Dutroux-Prozess:Nur noch die Schäferhunde gefüttert

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Im Mädchenmord-Prozess gegen den Kinderschänder Marc Dutroux werden die Aussagen seiner Ex-Frau immer wichtiger. So beruht die Anklage im ersten Entführungsfall wesentlich auf den Angaben von Michelle Martin. Die hatte die Kinder nach Angaben des Untersuchungsrichters Langlois in ihrem Versteck verhungern lassen.

Die einzige Augenzeugin für das Verschwinden der beiden achtjährigen Mädchen Julie und Mélissa im Juni 1995, eine ältere Dame, habe den oder die Täter nicht eindeutig beschreiben können.

Eine Schlüsselrolle kam Michelle Martin nach Darstellung des Untersuchungsrichters auch bei der späteren Einkerkerung der beiden Mädchen und ihrem Hungertod im Kellerverlies in einem Dutroux-Haus zu.

Langlois berichtete, Martin habe während einer Haftzeit Dutroux' wochenlang gezögert, bevor sie den Mädchen zu essen und zu trinken brachte. Sie habe das Kinderversteck nach eigenen Worten wieder verbarrikadiert, ohne Julie und Mélissa überhaupt gesehen zu haben. Später habe sie nur noch die Schäferhunde gefüttert und an der Wand nach Geräuschen der eingesperrten Kinder gehorcht.

"War keinerlei Druck ausgesetzt von Seiten der Politik ausgesetzt"

Gestern hatte Langlois bereits den Verdacht politischer Einflussnahme bei der Aufklärung der Mädchenmorde zurückgewiesen. "Ich war bei meiner Tätigkeit keinerlei Druck ausgesetzt - weder von Seiten der Gendarmerie noch von Seiten der Politik", sagte Untersuchungsrichter Jacques Langlois am Montag vor dem Schwurgericht von Arlon. In dem Prozess geht es um die Entführung und Misshandlung von sechs Mädchen, von denen vier während ihrer Gefangenschaft starben.

Die Befragung von Langlois und drei Fahndern nährte zugleich neue Zweifel, ob die Polizei Mitte der 90er Jahre alles Nötige zum Auffinden der entführten Kinder getan hat. Langlois sagte, vor den Entführungen hätten drei Informanten der Polizei in Charleroi von Dutroux' Absichten und dessen Plänen zum Bau eines Kinderverstecks in seinem Keller berichtet.

Im Dezember 1995 stellte die Polizei zudem ein Video zu Bauarbeiten im Zusammenhang mit dem Verlies sicher, in dem damals zwei später verhungerte Kinder eingesperrt waren und zwei andere Mädchen anschließend gefangen gehalten wurden.

Erst zwei Tage nach der Festnahme des einschlägig vorbestraften Kinderschänders Marc Dutroux wurden die beiden überlebenden Mädchen in dessen Keller gefunden. Der Polizist Marcel Guissard erklärte dies mit der äußerst raffinierten Anlage des Verstecks: "99 Prozent der Belgier wären daran vorbeigelaufen."

Der Hauptangeklagte Dutroux ergriff nach dieser Zeugenaussage das Wort und erklärte, die Polizei habe sich erst auf sein Drängen zu den versteckten Kindern führen lassen. Unklar blieb, ob die Polizisten nach Dutroux' Festnahme mit einem Spürhund im Keller nach den Mädchen suchten.

Für das Kellerverlies habe Dutroux ein ausgeklügeltes System der Belüftung und Stromzufuhr angelegt, sagte Langlois. Als die beiden achtjährigen Mädchen Julie und Mélissa im Juni 1995 entführt wurden, sei das Versteck noch nicht fertig gewesen. Daraus lasse sich ableiten, dass Dutroux diese Entführung nicht vorab geplant habe, meinte Langlois.

Fälle aus den 80er Jahren

Der Untersuchungsrichter verglich die Entführungen der sechs Mädchen 1995 und 1996 mit Fällen aus den 80er Jahren, für die Dutroux und seine ebenfalls angeklagte Ex-Frau Michelle Martin bereits zu Haftstrafen verurteilt wurden. Damals sei Dutroux ganz ähnlich vorgegangen, nur habe er die Mädchen nicht betäubt und nicht eingesperrt.

Kurz nach seiner Haftentlassung auf Bewährung habe Dutroux 1992 erneut eine Zwölfjährige beim Schlittschuhlaufen sexuell belästigt, berichtete der Chefermittler. Die Polizei sei der Anzeige des Vaters damals aber nicht nachgegangen.

Den angeklagten Taten waren nach Angaben des Ermittlungsrichters zahlreiche Aktivitäten des Hauptangeklagten vorausgegangen, die auf dessen Interesse an jungen Mädchen hindeuteten. Unter anderem habe Dutroux wiederholt Teenager ohne deren Wissen fotografiert.

Ein slowakischen Mädchen habe er betäubt, vergewaltigt und dabei auf Video aufgenommen. Eine andere junge Slowakin habe er nach der von ihm bestrittenen Vergewaltigung nackt gefilmt. Laut Langlois reiste Dutroux binnen zweieinhalb Jahren 14 Mal in die Slowakei.

"Es gibt hinter diesem Fall keine Staatsräson"

Langlois zeigte sich überzeugt, politische Interessen stünden bei der Aufklärung der Dutroux-Affäre nicht auf dem Spiel: "Es gibt hinter diesem Fall keine Staatsräson, da will ich ganz deutlich sein", sagte der Chefermittler am ersten Tag seiner Zeugenaussage.

Anders als sein Vorgänger Jean-Marc Connerotte hatte Langlois verschiedene Hinweise auf einflussreiche Netzwerke hinter dem Treiben Dutroux' zu den Akten gelegt. Eine Woche nach der Ablösung Connerottes hatten am 20. Oktober 1996 rund 300.000 Menschen in Brüssel ihre Solidarität mit den Eltern demonstriert.

Anders als in der ersten Prozesswoche willigte Dutroux am Montag erstmals in Film- und Fotoaufnahmen ein. Er erläuterte, er gebe damit dem Druck der Öffentlichkeit nach. "Ich habe bemerkt, dass die Würde der Verhandlung in Gefahr war", sagte der Hauptangeklagte. Mit ihm stehen seine Ex-Frau und zwei mutmaßliche Komplizen vor Gericht.

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