Erdbebenopfer aus Sichuan:Provokativer Prozess

Schulgebäude wackelig wie Tofu - das kostete bei dem Erdbeben in Sichuan Tausenden Kindern das Leben. Jetzt reichen die Eltern Klage gegen Chinas Behörden ein.

Henrik Bork

Gerichtsklagen gegen Chinas kommunistische Behörden sind selten. Noch seltener sind sie erfolgreich. Eine Gruppe Eltern aber, die beim Erdbeben vom 12. Mai ihre Kinder verloren haben, lässt sich davon nicht abschrecken. "Wir fordern Gerechtigkeit für unsere toten Kinder", sagt Sang Jun, einer der Väter. Gemeinsam haben sich 58 Eltern einen Anwalt gesucht.

Erdbebenopfer aus Sichuan: Begraben in den Trümmern der Schule: Jetzt fordern die Eltern Gerechtigkeit für ihre toten Kinder.

Begraben in den Trümmern der Schule: Jetzt fordern die Eltern Gerechtigkeit für ihre toten Kinder.

(Foto: Foto: AP)

Anfang Dezember haben sie beim Zweiten Mittleren Volksgericht von Deyang eine Klage gegen die Schulbehörden, den Schuldirektor und die Baufirma eingereicht, deren Korruption ihrer Meinung nach für den Einsturz der wackeligen Schule mitverantwortlich war.

Die Klage ist mutig - und sie liegt im Trend. Sie ist ein Beispiel für das erstarkende Rechtsbewusstsein chinesischer Bürger, die immer häufiger vor Gericht ziehen. Vor wenigen Wochen hatten die Angehörigen von 63 Opfern des chinesischen Milchpulverskandals versucht, eine Sammelklage gegen die Firma Sanlu einzureichen. Sechs Säuglinge waren an Milch gestorben, die mit Melamin gepanscht war, mehr als 290.000 Kinder erkrankten. Das Obere Volksgericht der Provinz Hebei wies die Klage ab.

Auch die Klage der Erdbebenopfer aus Sichuan hat wenig Aussicht auf Erfolg. Regierung und Partei stehen in China noch immer über dem Gesetz. Die Richter sind nicht unabhängig, sondern werden von der Kommunistischen Partei eingesetzt und kontrolliert. "Sie haben enormen Druck auf uns ausgeübt, die Klage zurückzuziehen", sagt Sang Jun.

"Lokale Beamte besuchten jeden Einzelnen von uns und redeten auf uns ein", sagt Sang. Er hatte bei dem Erdbeben seinen elfjährigen Sohn Xingpeng verloren. Ein Mitglied der Gruppe war vorübergehend sogar festgenommen worden, zur Einschüchterung. Ein Richter hat angedeutet, die Klage könne abgewiesen werden. Eine offizielle Mitteilung stand am Dienstag aber noch aus.

Doch unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ist die Tatsache bemerkenswert, dass die Eltern und ihr Anwalt aus Shanghai die Klage überhaupt gewagt haben. Noch vor einem Jahrzehnt hätten sich in China lediglich Dissidenten so etwas getraut - und wären umgehend verhaftet worden. Nun sind es immer häufiger einfache Bürger, die Gerechtigkeit fordern. "Niemand sonst untersucht die korrupten lokalen Beamten, die für den Einsturz der Schule verantwortlich sind", sagt Sang Jun.

127 Kinder starben in den Trümmern der Grundschule Nummer Zwei in Fuxin, als das schwere Erdbeben im Mai die Provinz Sichuan heimsuchte. Beinahe alle anderen Gebäude in Fuxin waren stehengeblieben. Medien hatten berichtet, dass Geld zum Bau der Schule von korrupten Beamten und Geschäftsleuten veruntreut worden war, die dann beim Schulbau zu viel Sand in den Zement gemischt hatten.

In Sichuan waren mehrere tausend solcher sogenannten Tofu-Schulen eingestürzt, weil sie schon vor dem Beben so wackelig wie ein Stück Tofu waren. Bis zu 10.000 der 88.000 Todesopfer könnten laut Schätzungen Schulkinder gewesen sein. "Die Zentralregierung hat uns nach dem Beben Aufklärung versprochen, aber das ist nicht geschehen. Wir wollen, dass die Lokalbehörden ihre Verantwortung übernehmen", sagt Guo Guangyun, ein weiterer Kläger.

Chinas oberste Parteiführer reden seit langem davon, angeblich einen Rechtsstaat aufbauen zu wollen. Neu ist, dass sie von ihren Bürgern beim Wort genommen werden.

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