Essay aus dem SZ-Rückblick:Es war einmal ein Bär

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Selten hat ein Grenzgänger in Bayern so viel Aufmerksamkeit erregt. Die gesamte Weltpresse berichtete über Bruno. Nur nutzte das dem Braunbären wenig.

Martin Zips

Am Ende schenkte ihm die Neue Zürcher Zeitung fast ihre ganze erste Seite. Der Wiener Standard druckte eine Todesanzeige: "Nach wilder Futtersuche und aufregendem Behördentreiben unter großer medialer Anteilnahme erschossen." Die New York Times, der Guardian - sie alle widmeten ihm anspruchsvolle Artikel.

Bruno - Ein Problembär auf Abwegen. (Foto: Foto: dpa)

Und El País aus Madrid diagnostizierte, die deutsche Obrigkeit sei wohl zu sehr mit der Fußball-WM beschäftigt gewesen. Deshalb habe sie in der "Handhabung eines wilden Bären" versagt.

Eine derartige Medienpräsenz eines Tieres hatte es seit den frühen Erfolgen von Mickey Maus, Duffy Duck und dem rosaroten Panther nicht mehr gegeben. Diesmal blickte die Welt nach Bayern. Ein Bär war aufgetaucht. Der erste seit 1835.

Fast sechs Wochen lang irrte der zweijährige Braunbär durch das bayerisch-tirolerische Grenzgebiet. JJ1 hieß der Grenzgänger zunächst - das Südtiroler Amt für Jagd und Fischerei hatte bei einer genetischen Analyse seiner Haare herausgefunden, dass er der erste Sohn von Joze und Jurka war, zwei Bären aus dem Trentino. JJ1 stammte, so viel war klar, aus schwierigen sozialen Verhältnissen.

Der Bär muss weg

Die Mutter, ein rabiates 100-Kilo-Flittchen, der Vater ein Versager. Seine Tanten kamen in Lawinen und bei Verkehrsunfällen um, sein Cousin wurde als Baby von einem Adler geraubt. Das muss so ein Bär alles erst einmal aushalten. Dann, Mitte Mai, kam er über die Alpen. Fast drei Dutzend Schafe, ein Hase, ein Meerschweinchen, Tauben, Hühner - was hatte er nicht bald alles auf dem Gewissen.

Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf erklärte ihn zum umgehend abschießbaren Problembären, was den interessanten Effekt hatte, dass sich plötzlich jeder auch außerhalb bayerischer Wälder von Problembären umgeben sah. Der halbstarke Bär erschütterte das deutsche Gefühl von Ruhe, Ordnung und Sicherheit.

Also legte sich die ganze Nation auf die Lauer. Suchte nach abgeknickten Zweigen, frischen Spuren und geplünderten Bienenstöcken. Und weil den Menschen der Bär plötzlich auch irgendwie ans Herz gewachsen war, wurde JJ1 einfach umgetauft. Bruno klang doch viel netter. Bald gab es Bruno als Computerspiel, als Stofftier oder Süßigkeit. Es gab Bruno-Postkarten und Solidaritäts-T-Shirts mit dem Aufdruck "Ihr kriegt mich nicht".

Extra wegen Bruno aus Finnland eingeflogen: Bärenfänger mit ihren Spürhunden. (Foto: Foto: dpa)

Und es gab diesen wunderbaren Edmund-Stoiber-Satz: "Äh, wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bären, dem Schadbär und dem, äh, Problembär. Und, äh, es ist ganz klar, dass, äh, dieser Bär, äh, ein Problembär ist und es ist im Übrigen auch, im Grunde genommen durchaus ein gewisses Glück gewesen, er hat um ein Uhr nachts praktisch diese Hühner gerissen. Und Gott sei Dank war in dem Haus, äh, war, also jedenfalls ist das nicht bemerkt worden. Auf Grund von, äh, es ist nicht bemerkt worden."

Trotz Fußball-Wahnsinn und Otti Fischers Puffaffäre - Bruno interessierte plötzlich jeden. Wie schaffte es dieser Italiener bloß, den bayerischen Ministerpräsidenten, die Staatsregierung, ein deutsch-österreichisches Jagdkommando, finnische Hundeführer, einen kompletten Krisenstab sowie die Besatzung eines Polizeihubschraubers derart unverschämt zum Narren zu halten? Das verdient doch auch Respekt, irgendwie. Auch, wenn sich gleichzeitig natürlich niemand wünschte, Bruno möge bei ihm mal im Garten Meerschweinchen anknabbern.

Am Ende dann wollte es niemand gewesen sein. Der Förster vom Spitzingsee nicht, seine Kollegen nicht, und beim Bayerischen Landesjagdverband wusste man auch nicht, wer es war. Es hieß, drei "jagdkundige Personen" hätten Bruno am 26. Juni im oberbayerischen Rotwandgebiet um 4.50 Uhr erschossen. Ein Schuss aus 150 Meter Entfernung. Das war's. Seitdem fühlen sich die Deutschen wieder sicher. Nur die namenlosen "jagdkundigen Personen" dürften unruhig schlafen. Wegen der zähnefletschenden Tierschützer, die ihnen nachts im Traum erscheinen.

© Diesen Text und andere Essays finden Sie in der Sonderausgabe der <i>Süddeutschen Zeitung </i>zum Jahr 2006. Der Jahresrückblick ist vom 9. Dezember an im Handel erhältlich, der Preis beträgt fünf Euro. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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