Flugzeugkatastrophe von Überlingen:"Keiner hatte Bedenken"

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Wrackteile der abgestürzten Tupolew liegen auf einem Acker nördlich von Überlingen. (Foto: DPA-SZ)

Was der damalige Chef der Flugsicherung Zürich beim Rückblick auf die Katastrophe von Überlingen wirklich fühlt, bleibt sein Geheimnis. Aber zugeben mochte der Manager vor dem Strafrichter auch diesmal keinen Fehler

Gerd Zitzelsberger

"Ich war der Chef und hätte das ändern können. Ich hatte keine Veranlassung dazu. Ich halte mich für nicht schuldig", sagte der damalige Chef der Flugsicherung Zürich vor dem Bezirksgericht in Bülach bei Zürich.

Ein Polizist bewacht die Trümmer der abgstürzten TU-154 Tupolev Passagiermaschine in der Nähe von Überlingen am Bodensee am 2. Juli 2002. (Foto: Foto: AP)

Beinahe fünf Jahre sind jetzt seit der Flugzeugkatastrophe von Überlingen vergangen. Damals, am 1. Juli 2002, waren in 11.000 Meter Höhe am beinahe leeren Nachthimmel über der Kleinstadt am Bodensee eine Tupolew 154 aus der russischen Teilrepublik Baschkirien und eine deutsche Frachtmaschine des Paketdienstes DHL zusammengestoßen.

Alle 71 Menschen an Bord der beiden Maschinen kamen dabei ums Leben; ein Großteil davon waren russische Kinder, die Sekunden vorher noch glaubten, das große Los gezogen zu haben: Erstmals im Leben Ferien am Mittelmeer.

Am Dienstag nun hat vor dem Bezirksgericht in Bülach bei Zürich der erste Strafprozess wegen des Unglücks begonnen. Angeklagt sind acht Mitarbeiter der staatlichen Schweizer Flugsicherung Skyguide. Der Zusammenstoß hatte sich zwar über deutschem Boden ereignet, aber Skyguide war (und ist) für die Flugsicherheit in dieser Ecke des deutschen Luftraums zuständig. Deshalb trat die deutsche Staatsanwaltschaft die eigene Strafuntersuchung an ihre Schweizer Kollegen ab.

Nicht auf der Anklagebank sitzt der Skyguide-Fluglotse der Unglücksnacht: Ein russischer Bauingenieur, der seine Frau und seine beiden Kinder bei der Katastrophe verloren hatte, hat ihn zwei Jahre nach der Katastrophe erstochen. Wegen dieser Tat und der Befürchtung weiterer Blutrache hat die Schweizer Staatsanwaltschaft die Namen der acht Angeklagten nicht öffentlich mitgeteilt.

Den ermordeten Lotsen treffe nach Ansicht der Staatsanwälte allenfalls ein Teil der Schuld. Er hatte nach den Ermittlungen der deutschen und schweizer Behörden erst 44 Sekunden vor dem Zusammenprall überhaupt bemerkt, dass sich die Maschinen knapp vor der Kollision befanden. Entscheidend hätten zu der Katastrophe Organisationsmängel bei Skyguide beigetragen.

Einer davon: Der tote Fluglotse, ein 36jähriger Däne, saß in der Unglücksnacht mutterseelenallein vor den Radarschirmen. Offiziell hatten zwar auch nachts - der Zusammenstoß ereignete sich um 23.35 Uhr - immer zwei Lotsen Dienst. Aber entgegen internationalen Regelungen war es im Sommer 2002 noch übliche Praxis bei Skyguide, dass sich der zweite Mann in ein Nebenzimmer zu einem Nickerchen - "in die Pause" heißt die offizielle Sprachregelung - zurückziehen durfte. Schließlich gebe es zu dieser Zeit wenig zu tun. In der Unglücksnacht hatte der zweite Mann eine halbe Stunde vor dem Zusammenprall seinen Arbeitsplatz verlassen.

So wenig war die Arbeit aber in Wirklichkeit nicht, wie sich mittlerweile herausstellt: Laut Protokoll hatte der tatsächlich arbeitende Lotse innerhalb einer Viertelstunden 15 Flugzeuge zu führen, und er benötigte dazu 118 Funksprüche. Doch dies sei "keine außergewöhnliche Situation für den Lotsen gewesen", sagte der Chef der Züricher Flugsicherung, der früher selbst Flugverkehrsleiter war, am Dienstag bei der Verhandlung in Bülach.

Die Staatsanwaltschaft fordert Bewährungsstrafen

Der Manager, damals Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung von Skyguide, ist der erste der acht Männer, die das Gericht befragte. Die Pausen-Praxis und die Besetzung der Radarschirme mit nur einem Lotsen, die vor dem Unglück bereits von den Schweizer Behörden beanstandet worden war, seien ihm "genügend und effizient" erschienen. Auch die Geschäftsleitung habe davon gewusst. "Alle fanden das völlig unproblematisch, niemand hatte Bedenken", sagte der Manager.

Allerdings geht wohl auch die Schweizer Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Ein-Mann-Besetzung allein nicht in die Katastrophe geführt hätte. Zu den Schlampereien von Skyguide gehörte daneben, dass in dieser Nacht Wartungsarbeiten stattfanden, ohne dass die beiden Fluglotsen davon wussten.

Ein Teil der Radar- und der Telefonanlage funktionierte deshalb nicht, und vergeblich versuchte die Karlsruher Flugsicherung ihre Züricher Kollegen auf die Gefahrensituation hinzuweisen. Mit diesen Mängeln wird sich das Gericht in den nächsten Tagen beschäftigen. Bereits bis Ende des Monats wird nach dem Fahrplan des Gerichts dann der Prozess abgeschlossen sein.

Auf Freisprüche können wohl die wenigsten der acht Angeklagten hoffen. Schließlich hatte bereits das Landgericht Konstanz in einem Zivilverfahren der Skyguide schwere Organisationsmängel bescheinigt. Aber Gefängnis droht den Beschuldigten kaum: Die Schweizer Staatsanwaltschaft fordert wegen fahrlässiger Tötung Bewährungsstrafen zwischen sechs und 15 Monaten.

© SZ vom 15.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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