Fall einer Pop-Sängerin:Urteil jetzt, Prozess später

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Eine neue Dimension: Mal trifft es einen Abgeordneten, mal einen Arzt, nun eine Sängerin - was die vorverurteilende Medienarbeit vieler Staatsanwälte anrichtet.

Gernot Lehr

Gernot Lehr ist Medienrechtler in der Kanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier, Bonn und Berlin. Zu seinen Klienten gehören häufig Prominente bei Berichterstattungen über Ermittlungsverfahren.

Gernot Lehr: "Rechtswidrige Öffentlichkeitsarbeit". (Foto: Foto: Oh)

Das öffentliche Interesse an Strafverfahren ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Nicht erst der von der Verfassung vorgeschriebene (medien-)öffentliche Strafprozess im Anschluss an eine Anklage, sondern bereits der Beginn der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts wird aufmerksam verfolgt.

Dieses Interesse ist immer dann berechtigt, wenn die öffentliche Erörterung der möglichen Straftat einen Beitrag zum gesellschaftlichen Meinungs- und Wertebildungsprozess leistet. Ist dies der Fall, genießen die Medien ein besonderes Privileg: Sie dürfen über einen Tatverdacht und damit über Ermittlungsverfahren berichten, wenn sie die strengen Voraussetzungen der sogenannten Verdachtsberichterstattung einhalten.

Die ausgefeilte Rechtsprechung verlangt insbesondere, dass die Verdachtslage als offen dargestellt und jegliche Vorverurteilung des Betroffenen vermieden wird. Außerdem hat der Betroffene ein Recht, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Macht er von diesem Recht Gebrauch, muss seine Stellungnahme in die Berichterstattung aufgenommen werden.

All dies dient dem Schutz der Unschuldsvermutung und der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen - der sich ohnehin als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren in einer Extremsituation befindet.

Diese Extremsituation wird verschärft (und der Betroffene wird faktisch schutzlos gestellt), wenn sich die Staatsanwaltschaften bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht einmal an die Vorgaben der Verdachtsberichterstattung halten, insbesondere wenn sie sich nicht auf die sachliche Information über eine offene Verdachtslage beschränken, sondern die Medien von dem erwarteten Ergebnis des Ermittlungsverfahrens überzeugen wollen.

Übermäßige Medienarbeit der Ermittlungsbehörden

Wenngleich manche Staatsanwaltschaften durchaus ihrer Verpflichtung gerecht werden, über Straftaten von besonderer öffentlicher Bedeutung ohne eine Bloßstellung des Beschuldigten zu informieren, gibt es doch leider zahlreiche Beispiele für eine solche übermäßige Medienarbeit der Ermittlungsbehörden.

So führte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe im Ermittlungsverfahren gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften einen öffentlichen und medienwirksamen Dialog mit dem Beschuldigten.

Sie beschränkte sich nicht darauf, über den Verdacht und die Durchsuchung bei ihm zu informieren. Vielmehr hielt sie die Medien in verschiedenen Pressemitteilungen über den Zwischenstand der Ermittlungen auf dem Laufenden und widersprach dabei öffentlich der Verteidigungsargumentation des Abgeordneten: Es gebe keine Anhaltspunkte, dass das beschlagnahmte Material im Zusammenhang zur Abgeordnetentätigkeit gestanden habe, teilte die Behörde mit.

Vorverurteilende Wirkung

Die vorverurteilende Wirkung solcher öffentlicher Erklärungen liegt auf der Hand, zumal möglicherweise Entlastendes unerwähnt blieb. Details aus laufenden Ermittlungen gehören nicht in Presse-Erklärungen der Ermittlungsbehörden. Sie erwecken den falschen und rechtswidrigen Eindruck, der Beschuldigte sei bereits überführt.

Ein zweites Beispiel: Ein leitender Oberstaatsanwalt erklärte öffentlich im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen einen Chefarzt wegen des Verdachts illegaler Medikamentenversuche, "die Zahl der Patienten", denen ohne Einwilligung Medikamente verabreicht worden seien, sei "noch offen". Dass der Chefarzt überhaupt Patientenversuche vorgenommen habe, stand demnach bereits fest. Später wurde das Verfahren jedoch mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Staatsanwaltschaft ließ es sich gleichwohl nicht nehmen, in einer vierseitigen Pressemitteilung diese Beendigung des Verfahrens zu relativieren.

Der aktuelle Fall einer Pop-Sängerin erreicht eine neue Dimension. Man mag die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Prominenz der Beschuldigten und der Schwere der vorgeworfenen Tat grundsätzlich eine Unterrichtung der Medien, inklusive Identifizierung der Frau, durch die Staatsanwaltschaft erwogen werden konnte.

Wie dem auch sei: Die Staatsanwaltschaft teilte nicht nur mit, dass gegen die Sängerin wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung ermittelt werde. Sie offenbarte im gleichen Atemzug die HIV-Infektion der Beschuldigten und gab (vermeintliche) Details aus deren Sexualleben bekannt. Damit gab ein Hoheitsträger, der doch die Grundrechte eines Menschen zu wahren und zu schützen hat, das Intimleben einer Beschuldigten der ungezügelten öffentlichen Erörterung preis.

Massive Persönlichkeitsrechtsverletzung

Eine solche massive Persönlichkeitsrechtsverletzung hätte kein Medienunternehmen wagen dürfen. Nachdem aber eine Staatsanwaltschaft als sogenannte "privilegierte Quelle" den Medien eine Steilvorlage für den öffentlichen Eingriff in die Intimsphäre lieferte, ließ sich die Berichterstattung des Boulevards faktisch nicht mehr aufhalten. Die damit verbundenen Konsequenzen für das Leben der Sängerin sind unumkehrbar. Egal wie das Strafverfahren ausgeht, das Stigma wird bleiben.

Daher gilt: Die Staatsanwaltschaften müssen ihre Öffentlichkeitsarbeit dringend an den rechtlichen Maßstäben für eine zulässige Verdachtsberichterstattung der Medien ausrichten. Die Auskunftspflicht der Staatsanwaltschaften gegenüber den Medien ist begrenzt und darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie Grundrechtsverletzungen legitimiert.

Im Gegenteil: Ermittlungsbehörden sind verpflichtet, weder direkt noch indirekt - etwa durch Wertungen - den Eindruck zu erwecken, mit dem Verdacht sei schon alles bewiesen. Sie müssen auf öffentliche Rechtfertigungen ihres Vorgehens verzichten und die Privat- und Intimsphäre - auch von Prominenten - respektieren.

Außerdem: Beabsichtigt eine Staatsanwaltschaft die Medien über ein Ermittlungsverfahren zu unterrichten, muss sie zuvor den Beschuldigten darüber informieren. Anderenfalls hat dieser keine Chance, die Veröffentlichung rechtswidriger Pressemitteilungen zu verhindern oder sich publizistisch und rechtlich für das Medienecho zu wappnen.

Den Betroffenen stehen nicht nur gegen eine unzulässige Verdachtsberichterstattung der Medien schnelle und effektive Instrumente bei den Pressekammern der Landgerichte zur Verfügung. Auch eine rechtswidrige Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden muss und wird zunehmend von den Gerichten überprüft werden.

© SZ vom 20.04.2009/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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