Dutroux-Prozess:"Ich lebe und ich kann ihm seine Tat nachweisen"

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Ein Opfer des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux wird im Gerichtssaal von Arlon seinem Peiniger gegenüber stehen.

Eine zwanzigjährige hübsche blonde Frau aus der belgischen Kleinstadt Kain hat an diesem Montag vor dem Geschworenengericht in Arlon einen der wichtigsten Auftritte ihres Lebens. Nur wenige Meter von dem Angeklagten Marc Dutroux entfernt, will sie ihrem Peiniger in die Augen sehen und ihm zeigen, dass er sie nicht zerstört hat. Ihr Anwalt Jean-Philippe Rivière rechnet mit einem ¸¸Wendepunkt in diesem Prozess". Denn Sabine Dardenne hat Marc Dutroux überlebt.

Anders als die getöteten Opfer Julie, Melissa, An und Eefje kann diese Zeugin ihre Leidenszeit persönlich dokumentieren. Sabine war zwölf, als sie zusammen mit der 14-jährigen Laetitia am 15. August 1996 nach 80 Tagen Gefangenschaft aus dem Keller von Dutrouxs Haus befreit wurde. Acht Jahre danach wird ihre Aussage die Verantwortung des Täters wieder ins Zentrum rücken. Dutroux gab in den vergangenen sieben Prozesswochen nur zu, was er unbedingt muss. Frühere Geständnisse zieht er wieder zurück.

Nicht immer ist es so leicht, den 47-Jährigen der Lüge zu überführen, wie im Fall seiner Verletzung. Kürzlich erschien er mit einer Beule über dem rechten Auge und behauptete, die Wachleute hätten ihn geschlagen. Eine Kamera hat aber dokumentiert, dass er mit dem Kopf gegen die Wand gerannt ist. Weil der Angeklagte sich weigert, die Wahrheit zu sagen, blühen in diesem Prozess die Spekulationen. Vor allem die Anwälte der zweiten Überlebenden Laetitia und der Familie von An Marchal vertreten die These, Dutroux habe nicht als Einzeltäter, sondern im Auftrag eines Kinderschänder-Rings gearbeitet. Das hat zu Spannungen zwischen den einzelnen Parteien geführt: Etwa als Laetitias Anwalt die Vermutung äußerte, für die achtjährigen Julie und Melissa könne das Kellerversteck in Dutroux Haus nur eine Art ¸¸Transit" gewesen sein. Da war Sabines Anwalt richtig verärgert: ¸¸Für meine Mandantin war das alles andere als eine Übergangsstation. Sie hat 80 Tage dort gelitten". Und mit niemand anderem dort Kontakt gehabt als mit Dutroux.

Sabines zentrale Botschaft widerspricht somit der Netzwerk-Theorie, an die mehr als die Hälfte aller Belgier glauben. Schon bevor die 20-Jährige selbst in Arlon erscheinen wird, bekamen die Anwesenden die Kraft ihrer Aussagen zu spüren. Eine Dreiviertelstunde lasen die Ermittler am Donnerstag aus den Briefen vor, die das verängstigte Mädchen aus dem Kellerverlies an seine Eltern geschrieben hatte. Etwa dreißig solcher Briefe habe sie verfasst, sagt Sabine. Vier davon hat die Polizei gefunden; Dutroux hatte sie unter einem Teppich versteckt. Sie sind wichtige Beweise für die Gräueltaten, die in Charleroi geschahen.

Es dauerte nicht lang, da flossen im Gerichtssaal die ersten Tränen. Allzu plastisch hatten die Zuhörenden vor Augen, wie Sabine unter Dutroux leiden musste. ¸¸Ich glaube, dass ich Euch nicht wiedersehen werde", schrieb das Mädchen zwei Wochen nach seiner Entführung. In kindlichen Worten und eckiger Schrift beschwert sie sich über die ¸¸dreckige Matratze", und über das eklige Essen, ¸¸kalte Buletten in Tomatensauce, die mir solches Bauchweh machen" und die sie immer essen muss, wenn Dutroux tagelang verschwindet. Erst nachdem die Polizei Sabine und Laetitia befreit hat, erfährt das Mädchen, dass Marc Dutroux ihre Briefe nie abgeschickt hat. Dass er sie las und nutzte, um die Kleine gefügig zu machen. Dutroux erzählte Sabine, dass er mit ihren Eltern gesprochen habe und diese kein Lösegeld für ihre Tochter zahlen wollten. Er selbst, erklärte ihr Dutroux, beschütze sie vor ¸¸dem bösen Chef", der ihre Eltern erpresse und sie töten wolle. Sabine glaubte ihm. ¸¸Ich hasste ihn für das, was er mir tat, und zugleich hasste ich ihn nicht, weil er mir half", sagte die junge Frau. ¸¸Zumindest dachte ich das."

Die furchtbarsten Vorfälle hat Sabine in den Briefen nur umrissen: die Vergewaltigungen. Sie finden sich in Symbolen wieder, die das Mädchen verwendet. In einem selbst gebastelten Kalender hielt die Zwölfjährige akribisch alle Vorfälle fest. Wenn Dutroux nicht auftauchte, schrieb sie ein P für ¸¸parti" (verreist) in ihren Kalender. Wenn der Peiniger in ihre Zelle kam, notierte sie ein R für ¸¸rentré" (zurückgekehrt). Auch die Ankunft Laetitias nach zweieinhalb Monaten ist festgehalten. Am schlimmsten müssen die Tage mit einem Sternchen gewesen sein. An denen hatte Dutroux ihr ¸¸sehr weh getan" und sie vergewaltigt. Es sind wohl die Albträume von den vielen Sternchen-Tagen, von denen sich Sabine in diesem Prozess mit ihrer Aussage befreien will.

Bereits vor einem Jahr hatte Sabine das Schweigen gebrochen und sich an die belgische Presse gewandt. Gerne tat sie es nicht, doch sie wolle sich ¸¸gegen üble Gerüchte" wehren, die in den Medien auftauchten. Da hieß es, sie sei vom Schlafmittel beeinflusst gewesen, das Dutroux ihr eingeflößt hatte. Ihre Aussagen seien daher nicht glaubwürdig. Doch sie pochte darauf, dass sie sich richtig erinnert: ¸¸Ich werde nie vergessen, was passiert ist, aber ich lebe und ich kann ihm seine Tat nachweisen." Marc Dutroux lauschte in seinem Glaskasten regungslos, als der Ermittler aus den Briefen vorlas. ¸¸Haben Sie wieder etwas hinzuzufügen?", fragte ihn der Richter.¸¸Nein", sagte Dutroux.

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