Dutroux-Prozess:Mutige Worte und Zeichen der Hoffnung

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Die zweite Überlebende Laetitia Delhez sagt gegen Marc Dutroux aus - sie führt inzwischen ein beinahe normales Leben. Das andere Opfer, Sabine Dardenne, trug vor Gericht mit Dutroux ein Wortgefecht aus.

Von Kristina Läsker

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mädchenmörder Marc Dutroux hat sich die Zeugin Sabine Dardenne am Dienstag ein heftiges Wortgefecht mit dem Angeklagten geliefert. Dieser solle ihr erklären, warum sie nicht in einem Pädophilen-Netzwerk von Nihoul verschwunden sei, fragte die heute 20-Jährige.

Prozess-Zeugin Laetitia Delhez mit ihrem Freund (Foto: Foto: dpa)

Dutroux erwiderte, er habe nicht gehandelt, wie von ihm verlangt worden sei: "Ich habe sie nicht an Nihoul gegeben, damit sie nicht wie An und Eefje getötet würde." Er habe sich Sabine nach einiger Zeit verbunden gefühlt und sie darum beschützen wollen. "Da muss ich Ihnen sogar dankbar sein, oder was?" fragte die junge Frau, die im Mai 1996 als Zwölfjährige entführt worden war.

Schon am Montag hatte Sabine Dardenne einen starken Auftritt als Zeugin gehabt. Am späten Dienstagnachmittag sagte nun das andere überlebende Dutroux-Opfer, Laetitia Delhez, aus. Seit Anfang März hat die 22-Jährige aus dem südbelgischen Ort Bertrix am Prozess teilgenommen - und sich an den Anblick der Angeklagten gewöhnt.

Hinter Panzerglas verfolgen der 47-jährige Dutroux, seine Ex-Frau Michelle Martin und sein Komplize Michel Lelièvre die Aussagen. "Am Anfang hatte ich Angst davor, dass Dutroux mich anschaut", sagte Laetitia jüngst dem belgischen Magazin La Libre Match. Nun habe sie sich vorgenommen, ihren einstigen Peiniger "direkt anzublicken".

"Man müsste ihn dort einsperren, wo die Mädchen und ich gewesen sind"

Ihren Auftritt vor dem Gericht, so hatte die große rundliche Frau mit dem blonden Pferdeschwanz stets versichert, sei sie den zu Tode Gequälten schuldig. "Ich betrachte An, Eefje, Julie und Melissa als meine Schwestern." Hart ist die Strafe, die sie in den Medien für Dutroux forderte: "Eigentlich müsste man ihn dort einsperren, wo die anderen Mädchen und ich gewesen sind."

Gemeinsam mit dem Vorsitzenden Richter Stéphane Goux tastet sich Laetitia Satz für Satz durch das Grauen. Ein Grauen, das noch immer viele Belgier traumatisiert: Deren Vertrauen in den Staat ist durch die schlampigen Ermittlungen nachhaltig erschüttert.

Das gesamte Königreich kennt Laetitias Geschichte: Am 9.August 1996 kidnappten Dutroux und Lelièvre die 14-Jährige, als sie vom Schwimmbad nach Hause radelte. Dutroux betäubte sein Opfer, brachte es im Wohnmobil nach Charleroi, wo schon die kleine Sabine gefangen war, und vergewaltigte das Mädchen dreimal. Der Alptraum war erst vorbei, als der verhaftete Dutroux die Polizei fünf Tage später zu seinem Kellerverlies führte. Dort hatte er die Mädchen weggesperrt, eingeschlossen auf gerade einmal zwei Quadratmetern.

Vor dem Richter wollte die Zeugin bestätigen, was sie bereits oft in Interviews gesagt hat und was jeder Prozesskundige auswendig weiß: Sie habe während ihrer Gefangenschaft drei Telefonate belauscht, in denen Dutroux mit einem Michel oder Jean-Michel telefoniert habe. Auch der viel zitierte Satz "Ça a marché" (Das hat geklappt) sei wirklich gefallen.

Vielen Belgiern gilt dies als Beweis, dass ihr Landsmann Dutroux mit dem Brüsseler Geschäftsmann Michel Nihoul gesprochen hatte und sie über einen Kinderhändler-Ring redeten. Nihoul, so sagt Dutroux heute, bestellte die Kleinen für die pädophilen Wünsche seiner Kunden. Skeptiker halten diese Verschwörungstheorie für absurd.

Für sie gibt es keinen Kinderhändler-Ring. Für sie ist Marc Dutroux ein kranker Einzeltäter, der aus eigenem Antrieb entführte, missbrauchte und mutmaßlich vier Mädchen tötete.

Acht Jahre sind die sechs Entführungen her, während des gesamten Prozesses hat Laetitia Delhez oft weinen müssen. Noch heute, so erklärte die 22-Jährige, habe sie manchmal Angst vor Männern. Doch es gibt Hoffnung. Laetitia hat ganz normal die Schule beendet, sie hat eine Lehre zur Dekorateurin abgeschlossen und hat heute eine Festanstellung mit "großartigen Kollegen". Auch ihr Verhältnis zur Sexualität habe Dutroux nicht zu sehr belastet. Inzwischen lebt Laetitia mit ihrem Freund Sébastian in einem Apartment in Bertrix. "Ich will eine Familie gründen." Wenn sie davon spricht, leuchten die blauen Augen.

© SZ vom 21.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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