Engagement liegt im Trend:Taten statt Träume

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Seitdem alle Welt von der Klimakatastrophe redet, haben Umweltorganisationen großen Zulauf - zum Beispiel Greenpeace.

Arno Makowsky

Manchmal, wenn Klaus Müller nicht schlafen kann, steht er morgens um halb vier auf und schreibt seine spontanen Gedanken auf ein Blatt Papier. Neulich, sagt er, hatte er um diese Zeit die Idee, am nächsten Tag beim Gaststättenverband anzurufen und nachzufragen, was man dort gegen den Einsatz von Gen-Ölen zu tun gedenke.

Es sei nämlich völlig klar, dass mindestens 20 Prozent aller Gaststätten mit gentechnisch verändertem Öl arbeiten - "und so etwas lässt mir keine Ruhe".

Klaus Müller ist 48 Jahre alt und seit 19 Jahren bei Greenpeace aktiv. Ehrenamtlich. Ein bisschen sieht man ihm seine Überzeugungen schon äußerlich an; er trägt Vollbart, gelbes T-Shirt und eine verwaschene blaue Hose, und wenn er in die Kellerräume des Münchner Greenpeace-Büros hinuntersteigt, hat er meistens einen großen Ordner mit den aktuellen Fakten zur Lage der Welt dabei.

Die sieht nicht gut aus. Klimakatastrophe, Urwaldvernichtung, Zerstörung der Meere, drohende Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, "als Greenpeacer weißt du gar nicht, wo du anfangen sollst", sagt Müller. Ein Lichtblick sei allerdings, dass im Moment so großes Interesse an der Arbeit der Umweltschützer bestehe. "Neulich unser Klimavortrag - das Büro war überfüllt!"

Angst vorm Weltuntergang

Es muss wohl mit "diesem Klima-Hype" zusammenhängen, von dem Brigitte Behrens spricht, die Vorsitzende von Greenpeace Deutschland, als wir sie in einem Berliner Café treffen.

Man hat von diesem Lokal aus eine ausgezeichnete Sicht auf die jüngste spektakuläre Aktion der Umweltschützer: 17 tote Wale liegen gegenüber dem Brandenburger Tor in der brennenden Sonne, was dazu führt, dass die Aktion nicht nur außergewöhnlich aussieht, sondern auch so riecht.

Brigitte Behrens also nippt am Milchkaffee und betrachtet, wie Touristen ihre Kameras zücken und ganze Schulklassen wild diskutierend vor den toten Walen stehenbleiben. Sie selbst, sagt Frau Behrens, sei positiv überrascht, wie gut das Thema Umwelt im Moment ankomme.

Verwunderlich ist das nicht. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Nachrichtenmagazin oder eine Fernsehreportage den Untergang der Welt beschwört; die pessimistischen Klimaberichte der Vereinten Nationen korrespondieren scheinbar mit dem eigenen Empfinden: Regnet es länger als fünf Tage am Stück, ist das schon ein Beweis für den Klimawandel.

In dieser medial aufgeheizten Atmosphäre wollen viele Menschen etwas tun. Sich engagieren. Bund Naturschutz, WWF, Greenpeace, Robin Wood: Alle Umweltverbände verzeichnen im Moment einigen Zulauf. Wobei das Interesse wenig zielgerichtet zu sein scheint. Mancher schaut heute bei einer Umweltgruppe vorbei, morgen bei einer anderen - und nächste Woche bei einer Demo von Attac.

Die größte Umweltorganisation ist Greenpeace: Allein in Deutschland spenden jedes Jahr 540.000 Fördermitglieder einen Beitrag von insgesamt 40 Millionen Euro; 8000 Förderer sind im vergangenen Jahr dazugekommen. Im ganzen Land arbeiten Tausende in "Waldgruppen", bei Gentechnik-Seminaren und Aktionen zum Schutz der Meeressäuger mit, die meisten von ihnen ehrenamtlich.

Noch vor kurzem, so erinnert sich der Münchner Aktivist Klaus Müller, wurden er und Gleichgesinnte gerne mal als politisch korrekte Träumer belächelt. Das ist vorbei, sich Engagieren steht hoch im Kurs.

Wenn Greenpeace heute eine Unterschriftenliste zum Beispiel gegen das Abschlachten der Wale herausbringt, treffen die unterschriebenen Bögen in den folgenden Wochen kistenweise in der Hamburger Zentrale ein. "In erster Linie wollen alle das Klima retten", sagt Brigitte Behrens.

