Erdogan in Ludwigshafen:Anklagen, die nach Angst klingen

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Der Besuch des türkischen Premiers soll nach dem tödlichen Brand in Ludwigshafen aufgewühlte Gemüter beruhigen.

Bernd Dörries

Es ist ein Versuch. Der Versuch, etwas zusammenzubringen, von dem man in den vergangenen Tagen das Gefühl hatte, es habe sich ziemlich weit voneinander entfernt.

Mittlerweile geht es um das Zusammenleben von Türken und Deutschen insgesamt: Trauernde vor dem ausgebrannten Haus in Ludwigshafen. (Foto: Foto: Reuters)

Dort am Absperrgitter vor dem ausgebrannten Haus in Ludwigshafen, wo gestern nur eine türkische Flagge hing, haben die Menschen nun gleich daneben auch eine deutsche angebracht. Wenige Meter davor stehen der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Kurt Beck, der Regierungschef von Rheinland-Pfalz. Auch sie versuchen, etwas Ruhe in die angespannte Situation zu bringen.

Beck sagt, man trauere genauso so tief, als wären die Opfer Deutsche gewesen, und man werde alles tun, um zu klären, warum in Ludwigshafen am Sonntag neun Türken ums Leben kamen. "Das Unglück wird uns nicht auseinanderbringen. Wir sind in Trauer vereint", sagt Beck.

Als Erdogan vor das Mikrofon tritt, jubeln die Menschen vor den Absperrgittern: Unser Premier ist der Größte, rufen sie. Er spricht viel länger als Beck, es wird ein Abriss der deutsch-türkischen Beziehungen. Von den Gastarbeitern bis in die Gegenwart.

Erdogan bedankt sich mehrmals bei der deutschen Polizei und Feuerwehr für deren Einsatz, ohne den es noch mehr Tote zu beklagen gegeben hätte. Er sagt aber auch, man hoffe auf eine schnelle Klärung des Falls und werde den Fortgang genau beobachten. Es ist ein moderaterer Erdogan als noch vor Tagen, als er selbst das Stichwort Solingen in die Diskussion brachte.

Freundschaft oder Hass

Nun bittet Erdogan vor allem die türkischen Medien, "nicht in großen Buchstaben Dinge zu vermelden, die der Freundschaft beider Länder Schaden zufügen könnten". Er sagt auch: "Unsere Trauer soll eine stille Trauer sein."

Es ist die Frage, ob die Botschaft ankommt. Ob es für die Mäßigung auch genug Publikum gibt.

Wenige Minuten, bevor Erdogan am Ort des Unglückes ankam, hatten sich die meisten Kameras auf einen Menschen gerichtet, der ein Plakat am Zaun anbrachte. "Gestern Solingen, heute Ludwigshafen", steht darauf.

Nicht alle, die in der Menge warteten, hielten das für eine gute Idee. Aber letztlich ist so das Spektrum der Meinungen oder Verdächtigungen. Hier das Plakat, das an Solingen erinnert. Und wenige Meter weiter, die deutsche und die türkische Flagge nebeneinander.

Freundschaft oder Hass. Das ist die Frage. Dabei sind in Ludwigshafen vor allem neun Menschen im Feuer gestorben. Warum, weiß man noch nicht.

Per Satellit hin und zurück

Eigentlich wähnte sich Ludwigshafen gut vorbereitet auf ein Feuer, ein Unglück, eine Katastrophe. So weit das eben geht. Die Stadt am Rhein besteht zu einem großen Teil aus den Fabrikationsanlagen des Chemiekonzerns BASF. Und weil Chemie eine heikle Sache ist, gibt es in Ludwigshafen ziemlich viele Feuerwehren, viel mehr als in anderen Städten dieser Größe. Das örtliche Krankenhaus hat sich auf Brandverletzungen spezialisiert.

Aber auf das, was seit Sonntagabend passiert, konnte sich die Feuerwehr nicht vorbereiten. Ihr Chef war am Mittwoch in Tränen ausgebrochen, weil ein Feuerwehrmann von einem Türken verprügelt worden war, die Einsatzkräfte werden bei Einsätzen von der Polizei begleitet. Polizeipräsident Wolfgang Fromm sagt: "Hier werden Retter zu Mördern gemacht." Es ist in Ludwigshafen fast schon so weit, dass sich alle als Opfer fühlen.

Die Feuerwehr, weil ihr viele türkischen Medien vorwerfen, nicht schnell genug am Haus gewesen zu sein, in dem am Sonntag neun Menschen starben. Vor dem Haus stehen Türken, die über die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland überhaupt reden, auf die fremdenfeindlichen Graffiti am Haus zeigen und von Drohanrufen Rechtsradikaler berichten, die die Familie bekommen habe.

