Ehepaar Betancourt-Lecompte:"Als sei die Liebe im Dschungel gestorben"

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Sechs Jahre Geiselhaft haben Ingrid Betancourt ihrem Mann entfremdet, das Paar geht wohl getrennte Wege.

Sebastian Schoepp

Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Manche Paare leben sich in sechs Jahren auseinander, obwohl sie sich täglich sehen. Wie groß also sind die Aussichten, dass eine Liebe sechs Jahre überdauert, in denen ein Partner sich als Geisel von Rebellen im kolumbianischen Urwald befindet? Juan Carlos Lecompte hat sechs Jahre auf seine Frau Ingrid Betancourt gewartet, er hat für sie Fotos mit ihren Kindern über dem Dschungel abgeworfen, sich in einer Organisation von Angehörigen Entführter engagiert, ein Buch geschrieben, "Ingrid suchen" heißt es. Und jetzt sagt er: "Es sieht so aus, als sei die Liebe im Dschungel gestorben."

Nach ihrer Befreiung streichelte Ingrid Betancourt ihrem zweiten Mann Juan Carlos Lecompte das Kinn. (Foto: Foto: AFP)

Ingrid Betancourt ist in Paris - ohne ihn. Sie trifft den Präsidenten Nicolas Sarkozy, seinen Vorgänger Chirac und demnächst wohl auch den Papst. Am 20. Juli will sie mit den Popstars Juanes und Manu Chao durch Paris marschieren, um den Geiseln Mut zuzusprechen, die noch im Dschungel sitzen. Sie sei im " Prozess des Verzeihens" gegenüber ihren Peinigern, sagt sie, und sie mahnt ihren Befreier, Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe, die "Sprache des Hasses" zu beenden.

Sie telephoniert mit Uribes Erzfeind, Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez, und bittet ihn, nicht nachzulassen in seinen Bemühungen, im Konflikt zu vermitteln. Sie wurde von Chiles Präsidentin für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Und dem US-Moderator Larry King sagte Betancourt am Mittwochabend auf CNN, sie schließe nicht aus, selbst Präsidentin zu werden. Sie ist mit ihren Kindern Lorenzo und Melanie zusammen, und sie sieht deren Vater, den Diplomaten Fabrice Delloye, ihren ersten Mann. Es scheint so, als würde die 46-Jährige, die Ärzte als körperlich gesund bezeichnen, mit Hyperaktivität gegen ein Entführungstrauma ankämpfen.

Nur eine kurze Umarmung

Juan Carlos Lecompte nimmt an ihrem neuen Leben nicht teil. Der 49-Jährige ist noch in Bogotá. Dass sie ihn nicht mitnehmen würde auf die Reise in ihre zweite Heimat Frankreich, das hatte sie ihm schon in der ersten Nacht nach ihrer Befreiung eröffnet. Da saßen sie in ihrer Luxuswohnung hoch über den Lichtern der Hauptstadt und redeten stundenlang, wie Lecompte gerade der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo erzählte. Als der Tag anbrach, brachte er ihr Orangen, das wünschte sie sich. Dann sagte sie ihm, dass sie allein mit ihren Kindern sein wolle.

Er hätte es sich wohl schon am Flughafen denken können, meint Lecompte, als er sie abholte nach der Befreiung. "Ich hatte nicht von Küssen geträumt, denn wir waren ja in der Öffentlichkeit", sagte er. Doch eine lange Umarmung, einige Minuten, damit habe er schon gerechnet. Er wurde enttäuscht. Der Empfang fiel frostig aus. Eine kurze Berührung, Lecompte durfte ihren Rucksack tragen. Das war's dann.

Juan Carlos Lecompte war einst Mitgründer der kolumbianischen Partei "Grüner Sauerstoff", er begleitete die Präsidentschaftskandidatur seiner Frau, der Werbefachmann tüftelte ihre Kampagne aus. Sie waren ein dynamisches Politpaar, aber er hielt sich zurück. Nach Betancourts Entführung drehte sich sein Leben praktisch nur um sie.

Jetzt muss er sich eine neue Existenz aufbauen. "Lebten Sie nicht auch wie ein Entführter? Sie durften nicht glücklich sein, Sie durften nicht mal mit einer Freundin ausgehen, weil das schlecht ausgesehen hätte", fragte ihn El Tiempo, ein Politblatt, das nicht auf Klatsch spezialisiert ist. "Ich habe nur für das Warten gelebt", sagt er. Und jetzt? "Jetzt stelle ich mir vor, wie sie an der Seite ihrer Kinder einschläft. Liebe ist auch, die Partnerin glücklich zu sehen, obwohl sie nicht mehr mit dir zusammen ist."

Die böse Schwiegermutter

Lecompte spricht in dem Interview, das er als sein letztes bezeichnet, ohne Groll, das hat ihm in Kolumbien Sympathie eingetragen. Da über Betancourts Gefühlswelt derzeit sicher niemand urteilen will, entlädt sich der Unmut auf seine Schwiegermutter, Yolanda Pulecio. In Internetblogs wird sie mit Agrippina verglichen, die ihren Mann vergiftete, um ihrem Sohn Nero den Weg zum römischen Kaiserthron zu ebnen.

Die frühere Schönheitskönigin Pulecio ist eine ehrgeizige Frau aus einer der mächtigsten Familien des Landes. Sie hat ihre Tochter seit der Befreiung nicht mehr losgelassen. Dass sie Lecompte nie mochte, ist kein Geheimnis. Er glaubt, Pulecio habe Ingrid während der Gefangenschaft über Radio Gerüchte zugetragen, er habe eine mexikanische Geliebte, was nicht stimme. Jetzt müsse er seinem Leben eine neue Richtung geben.

Sechs Jahre sind eine lange Zeit, vor allem, wenn man sie mit anderen Menschen als dem Partner in einer lebensgefährlichen Situation verbringt. Der Sanitäts-Unteroffizier der kolumbianischen Armee, William Pérez, war auch Gefangener der Farc und an Ingrids Seite, als sie schwer krank war und nicht mehr essen wollte. "Denk an deine Kinder, denk an die Welt da draußen, die auf dich wartet", hat der 33-Jährige ihr immer wieder gesagt.

Er päppelte sie auf, fütterte sie wie ein Baby mit einem Löffel, legte ihr Infusionen, bettelte die Wachen um Medikamente an. "Als ich sah, dass es ihr besser ging, ging es auch mir besser", sagt Pérez. Dass sie so gesund wirkt, wird nicht zuletzt dem Mitgefangenen zugeschrieben, einem schmächtigen, sehr gläubigen, schüchternen Mann, der ein Drittel seines jungen Lebens in Geiselhaft verbracht hat. Betancourt erwähnte Pérez nach ihrer Befreiung als ersten: "Ohne ihn wäre ich nicht hier." Es war William Pérez, den Ingrid Betancourt im Helikopter ihrer Retter minutenlang umarmte.

© SZ vom 11.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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