Fall Dennis J.:Polizeischüsse "ohne Rechtsgrundlage"

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Achtmal soll ein Polizist auf den unbewaffneten 26-jährigen Dennis J. gefeuert haben. Gutachten zeigen nun: Die Schüsse waren wohl nicht gerechtfertigt.

Der tödliche Schuss eines Berliner Polizisten auf einen unbewaffneten Straftäter am Silvesterabend 2008 war nach bisheriger Einschätzung der Ermittler durch nichts gerechtfertigt. "Gutachten haben bestätigt, dass der erste, tödliche Schuss aus kurzer Distanz abgegeben wurde", sagte die Neuruppiner Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper.

Dennis J.: Ein Polizist soll aus kurzer Distanz auf den 26-Jährigen gefeuert haben. (Foto: Foto: ddp)

Der mit Haftbefehl gesuchte Intensivtäter Dennis J. - auf sein Konto gingen fast 160 Straftaten von Einbruch bis zu gefährlicher Körperverletzung - war am 31. Dezember 2008 im brandenburgischen Schönfließ durch den Schuss in die Brust getötet worden. Gegen den Beamten wird wegen des Verdachts des Totschlags ermittelt.

Nach dem tödlichen Treffer soll er noch siebenmal auf den 26-Jährigen gefeuert haben. "Sechs der Schüsse zielten nicht auf den Körper", sagte Lodenkämper, die einen Bericht der Märkischen Allgemeinen bestätigte. Zu der achten Kugel wollte sie sich nicht äußern. "In der Gesamtbewertung sind die Gutachten belastend." Wie wahrscheinlich nun eine Anklage gegen den zur Tatzeit 34-Jährigen ist, wollte die Oberstaatsanwältin aber nicht sagen.

Im Visier der Staatsanwaltschaft stehen auch zwei Kollegen des Mannes. "Die Ermittlungen gegen sie zum Verdacht der versuchten Strafvereitelung dauern ebenfalls noch an", sagte Lodenkämper. Beide wollen am Tatort nichts gehört oder gesehen haben.

Die Berliner Beamten hatten am Silvesterabend einen Tipp bekommen, dass sich der gesuchte Dennis J. in Schönfließ aufhält. Schon zweimal war der 26-Jährige aus Neukölln den Fahndern entwischt. Einmal besprühte er einen Beamten mit Pfefferspray, ein anderes Mal raste er in einer Hollywood-reifen Verfolgungsjagd quer durch Berlin und wurde schließlich gestoppt. Deswegen wurde er laut Staatsanwaltschaft zu 13 Monaten Gefängnis verurteilt, die Haftstrafe trat er aber nicht an.

Das Szenario, wie es die Gutachten jetzt zeichnen: Während Dennis J. am Steuer seines Wagens in einer Parkbucht auf seine Freundin wartete, feuerte der Berliner Polizist "ohne Rechtsgrundlage" aus nächster Distanz, wie Lodenkämper sagte.

Der 26-Jährige versuchte daraufhin, noch mit dem Wagen zu flüchten - der Berliner Beamte aber schoss weiter - "bis das Magazin leer war", hieß es in einer Pressekonferenz nach dem Vorfall. Die Hintergründe des Geschehens sind bis heute unklar. Im Raum steht Rache als Motiv - der Polizist sei sauer gewesen, dass ihm der Straftäter schon zweimal entwischt war, hieß es in Medien.

Die Staatsanwaltschaft gibt dazu keinen Kommentar ab. Der Polizist selbst schweigt bisher zu den Vorwürfen. Lodenkämper rechnet nicht vor September mit dem Abschluss der Ermittlungen.

Am Samstagabend erinnerten nach Polizeiangaben rund 170 Menschen in Neukölln mit einer Trauer- und Gedenkfeier an das Opfer. Bereits kurz nach den Ereignissen von Schönfließ hatten dort rund 200 Menschen bei einem Trauermarsch gegen den tödlichen Polizeieinsatz protestiert. Damals hatte der Schwager des Getöteten gesagt: "Wir alle haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren."

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