Auf einer Pressekonferenz am Montag fragte ein Journalist, der wie die Opfer der Glaubensgemeinschaft der Aleviten angehört, die Oberbürgermeisterin, ob sie es für eine gute Idee halte, wenn die Türkei nun eigene Ermittler schicke, während in der Türkei so viele Morde an der unterdrückten Minderheit der Aleviten auf Aufklärung warten. Andere türkische Journalisten beschimpften ihn daraufhin als "Nestbeschmutzer". Die Oberbürgermeisterin saß ratlos da und schwieg. Es gibt so viele offene Fragen.

Irgendwann in den nächsten Tagen, hoffen die Ermittler, in der Ruine klären zu können, ob es sich um einen Anschlag handelte oder einen technischen Defekt. Derzeit gibt es keine neuen Erkenntnisse, keine Ursache wird ausgeschlossen.

Aber die Antwort auf diese Frage, wenn sie gefunden werden kann, wird womöglich auch nicht alle zufriedenstellen. Es geht mittlerweile nicht nur um die Ursache eines schrecklichen Brandes, sondern auch um das Zusammenleben von Deutschen und Türken überhaupt. Um türkische Innenpolitik, um die Lage der Aleviten am Bosporus.

Ali Ertan Toprak, der Generalsekretär der Aleviten in Deutschland, hat sich bei der Feuerwehr für ihren Einsatz bedankt und die "hetzerische Spekulationen durch die türkische Medien" kritisiert. Von deren Vertretern vor dem ausgebrannten Haus in Ludwigshafen sei er wegen seiner Worte ständig angefeindet worden. Es sind Konflikte, die die Feuerwehr in Ludwigshafen nicht lösen kann.

Viele Kameras sind auf Erdogan und auf das Haus in Ludwigshafen gerichtet, und viele von ihnen werden ihre Bilder vor allem in die Heimat senden - und von dort werden sie über einen Satellit wieder die Stimmung vieler Türken in Deutschland beeinflussen. Es ist selten so klar geworden, wie verschieden die Kommunikationskanäle von Menschen in diesem Land sind.

Lale Akgün, Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, meint, der Besuch Erdogans diene dazu, die Brandkatastrophe von Ludwigshafen auch zur innenpolitischen Profilierung zu nutzen.

Container für die Trauernden

Es melden sich ziemlich viele zu Wort. Der Deutschen Feuerwehrverband will mehr Migranten anwerben und die Integration fördern, Ministerpräsident Beck wünschte sich vom SWR, dass der Sender am Sonntag auf die Ausstrahlung des Tatorts verzichtet.

In der geplanten Folge ermittelt Kommissarin Odenthal ausgerechnet im türkischstämmigen Teil der Gesellschaft Ludwigshafens. Es geht auch um Zwangsheirat. Mit Blick auf die "Sensibilität der Bevölkerung" halte er es für besser, den Film im Moment nicht auszustrahlen, sagte Beck.

Der SWR hat die Folge verschoben, Intendant Peter Boudgoust sagte, man wolle die Gefühle der großen Trauergemeinde nicht verletzen. Becks Aufruf aber verbat er sich.

Die Diskussionen um den Brand haben sich mittlerweile so weit von den eigentlichen Opfern entfernt, dass kaum jemand weiß, wer da eigentlich gewohnt hat in dem Haus am Danziger Platz. Die meisten Opfer stammen aus Gaziantep, eine Stadt im Südosten der Türkei. Es ist eine Großfamilie mit vielen Kindern, die in der Türkei bei Hochzeiten und Festen mit ihren Musikinstrumenten aufgetreten ist. Dafür waren sie bekannt in Gaziantep und sind es auch in Ludwigshafen, wo sie außerdem zwei Läden betreiben.

Trauer zwischen Spielautomaten

Lebensfrohe Menschen seien es, sagen die Freunde. Die Familien aus dem abgebrannten Haus sind bei Freunden und Verwandten untergekommen. In den ersten Tagen nach dem Brand trafen sie sich tagsüber in einem Billardcafé, um den Besuch zu empfangen, die Anteilnahme entgegenzunehmen. Trauer zwischen Spielautomaten.

Mittlerweile kommen die Angehörigen im Stadtteilzentrum an der Bahnhofsstraße zusammen, wo es genug Platz gibt für die Trauernden. Davor sollen noch Container aufgestellt werden, so viele kommen.

Kamil Kaplan, 32, hat auch in dem Haus am Danziger Platz gewohnt. Als es brannte, stand er auf dem Balkon und hielt seinen kleinen Neffen Onur in Händen. Hinter ihm zogen Rauchschwaden aus dem Haus.

Es ließ den das elf Monate alte Baby fallen, aus dem dritten Stock, es gab keine andere Möglichkeit. Unten stand ein Polizist, der den Kleinen auffing. Es geht ihm wieder gut, Onur wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Kaplan sagt, er wolle sich bei Polizei und Feuerwehr bedanken. Es gelte jetzt, Ruhe zu bewahren: "Wir sind alle Menschen."

© SZ vom 08.02.2008/cag/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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