Gedenkfeier in Winnenden:"Ganz Deutschland trauert"

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Trauer nach dem Amoklauf: Gemeinsam mit Bundespräsident Köhler und Kanzlerin Merkel haben in Winnenden Tausende Menschen von den Opfern der Gewalttat Abschied genommen.

Horst Köhler kämpfte mit den Tränen, seine Stimme brach ab: Sichtlich bewegt gedachte der Bundespräsident am Samstag in Winnenden zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und anderen Trauergästen der Opfer des Amoklaufs.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (Mitte) bei der Trauerfeier in Winnenden. (Foto: Foto: dpa)

"Nichts ist mehr, wie es war", sagte er beim Staatsakt in der Kirche St. Karl Borromäus. In vielen anderen Kirchen und Hallen der Umgebung verfolgten rund 7500 Trauernde die auf Videoleinwände übertragene Feier. Angehörige der Opfer forderten in einem offenen Brief an Köhler, Merkel und Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) Konsequenzen aus dem Amoklauf.

In dem Brief verlangten die Familien von fünf getöteten Schülern, den Zugang für Jugendliche zu Waffen zu erschweren, Gewaltdarstellungen im Fernsehen einzuschränken, Killerspiele zu verbieten, den Jugendschutz im Internet auszubauen und die Berichterstattung der Medien über Amok-Täter zu reglementieren. Dies könne dazu beitragen, dass "es kein zweites Winnenden mehr geben kann", heißt es in dem Schreiben.

Auch Köhler forderte ein Vorgehen gegen Killerspiele und Filme mit extremer Gewalt: "Sagt uns nicht der gesunde Menschenverstand, dass ein Dauerkonsum solcher Produkte schadet? Ich finde jedenfalls: Dieser Art von `Marktentwicklung´ sollte Einhalt geboten werden."

Tausende Kirchenglocken in ganz Württemberg hatten am Morgen den ökumenischen Gottesdienst eingeläutet. Der evangelische Landesbischof Frank Otfried July verwies in der Predigt auf die christliche Hoffnung für die Opfer und für den Amokläufer: "Wir schweigen auch den Täter dieser furchtbaren Mordtaten (...) nicht tot." Abgeschieden von den Opfern werde auch sein Leben vor Gott gestellt.

Auch in den Fürbitten gedachten die Trauernden des Täters Tim K. und seiner Familie: "Wir beten für die Familie des Täters. Dass ihnen Menschen beistehen und helfen", sagte ein Lektor. Jesus Christus habe am Kreuz um Vergebung für seine Mörder gebetet. "Im Gedenken an dieses Wort denken wir an den Täter. In unserer Fassungslosigkeit rufen wir zu Dir, Gott."

Nach Ansicht des katholischen Bischofs Gebhard Fürst ist es zehn Tage nach dem Amoklauf noch zu früh, Rezepte für künftiges Verhalten zu formulieren: "Jetzt ist die Zeit zum Weinen, zum Klagen, zum Trauern."

In einem bewegenden Moment wurde jeder Name der Opfer einzeln vorgelesen. Zwei Jugendliche brachten eine Kerze mit dem Vornamen durch den langen Mittelgang der Kirche nach vorn, zündeten sie an und stellten die Kerze zusammen mit einer gelben Rose auf den Altar.

Die Zukunftspläne und Hoffnungen der Opfer sollen nicht in Vergessenheit geraten - zum Zeichen dafür trugen viele Schüler der Albertville-Realschule schwarze T-Shirts mit dem grünen Schriftzug: "Ich habe einen Traum." Die Schüler legten Symbole neben den Altar; diese sollten an die Wünsche der getöteten Mitschüler erinnern.

Schulleiterin Astrid Hahn erinnerte an die Rede "I have a dream" des Bürgerrechtlers Martin Luther King. "All diese Träume können uns Kraft und Mut geben für unser Weiterleben", sagte sie. Am Ende der rund zweistündigen Trauerfeier kamen alle Besucher aus den Kirchenbänken und nahmen sich bei den Händen.

Wie Köhler würdigte auch Ministerpräsident Oettinger den Einsatz der Polizisten beim Amoklauf: "Das schnelle Eintreffen und Eingreifen der Polizei zwang den Amokläufer zur Flucht", sagte er. "Es ist nicht auszudenken, wie viele Opfer wir sonst heute noch zu beklagen hätten. Auch in Wendlingen gerieten Polizeibeamte unter Beschuss. Ihnen verdanken wir, dass das Töten ein Ende nahm."

Treffen mit den Opfern

Nach dem Staatsakt trafen sich Merkel, Köhler und Oettinger mit Angehörigen der Opfer. Etwa eineinhalb Stunden saßen sie im Raum einer Firma zusammen und sprachen mit Eltern, Geschwistern und weiteren Hinterbliebenen über den Verlust. Betroffen von dem Amoklauf sind 15 Familien. Gegen 15 Uhr verließen die Politiker Winnenden.

In und um Winnenden waren weit über 1000 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz und anderen Hilfsdiensten im Dienst. Es kam zu keinen Zwischenfällen. Über dem Heimatort des Amokläufers, Leutenbach-Weiler zum Stein, lag Stille.

Rund 300 Menschen fanden sich in der Gemeindehalle ein, um die Trauerfeier gemeinsam zu verfolgen. Vor dem Elternhaus des Täters stellten Unbekannte rund ein Dutzend Kerzen auf.

Der 17 Jahre alte Tim K. hatte am 11. März an seiner ehemaligen Schule in Winnenden und auf der anschließenden Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und danach sich selbst getötet. Sein Leichnam wurde zwei Tage nach dem Massaker freigegeben, aber bisher nach Polizeiangaben nicht beigesetzt.

"Wann und wo dies geschieht, wird nicht bekanntgegeben", sagte eine Polizeisprecherin in Waiblingen. Die Opfer des Amokläufers sind bereits zu Grabe getragen worden.

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