Erster deutscher Helfer aus Birma zurück:"Man kann Leichen riechen"

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Alexander Richter war eine Woche lang in Birma, um mit einem Erkundungsteam der Johanniter-Unfallhilfe die Lage zu sondieren. Heute berichtete er in Berlin von der Situation nach dem Sturm.

Daniel Steinmaier, Berlin

Alexander Richter zieht die Augenbrauen nach oben und versucht die Müdigkeit aus seinem Gesicht zu vertreiben. "Um das Fazit gleich vorweg zu sagen: So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt der 38-jährige Katastrophenhelfer, der gestern aus Birma zurückgekehrt ist. Rund eine Woche haben er und drei andere Mitarbeiter der Johanniter-Unfallhilfe im vom Tropensturm Nargis verwüsteten Birma die Lage sondiert, jetzt sitzt er in Berlin vor deutschen Journalisten und versucht die Situation zu beschreiben, die er und sein Erkundungsteam dort vorfanden.

Im Katastrophengebiet zeigt sich den Helfern ein chaotisches Bild. (Foto: Foto: Richter)

"Wir sind nicht einmal bis ins Katastrophengebiet vorgedrungen", sagt Richter, der von den Kontrollposten der Junta nicht in das vom Sturm am stärksten betroffene Irrawaddy-Delta durchgelassen wurde. "Den eigentlichen Horror habe ich gar nicht gesehen", sagt der Hamburger. Aber das, was sein Team im Umkreis des Gebietes gesehen habe, sei "sprachraubend" gewesen.

Dabei ist das vom Wirbelsturm verwüstete Birma nicht das erste Katastrophengebiet, in dem Richter zu helfen versucht. Im Vergleich zu ähnlichen Katastrophen stünden die Helfer in Birma aber vor bisher unbekannten Problemen. "Man darf keine Handys mit ins Land nehmen", sagt Richter, auch die Einfuhr von Funkgeräten oder Satellitentelefonen habe die in Birma herrschende Militärjunta untersagt. "Die Internetseiten, die wir zur Kommunikation nutzen wollten, wurden systematisch blockiert", sagt Richter. "Die Regierung verhindert jede Form moderner Kommunikation."

Den Helfern, die in Birma versuchen, die Hilfsorganisationen zu koordinieren und herauszufinden, wie trotz der Verweigerungshaltung der Militärs Hilfe zu den Menschen kommen kann, bleibt nichts anderes übrig, als sich persönlich zu treffen. "Man kann nicht anrufen und Mitarbeiter fragen, was sie in diesem oder jenem Ministerium erreicht haben", sagt Richter, "man muss weite Strecken zurücklegen, um sich zu sehen." Das koste Zeit. "Zeit bedeutet in dieser Situation Menschenleben."

Alexander Richter und sein Erkundungsteam waren vor Ort, um den Hilfsbedarf der Zyklonopfer zu ermitteln. Das Ergebnis fasst Richter knapp zusammen: "Es fehlt an allem". Es mangle an Trinkwasser, an Nahrung, an Medikamenten und auch an einem Dach über dem Kopf für alle, denen der Sturm die Hütten weggerissen hat. "Jetzt beginnt die Regenzeit in Birma", sagt Richter, in der "für hiesige Verhältnisse unvorstellbare Regenmassen" fallen. "Ich erspare mir es, mir vorzustellen, was es bedeutet, diesem Regen schutzlos ausgeliefert zu sein", sagt Richter, und ballt seine Hände in den Hosentaschen seiner blauen Sanitäterhose. "Dann könnte ich vermutlich nicht mehr schlafen."

