Exportschlager "Sprache":Kirushuwassa im Ruckusacku

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Die fremden Völker können nicht ohne Rucksack, Schnitzel, Walzer oder Kirschwasser leben. Deshalb werden diese und andere Begriffe in Fremdsprachen eingedeutscht.

Von Kassian Stroh

Der durchschnittliche Japaner arbeitet laut Tarifvertrag 39,2 Stunden in der Woche, der Deutsche dreieinhalb weniger. Dafür bekommt ein Japaner gerade mal 18 Urlaubstage, ein Deutscher immerhin 30. Macht jährlich 1803 Arbeitsstunden in Japan gegenüber 1557 hierzulande.

Arbeiten scheint also eine recht japanische Angelegenheit zu sein. Und doch ist "Arbeit" für Japaner ein Fremdwort, ein deutsches gar: "arubeito" heißt sie dort - auch wenn der Begriff nach einem Bedeutungswandel heute nur noch Nebenjobs bezeichnet.

"Arubeito" ist nicht das einzig Deutsche im Japanischen. Dort gibt es auch den "ruckusacku" (Rucksack), das "kirushuwassa" (Kirschwasser) oder den "suprechchoru" (Sprechchor), womit etwa die "Nieder-mit-Koizumi!"-Parolen auf Tokioter Demos bezeichnet werden.

Ungefähr 5000 Begriffe mit deutschsprachiger Wurzel stünden im "Kojien", dem japanischen Pendant zum Brockhaus, sagt Rafael Beermann, Japanologe von der Universität Duisburg.

Das habe historische Gründe: Zur Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich Japan gegenüber dem Westen, unter anderem dem aufstrebenden Preußen, geöffnet und Wissen aus Medizin, Rechts- oder Heerwesen importiert. "Alles, was aus dem Westen kam, war gut", sagt Beermann.

Viele Begriffe seien übernommen worden, statt neue zu erfinden. Vor allem habe das für die Medizin gegolten. Seinerzeit wurden japanische Ärzte zur Ausbildung nach Deutschland geschickt - bis in die 80er Jahre führten sie ihre Akten in Deutsch.

Nicht nur ins Japanische haben viele deutsche Begriffe Eingang gefunden. Exportschlager schlechthin sind etwa Nickel und Quarz, die sich in zehn anderen Sprachen - von Finnisch über Russisch bis Türkisch - wiederfinden.

Schnitzel ist so wichtig wie Walzer

Sie führen die Liste der "erfolgreichsten deutschen Wörter" an, die die Duden-Redaktion unlängst zusammengestellt hat. "Im Mittelalter lagen die Zentren des Bergbaus und des Hüttenwesens im deutschsprachigen Raum", erklärt Evelyn Knörr von der Duden-Sprachberatung.

Die deutschen Experten seien im Ausland gefragt gewesen - mit ihnen gingen die Wörter um die Welt. Ein Exportschlager auch die Musik: Walzer kennt man heute in acht anderen Sprachen, das Lied immerhin in sechs - was somit international gleichermaßen bedeutend ist wie Schnitzel.

Angesichts von Klagen über eine zunehmende Flut von Anglizismen im Deutschen ist zu bemerken, dass auch das Englische ärmer wäre ohne altbewährte deutsche Anleihen. Dann gäbe es weder "bratwurst" noch "gemütlichkeit, weder "weltschmerz" noch "zeitgeist", und das einstige "fräuleinwunder" oder die "ostpolitik" scheinen wie "wunderkind" durch und durch deutsche Erfindungen zu bleiben.

Dass man in England und den USA in den "kindergarten" geht, hat sich herumgesprochen, weniger bekannt ist, dass den auch der spanische Nachwuchs besucht. Wie sehr solche Sprachadaptionen historisch geprägt sind, zeigt sich vor allem im Japanischen.

Dort wurde in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts Baseball zwar sehr populär, als im Zweiten Weltkrieg Japan aber gegen die USA kämpfte, seien Begriffe wie "base" oder "strike" verboten und durch japanische Wörter ersetzt worden, sagt Japanologe Beermann.

Ein Schicksal, das deutschen Wörtern damals erspart geblieben sei. Die litten heute allerdings an der amerikanischen Dominanz etwa in der Medizin. Zwar heiße die Patientenakte noch immer "karu-te" (Karte), sagt Japan-Experte Beermann, ansonsten spiele das Deutsche aber kaum noch eine Rolle in der Medizin.

Dass Deutschland den Japanern wieder zum Vorbild werde, darum müsse es sich doch sehr bemühen. Aus neuerer Zeit sei immerhin ein Neuzugang ins Japanische zu melden: Im Zuge der Studentenproteste in den 60er Jahren gibt es auch im Japanischen nun die "gewalt".

© SZ vom 11.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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