Der angenehme Nebeneffekt für Greenpeace ist dabei, dass auch die anderen Umweltthemen vom Publikum entdeckt werden. "Vor allem unsere Infoabende über gentechnisch veränderte Lebensmittel kommen super an", hat Klaus Müller festgestellt.

"Global denken - lokal handeln", heißt das Greenpeace-Motto. Lokal gehandelt wird an diesem Abend im Büro der Münchner Gruppe. Das liegt im Norden der Stadt, in einem Hinterhof mit alternativem Flair inklusive Edelitaliener und Solaranlage auf dem Dach, die von den "Müttern gegen Atomkraft" gesponsert wurde. Heutiger Tagesordnungspunkt: neue Mitglieder anwerben.

Die Referentin ist Anfang zwanzig, trägt blonden Pferdeschwanz und einen grauen Kapuzenpullover. "Ich bin die Nina", stellt sie sich vor und ist offensichtlich ein wenig irritiert über die Anzahl der Interessenten. Sie habe diesen Vortrag auch schon mal "nur für eine Person gehalten", wird sie danach erzählen.

Diesmal sind mehr als 40 Menschen gekommen. Einige Studenten, viele Frauen um die vierzig, auch eine Rentnerin mit weißen Haaren ist dabei. Nina hantiert etwas ungeschickt, aber sehr engagiert mit dem Beamer, zeigt dramatisch inszenierte Videos von Schlauchbootaktionen und berichtet, wie Greenpeace im Jahr 1971 mit einem Fischkutter die Atomtests in Alaska verhindert hat.

Die Leute drängeln sich in dem kleinen Raum, an der Wand hängen bunte, aus Papier ausgeschnittene Delfine an einer Schnur. Nina sagt mit eindringlicher Stimme: "Die Urwälder, die Flusslandschaften, die Schneewälder in Sibirien - wenn in den nächsten zehn Jahren nichts passiert, ist das alles weg!"

Nicht nur das Negative zeigen

Auch von den Cree-Indianern ist an diesem Abend noch die Rede sowie von der Tatsache, dass dank Greenpeace heute praktisch keine Ölplattformen mehr gebaut würden. Mag sein, dass der Vortrag der jungen Frau ein wenig naiv klingt - die Zuhörer sind sichtlich begeistert.

Die meisten von ihnen haben von der Veranstaltung aus dem Internet erfahren, ernsthaft bei Greenpeace mitarbeiten will allerdings kaum einer. Ein junger Mann, von Beruf Speditionskaufmann, sagt: "Ich finde, dass Menschen, denen es so gut geht wie uns, etwas zurückgeben müssen." Was genau er zurückgeben will, weiß er noch nicht.

Die Rentnerin berichtet, sie habe "schon viel in der Richtung gemacht". Wobei es das letzte Mal nicht so gut gelaufen sei; eine Gefangenen-Organisation hatte sie angeworben, um mit Häftlingen im Gefängnis Stadelheim "Mensch-ärgere-dich-nicht" zu spielen. Blöd war nur, dass die Gefangenen eigentlich gar keine Lust auf Mensch-ärgere-dich-nicht hatten.

Am Ende nehmen die meisten einen Aufnahmeantrag mit. Unter dem Punkt "spezielle Kenntnisse" kann man Fähigkeiten wie "Klettertraining" oder "Schlauchbootfahren" ankreuzen. Dabei sind es genau diese klassischen Greenpeace-Aktionen, die bei vielen Interessenten am wenigsten ankommen.

"Ich finde, die sollten nicht nur das Negative zeigen, sondern konstruktiver sein", sagt ein Medizinstudent. Solche Äußerungen hat man bei Greenpeace Deutschland schon als Trend ausgemacht. Immer wichtiger, beteuert Frau Behrens, seien für ihre Organisation "neue Kommunikationsformen". So habe man einen Ratgeber zum Thema Gentechnik beinahe zwei Millionen mal verteilt.

Auch Klaus Müller, der Münchner Aktivist, hat beste Erfahrungen mit einem Ratgeber gemacht. Er kenne immer mehr Leute, die nur noch mit der aktuellen "Gen-Alarm-Liste" einkaufen gingen. "Da kannst du jedes Produkt erstmal abchecken, ob manipulierte Lebensmittel drinstecken."

© SZ vom 6.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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