der Flugschule der Lufthansa in Bremen, wo er seine Ausbildung mehrere Monate unterbrach. Der Druck sei zu hoch, das hat Lubitz damals Bekannten in seiner Heimatstadt Montabaur erzählt.

Die Selbstmordgedanken seien aber wieder abgeklungen, so gehe es zumindest aus den Krankenakten hervor, sagen die Ermittler. Im Jahr 2009 erhielt er vom Aeronautical Center der Lufthansa seine Tauglichkeit bestätigt. Allerdings mit dem Kürzel SIC, das auf regelmäßige medizinische Untersuchungen hinweist. Der Lufthansa muss der Hinweis bekannt gewesen sein, als ihre Tochter Germanwings Lubitz im Jahr 2013 einstellte.

Mitte April wollte die Lufthansa ein rundes Jubiläum feiern - eigentlich

Ein Sprecher sagt aber, das Kürzel sei eines unter insgesamt 15 möglichen Hinweisen in einer Pilotenakte, die von Augenleiden über Hörschäden bis zu Depressionen alles bedeuten können und nur für die Fliegerärzte und das Luftfahrtbundesamt einzusehen seien. Im Jahr 2014 stuften die Ärzte Lubitz zuletzt für tauglich ein. In diesem Jahr hätte wieder eine routinemäßige Untersuchung angestanden, die sich aber vor allem um die körperliche Verfassung dreht. Lubitz habe keine organischen Erkrankungen gehabt, sagt die Staatsanwaltschaft. Er war aber auch nach dem Abklingen der Selbstmordgedanken die folgenden Jahre in medizinischer Behandlung, für den Unglückstag war er von einem Psychiater krankgeschrieben. Warum genau, wollten die Ermittler nicht sagen. "Im Folgezeitraum und bis zuletzt haben weitere Arztbesuche mit Krankschreibungen stattgefunden, ohne dass Suizidalität oder Fremdaggressivität attestiert worden ist." Auch die Befragung der Familie und Freunde, der Kollegen und Ärzte habe "keine tragfähigen Hinweise über ein mögliches Motiv geben können".

Staatsanwaltschaft und Polizei haben sich mit den Eltern unterhalten und der Lebensgefährtin von Lubitz. Bei den Eltern in Montabaur hatte er noch ein Zimmer, mit der Lebensgefährtin hat er in Düsseldorf zusammengewohnt. Beide konnten keine Anhaltspunkte liefern für das Warum. Sie und viele andere Hinterbliebene der Flugzeugkatastrophe bekamen in den vergangenen Tagen von Experten der Polizei auch Hinweise, wie sich die Trauernden vor der Öffentlichkeit schützen könnten. Internetprofile wurden gelöscht, Namen an Klingelschildern entfernt, Unterschlupf bei Verwandten gesucht.

Manche Hinterbliebene befinden sich noch in der Nähe der Unglücksstelle. In den französischen Alpen wird ein Weg zur Absturzstelle gebaut, für die Helfer, aber auch für die Familien. Die Helfer suchen dort immer noch nach dem zweiten Flugschreiber, der die technischen Daten der Maschine aufgezeichnet hat. Er sendet keine Signale mehr, mit denen er sich orten ließe.

In vielen deutschen Orten begannen in der vergangenen Tagen Trauergottesdienste und Gedenkmärsche. In Haltern gibt es am Mittwochabend einen großen ökumenischen Gottesdienst, am Wochenende folgt ein Trauermarsch. Die zentrale Gedenkfeier mit Bundeskanzlerin Angela Merkel findet am 17. April im Kölner Dom statt. Zwei Tage zuvor wollte die Lufthansa eigentlich den 60. Jahrestag der Aufnahme ihres Flugbetriebs nach dem Zweiten Weltkrieg feiern. Das stehe jetzt auf dem Prüfstand, sagte ein Lufthansa-Sprecher.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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