Bis jetzt könne er noch schlafen, sagt Richter. "Schreckliche Bilder zu verarbeiten ist ein langer Prozess", sagt der Katastrophen-Sanitäter mit dem weißen Johanniter-T-Shirt und den schweren Stiefeln. Notfalls müsste man dazu auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

"Wir haben in Birma aber keine Leichen gesehen", betont Richter. Auf dem Weg ins Irrawaddy-Delta habe er an einer Stelle jedoch starken Leichengeruch wahrgenommen. "Dort ist ein Bambuswald", sagt er, und verbessert sich: "Dort war ein Bambuswald". Der habe Hunderte angespülte Leichen wie ein Netz aufgefangen. "Die Einwohner hatten die Leichen dort verscharrt, aber man konnte sie noch riechen."

Dass Leichen auch zwei Wochen nach der Katastrophe so ein großes Problem seien, findet der Sanitäter bezeichnend für die Situation. "Im Delta müssen die Menschen Wasser trinken, in dem noch immer Leichen schwimmen." Alexander Richter berichtet von einheimischen Lkw-Fahrern, die Hilfsgüter in das Irrawaddy-Delta gebracht haben. "Einige von ihnen weigern sich, dort nochmals hinzufahren. Die Bilder waren zu stark."

Berichte über akute Seuchengefahr weist der Johanniter jedoch vorsichtig zurück. "Bis vor 48 Stunden hat es keine Cholera-Fälle gegeben", sagt er. Dennoch könnten sich Krankheiten aufgrund der unhygienischen Zustände schnell ausbreiten.

Angesichts der Blockadehaltung der Junta und den noch immer katastrophalen Zuständen gibt es für Alexander Richter dennoch Grund zur Hoffnung. "Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist überwältigend", sagt Richter, der von vielen privaten Hilfsinitiativen berichtet. "Die Menschen sehen, dass die Regierung nichts tut. Deshalb packen sie ihre Autos mit Reis und Trinkwasser voll und fahren in das Katastrophengebiet".

Kaum Spenden für Birma

Doch die Privatinitiativen der einheimischen Bevölkerung, die die Regierung im Gegensatz zu ausländischen Helfern an den Kontrollposten passieren lässt, stünden vor großen Problemen. "Man muss sich das so vorstellen", sagt Richter. "Menschen laden vier Säcke Reis in ihr Auto, und fahren damit in eine zerstörte Stadt mit Tausenden, die hungern." Das bedeute ein "gewaltiges Sicherheitsproblem". Die Initiativen der Bevölkerung könnten daher professionelle Hilfe nicht ganz ersetzen.

Dennoch sei die Zusammenarbeit mit Birmas Bevölkerung eine Möglichkeit, Hilfsgüter zu den Betroffenen zu bringen. "Wenn wir mit diesen Menschen zusammenarbeiten, ist das für uns und für sie eine Win-win-Situation", sagt Richter.

Für schnelle und effektive Hilfe mangelt es den professionellen Helfern derzeit aber auch an Spenden aus ihren Heimatländern. "Die Spenden bleiben fast aus", heißt es bei den Johannitern. Deshalb betont Alexander Richter immer wieder, dass die Spenden dort ankommen werden, wo sie gebraucht werden. Und nicht bei der Junta, wie viele befürchten.

"Unsere Aufgabe war es, Wege zu finden, wie die Spenden nicht den Militärs in die Hände fallen", sagt Richter. Und: "Wir haben diese Aufgabe gelöst." Durch Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und mit Hilfsorganisationen, die schon länger im Land arbeiten, sollen die Spenden der Johanniter und der Aktion "Deutschland hilft" an die Zyklonopfer gelangen.

Wie genau diese Wege funktionieren, darüber hält sich Richter jedoch bedeckt. "Was neu ist an diesem Einsatz", betont er deshalb wiederholt, "sind die tendenziell konspirativen Bedingungen in Birma". Aufgrund der Militärjunta, die sich von den ausländischen Helfern bedroht sieht, muss die Hilfe unkonventionelle Wege einschlagen. Richter ist davon überzeugt, dass diese Wege funktionieren. "Die Spenden kommen an", fordert Richter immer wieder zur Hilfe für Birmas Zyklonopfer auf.

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