Filmfestival in Cannes:"Oh mein Gott, es ist Harrison Ford!"

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Bei den Festspielen in Cannes ist die gesamte Filmfamilie im Indiana-Jones-Fieber - Hauptdarstellerin Cate Blanchett eingeschlossen.

Wahrscheinlich gibt es nichts, was einen wirklich auf Cannes vorbereiten kann. Die Tatsache, dass man einmal der härteste Mann der Welt war und die Ohren seiner Feinde zum Frühstück verspeist hat, reicht zum Beispiel nicht.

Cate Blanchett auf dem Weg zur Präsentation von "Indiana Jones". (Foto: Foto: Reuters)

Mike Tyson, der ehemalige Boxweltmeister im Schwergewicht, Hauptdarsteller einer rückhaltlos offenen Dokumentation über sein Leben, findet hier erst einmal gar keine Worte. Noch immer ein Schrank, nur notdürftig mit einem überbreiten Anzug behängt, steht er auf der Bühne des Festivalpalasts, nimmt Standing Ovations entgegen und kann es nicht fassen. "So etwas habe ich in meiner ganzen Karriere nicht erlebt", sagt er. "Es ist beängstigend."

Anderen Newcomern geht es ähnlich. Der junge Shia LaBeouf, der Indiana Jones in seinem neuen Abenteuer unterstützen darf, gibt eine Art Mantra für sich selbst aus: "Riesenfestival, Riesenfilm, Riesenlächeln auf meinem Gesicht." Doch auf die Nachfrage, ob er sich wohlfühle, platzt ein empathisches "Nein" aus ihm heraus.

Der Trick, das könnten ihm ältere Cannes-Hasen verraten, ist, das Ganze als eine Art Familienausflug zu betrachten. Dann sind Gilles und Thierry, die Chefs des Festivals, auf einmal nichts als zwei nette französische Onkels, die alle Jahre wieder ihre Freunde einladen. Dann mietet man sich in der Nähe ein hübsches Häuschen, wie Brad Pitt und Angelina Jolie, dann ist auch eine fortgeschrittene Schwangerschaft kein Problem, man fährt gemütlich zum roten Teppich, und wenn eines der Kinder dabei auf den Smoking pinkelt, dreht der ganze Tross eben noch mal um - so viel Zeit muss sein, die Onkels verstehen das schon.

Weltruhm für Recklinghausen

Oder man macht es wie Sean Penn, der die Jury leitet: Wenn einem zum Schimpfen zumute ist, schimpft man, wenn man rauchen möchte, raucht man, Regeln und Verbote braucht man nicht so eng zu sehen, Freigeister und Kinoliebhaber sind hier schließlich unter sich. Bald wird Madonna erwartet, Penns Exfrau, seine Wieder-Ehefrau Robin Wright Penn spielt im Abschlussfilm mit, und Model Petra Nemcova, seine letzte Flamme, soll ebenfalls über den roten Teppich gehen. Also wenn das nicht gemütlich wird...

Ein bisschen Flexibilität und starke Nerven, mehr braucht man nicht, das weiß auch Cate Blanchett. Während sie ihren erst vier Wochen alten Sohn Ignatius Martin stillt, erfährt ein paar Zimmer weiter im Carlton Hotel eine internationale Journalistenrunde, dass es wohl nichts mehr wird mit dem Interview.

Schreie und Flüche - in diesem Moment brechen ungefähr sechs aktuelle Titelseiten in Australien weg. Dann kommt sie doch, strahlend schön wie immer, oder eher noch strahlender, und schwärmt von den Ruhrfestspielen Recklinghausen, wo sie gerade inszeniert hat. Reckling what??? So kommt eine deutsche Stadt zu Weltruhm.

Doch dann geht es um "Indiana Jones" und darum, wie toll es für sie war, die russische Schurkin Irina Spalko zu spielen - und wie nervenaufreibend, Harrison Ford gleich am ersten Drehtag einen Dolch an den Hals zu halten und dabei gefährlich zu schauen: "Da stört dieses Oh-mein-Gott-es-ist-Harrison-Ford-Gefühl." - Im Ernst, das kennen Sie auch? -"Es ist eine wenig bekannte Tatsache, aber wir Schauspieler sind tatsächlich... Menschen."

