Erinnerungs-Fernsehen:Unser Schnellster

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Johannes B. Kerner hat als Erster das Jahr 2004 abgehakt: Es war der langweiligste Rückblick aller Zeiten - und trotzdem haben 5,63 Millionen Menschen dabei zu gesehen.

Von Hans Hoff

Sollte Günther Jauch für seinen am kommenden Sonntag anstehenden Jahresrückblick noch einen Gast brauchen, der mit einem echten Superlativ daherkommt, dann sei ihm hiermit Johannes B. Kerner ans Herz gelegt. Der viel erprobte Moderator aus dem Öffentlich-Rechtlichen könnte ja in die RTL-Show kommen und mit seinem einnehmenden Schwiegersohngrinsen erklären, wie er es am Sonntag geschafft hat, für das ZDF den langweiligsten Jahresrückblick aller Zeiten zu moderieren - und trotzdem 5,63 Millionen Menschen (Marktanteil: gewaltige 24 Prozent) vor dem Bildschirm zu halten.

Kerner würde dann erzählen, wie er es hinkriegte, 138 Minuten lang nicht eine neue Frage zu stellen, sondern lediglich brav zu repetieren, was schon hundertmal zu hören war. "Ich habe das schon so oft erzählt. Ich habe schon Angst, die Leute zu langweilen", sagte Michael ("Bully") Herbig, der als erfolgreicher Filmautor (Schuh des Manitu, Traumschiff Surprise) eingeladen war und sich offenbar die Meinung bewahrt hat, man müsse dem Publikum ab und an auch mal eine frische Wendung bieten.

Ganz im Gegensatz zu Kerner, der in seinem überdimensionierten Sessel stets ganz nach vorne rückte, dabei fast mit dem Knie auf den Boden sank und sich von Gefälligkeitsfrage zu Gefälligkeitsfrage hangelte. Er trug dazu ein Hemd in blassroter Farbe.

Das war also die Ouvertüre zum Fernsehreigen der Jahresrückblicke, die alle jene in vorderste Stellung bringen, die nach Meinung der TV-Manager besonderes Talent und das Gesicht des Senders sind. Warum man allerdings schon Anfang Dezember ins Jahr zurückschauen muss, hat wohl mit dieser großen Angst in der Branche zu tun, der Letzte zu sein - da ist man lieber zur Unzeit der Erste. Nach Kerner werden also noch Jauch, Dieter Nuhr, Marietta Slomka, Anne Will und Oliver Pocher an 2004 erinnern. Manche von ihnen wählen gleich die Form des Kabaretts.

Beim ZDF musste sich niemand fürchten bei dieser Abfolge von beliebigen Themen aus den Bereichen Show, Sport und Schicksal.

Für Show stand etwa Liselotte Pulver, die kürzlich 75 geworden war, und die lustigerweise am Sonntag auch im NDR kurz vor der ZDF-Kärrnerei zu sehen war, wie sie auf die nahezu identischen Fragen von Reinhold Beckmann antwortete; wenigstens sie ließ sich Verschiedenes einfallen.

Zu Gast bei Kerner war auch der Pro-Sieben-Unterhalter Stefan Raab, der jüngst den edlen Autohelden Ralf Schumacher und seine Frau ("Hard-Cora") verulkt hat, weil sich der Rennfahrer kurzzeitig an einem Sex-Unternehmen von Beate Uhse beteiligt hat; ein Mann wie Schumacher müsse mit solchem Spott leben, befand TV-Totalist Raab: "Wer in Hamburg Aale verkauft, heißt Aale-Dieter, wer im Lotto gewinnt, heißt Lotto-Lothar - daher muss Ralf Schumacher damit leben können, wenn man ihn Porno-Ralle nennt."

Für den Sport kamen die Trainer Otto Rehagel und Rudi Völler sowie ein paar Olympioniken hinzu, und fürs Schicksal hatte man die Sängerin Anastacia geladen. Sie singt nicht nur gern fürs ZDF und macht so Reklame für den Sender, sondern hat auch eine Brustkrebsbehandlung überstanden. Gesprächsstoff gab es genug.

Nur einmal konnte auch Kerner nicht der Belanglosigkeit entkommen - als er Gäste aus Beslan begrüßte und mit einer Mutter sprach, die bei dem Geiseldrama zwei Kinder verloren hatte. Da tat sich kurz ein Tor auf, durch das der Moderator mit seinem Gast in eine wie auch immer geartete Bedeutung hätte schreiten können. Es hätte um mehr gehen können, als öffentlich vorgetragenes Mitleid.

Ganz kurz traute sich Kerner, aber dann verließ ihn wieder der Mut und er beließ es dabei, der Mutter am Schluss des Gespräches die Hand aufzulegen. Konterkariert wurde das ehrliche Bemühen des Moderators durch die Regie: Die ließ immer wieder auf die Tochter der Befragten schwenken, die das Geiseldrama überlebt hat und nun im Publikum stumm den Ausführungen ihrer Mutter lauschte. An ihr saugte sich die Kamera fest und stellte das wehrlose Kind quälend lange aus. Das konnte man nicht mehr als dokumentarische Pflicht erklären - es war purer Voyeurismus.

Der Rest war Routine. Kerner fragte nach Formeln. Von Lilo Pulver wollte er die Glücksformel wissen, von Otto Rehagel die Erfolgsformel. Beide bekam er nicht.

So blieb diesmal ein erschreckend belangloser Formulator, der Gefahr läuft, in all seiner geschäftigen Beliebigkeit zum Olli Geißen des ZDF zu mutieren. Und das wäre schade.

Weitere Sendetermine von Jahresrückblicken

Kaum hat das ZDF mit Kerners Menschen 2004 den Anfang gemacht, folgen schon die anderen Sender mit der Aufarbeitung des Jahres.

2004 - Nuhr ein Jahr. Sat1 mag es witzig und bringt einen kabarettistischen Rückblick mit Dieter Nuhr. Freitag, 10. Dezember, 22.45 Uhr.

2004! Menschen, Bilder, Emotionen. Bei RTL klingt's nach Zirkus, mit Günther Jauch als Zirkusdirektor. Sonntag, 12. Dezember, 20.15 Uhr.

Album 2004 - Bilder eines Jahres. Mit ZDF-Ikone Marietta Slomka. Sonntag, 19. Dezember, 19.15 Uhr

Der ARD-Jahresrückblick 2004. Die Slomka der ARD heißt Anne Will, und sie zeigt die News des Jahres. Mittwoch, 22. Dezember, 23 Uhr.

Das war's - Pochers Jahresrückblick. Auf Pro Sieben darf Jungtalent Oliver Pocher auf den Schirm. Donnerstag, 23. Dezember, 22.15 Uhr.

© SZ vom 7.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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