"Ehrenmord" in Hamburg:Opfer wurde von Familie misshandelt

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Die 16-Jährige, die von ihrem Bruder erstochen worden ist, wurde monatelang von der gesamten Familie geschlagen, gewürgt und getreten.

Neue Einzelheiten im Hamburger "Ehrenmord"- Fall: Die vor rund zwei Wochen von ihrem Bruder erstochene Deutsch- Afghanin Morsal O. wurde über Monate von ihrer gesamten Familie misshandelt. Das geht aus einer bislang nicht veröffentlichten Antwort des Hamburger Senats auf eine schriftliche Anfrage der SPD- Bürgerschaftsfraktion hervor. Demnach wurde die 16-Jährige auch von ihren Eltern, einer Schwester und ihrem kleineren Bruder geschlagen, gewürgt und getreten. Unterdessen verschärfte sich die Auseinandersetzung um Morsals Tod zwischen SPD-Opposition und dem schwarz-grünen Senat, da ein Entwurf der Justizbehörde und die Senatsantwort laut SPD voneinander abweichen.

Seit November 2006 sei Morsal O. von ihren Eltern wiederholt geschlagen und getreten worden, heißt es in der Senatsantwort. Zudem wurden drei Angriffe ihrer Schwester registriert. Erst wenige Tage vor deren gewaltsamen Tod Mitte Mai hatte der Vater seine Tochter erneut getreten. Als das Mädchen daraufhin die Wohnung der Familie im Stadtteil Rothenburgsort verlassen wollte, hielt sie ihr kleinerer Bruder fest und würgte sie.

Bislang war nur bekannt, dass Morsal wiederholt von ihrem älteren Bruder zusammengeschlagen worden war. Mitte Mai hatte der 23-Jährige mehrfach vorbestrafte Gewalttäter seine Schwester auf offener Straße mit 20 Messerstichen getötet, weil er mit deren Lebensstil nicht einverstanden gewesen war. Auf eigenen Wunsch war das Mädchen kurz zuvor aus der Familienwohnung ausgezogen und lebte zuletzt in einem Jugendhaus.

Die SPD warf dem Senat am Freitag vor, weiterhin Einzelheiten des Schicksals von Morsal zu verschweigen und Fragen hinsichtlich der Rolle der Behörden in dem Fall auszuweichen. Das "Chaos" zwischen Justizbehörde und Senat bei der Beantwortung der Anfrage seiner Fraktion untermauere diesen Verdacht, sagte SPD-Sprecher Bülent Ciflik. "Hier soll etwas unter den Teppich gekehrt werden. Der Senat mauert und vertuscht." Es müsse nun um die Frage gehen, ob staatliche Stellen den Mord an Morsal O. hätten verhindern können. Ein Sprecher der Justizbehörde wollte sich am Freitag nicht zu den Vorgängen um die Senatsantwort äußern. Die darin genannten Einzelheiten machten es aber nicht nötig, den Fall anders als bisher zu bewerten, sagte er.

Die SPD-Opposition hatte dem Senats bereits in der Hamburger Bürgerschaft am Donnerstagabend eine politische Mitverantwortung an Morsals vorgeworfen. "Hier wurde nicht alles getan, ein Mädchen vor Gewalt zu schützen", sagte die SPD-Jugendexpertin Carola Veit am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde. Alle Stellen seien irgendwann mit Morsal und ihrer Familie befasst gewesen - Jugendhilfe, Schule, Jugendnotdienst und Polizei. "Aber geholfen hat dem Mädchen am Ende niemand."

Der SPD-Innenexperte Andreas Dressel kritisierte, der Bruder der Getöteten "hätte wesentlich früher hinter Schloss und Riegel gehört". Auch hätte der Staat das Mädchen zu ihrem Schutz notfalls auch gegen ihren Willen in Obhut nehmen müssen. Dressel forderte eine detaillierte Analyse des Falls und warf Justizsenator Till Steffen (GAL) vor, zu dem Thema offensichtlich nichts zu sagen zu haben. "Wir haben von der GAL da schon etwas anderes erwartet."

CDU und Grüne wiesen die Vorwürfe zurück. Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) - sie sprach anstelle des auf einer Ministerkonferenz weilenden Sozialsenators - wies die Vorwürfe zurück. Der Senat habe bereits reagiert. So werde nun schon beim leisesten Verdacht auf Konflikte um Lebensstile in religiös-patriarchalischen Familien immer vom schlimmsten Fall ausgegangen. Auch werde eine telefonische Abmeldung der Kinder von der Schule nicht mehr möglich sein. Jede Schule müsse zudem interkulturell geschulte Fachkräfte bekommen. "Das werden wir bei Neueinstellungen umgehend berücksichtigen", sagte Goetsch. Außerdem würden unter anderem Interventionsketten ausgearbeitet, um geeignete Hilfen anbieten zu können.

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