Gerichtsurteil:Schicksal des Mannes

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Die Krankenkasse muss keine Perücke für einen Glatzköpfigen bezahlen, der auf Erstattung geklagt hatte.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Schwindendes Kopfhaar gehört zum Mannsein in dieser Welt, jedenfalls normalerweise. Die allermeisten finden sich damit notgedrungen ab - oder halten sich glatzköpfig sogar für besonders sexy. Andere lehnen sich gegen ihr Schicksal auf, so auch ein 76 Jahre alter Rentner aus Contwig in Rheinland-Pfalz, der nun dem Bundessozialgericht einen wahrlich haarigen Fall bescherte. Der Mann zog durch alle Instanzen, damit ihm die Krankenkasse eine neue Perücke für 820 Euro bezahlt. Doch der Kampf um die künstliche Haarpracht blieb für ihn auch vor dem höchsten deutschen Sozialgericht vergeblich.

Am Anfang hatte die Kasse, die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, mit dem Leiden des Klägers noch ein Einsehen. Nachdem der Mann seit 1983 krankheitsbedingt ohne Haare, Bart, Wimpern und Augenbrauen leben musste, bezahlte sie ihm alle drei Jahre Zuschüsse für Perücken. Von 2011 an war damit jedoch Schluss, der Streit ums Haar landete vor Gericht: Dort argumentierte der Kläger, der totale Haarverlust verursache bei ihm einen hohen psychischen Leidensdruck, sodass er psychotherapeutische Hilfe benötigt habe. Die Kasse könne ihm nicht zumuten, sich in der Öffentlichkeit stets mit Hut zu bewegen, um sich vor neugierigen Blicken zu schützen und der Gefahr von Sonnenbränden vorzubeugen. Außerdem berief er sich auf den Gleichheitsgrund im Grundgesetz: Frauen in der gleichen misslichen Lage bekämen von der Kasse doch das künstliche Haupthaar erstattet. Folgerichtig müsse er von der Kasse die 820 Euro für den Kauf der Perücke ebenfalls bekommen. "Die Leute gucken und sagen, da kommt der mit der Glatze. Ich verkrafte das nervlich nicht", sagte er.

Trotzdem lehnte das Bundessozialgericht wie bereits die beiden Instanzen zuvor den Antrag ab. Als Begründung diente den Richtern ein Exkurs über das normale Männerleben. Dazu gehört für sie nun einmal, dass Männer mit zunehmendem Alter ganz oder teilweise ihre Haare verlieren. Weder sei das eine Krankheit, noch erregten sie dadurch "besondere Aufmerksamkeit im Sinne von Angestarrtwerden, noch werden sie stigmatisiert", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Ganz anders sieht das für die Richter bei einer Frau aus: Diese falle ohne Kopfhaar "besonders auf und zieht die Blicke anderer auf sich". Das sei ein von der Norm abweichender Zustand, der entstellend wirken und deshalb dazu führen könne, dass die Krankenversicherung die Perücke bezahlen muss.

Eine Hintertür ließ das Gericht für Männer mit Glatze aber offen: Trifft der totale Haarverlust einen jungen Mann und fallen ihm auch Wimpern, Bart und Brauen aus, muss die Kasse womöglich zahlen. Entscheidend ist dabei die Schwere des Falls: Der Haarverlust müsse dann schon über den typischen männlichen Haarverlust hinausgehen und insbesondere bei jungen Menschen "Aufsehen erregen". Dann könne "eine entstellende Wirkung vorliegen, die Krankheitswert besitzt".

Bei dem Rentner war dies für die Richter offenbar nicht der Fall. Maßgeblich sei dabei auch nicht, "ob der Betroffene seine Haarlosigkeit subjektiv entstellend empfindet".

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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