Bei dem ganzen Indiana-Jones-Ding kommt der neueste Trick aus Hollywood zum Tragen: Alle reden darüber, bevor er überhaupt zu sehen ist. Auch Cate Blanchett kennt den Film noch nicht, hat aber "wahnsinnige Lust" darauf - und kann sogar relativ sicher sein, dass sie auch in die Vorführung reinkommt.

Doch jetzt gibt es erst einmal das Oh-mein-Gott-es-ist-Harrison-Ford-Gefühl - live. Dunkelblauer Anzug, dunkelblaues offenes Hemd, gebräuntes Gesicht, silbergraue Haare. Er raunt mehr, als dass er spricht, erkennbar bemüht, der Hektik des Festivals so etwas wie Vernunft entgegenzusetzen.

"Sie brauchten jemand, der den alten Hut noch einmal aufsetzt, das war mein Beitrag", sagt er mit unbewegtem Gesicht - spricht dann aber doch von den "jahrelangen Anstrengungen der brillantesten Köpfe Hollywoods", die Legende nicht zu zerstören. Erst als sich alles richtig anfühlte, für George Lucas, Steven Spielberg und ihn selbst, konnte es losgehen - und jetzt sei es eine große Erleichterung, "dass der Zug endlich aus dem Bahnhof fährt."

Wohin genau die Reise geht, sagt er natürlich nicht, das wissen bisher nur ein paar Insider-Blogger im Internet, die hier als Spielverderber aber geflissentlich ignoriert werden. Trotzdem müssen ein paar Sachen richtiggestellt werden. "Es geht nicht nur um den Kalten Krieg gegen die Russen, es geht auch um die finstere McCarthy-Ära in den USA, speziell an den Universitäten - ein interessanter Moment in der Geschichte", sagt Ford.

Und, anders als überall kolportiert, mache er seine Stunts selbstverständlich nicht selbst. "Dafür sind Stuntmen da. Was ich mache, nenne ich "körperliches Schauspielen" - rennen, springen, Peitsche schwingen, über den Boden rollen, schwitzen. Weil ich dabei Möglichkeiten des emotionalen Ausdrucks habe, die ich den Zuschauern rauben würde, wenn ich's nicht selber mache. Meine Fitness hat nicht den Zweck, mein Alter zu verleugnen - ich brauche die paar Muskeln einfach, um mich gegen Verletzungen zu schützen."

Wie aber konnten die Erwartungen derart steigen, dass bei der Premiere in Cannes jetzt nichts weniger als eine Offenbarung erwartet wird? Warum wird diese Figur immer noch so geliebt? Ford erklärt es noch einmal, langsam, zum Mitschreiben. "Weil er in wirklich guten Filmen mitspielt hat. Er ist Teil einer Geschichte, die viele Aspekte der menschlichen Erfahrung berührt: unsere Sehnsucht nach Abenteuer, den Thrill des Wettkampfs, die riesigen Hindernisse, die er überwindet, mit Schlauheit und Witz und vor allem mit Hartnäckigkeit. Diese Qualitäten lieben wir."

Und schließlich kommt auch noch Karen Allen ins Zimmer, die als Darstellerin der Marion Ravenwood Indys erste große Liebe war und jetzt wieder mit ihm vereint wird - ein Moment, in dem sich Harrison Ford sichtlich entspannt. "Da standen wir, siebenundzwanzig Jahre später, und es war, als ob kein Tag vergangen wäre", lacht Allen, die dem Schauspielen eigentlich längst abgeschworen hat und jetzt Mode entwirft - und da ist sie wieder, diese Intimität inmitten des Wahnsinns, das Familiengefühl von Cannes. Draußen aber beginnt eine Schlacht um die Plätze im Kino, die härter wird als alles zuvor.

© SZ vom 19.05.2008/sg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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