Disney:Ein Hundeleben

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Disneyland wird in diesem Sommer fünfzig. Nirgendwo scheint die Welt heiler und fröhlicher. Die Hölle aber lauert unter den Kostümen. Jetzt packt Goofy aus.

Von Bastian Obermayer

Liebe Kinder, wenn ihr in diesem Sommer Goofy und Micky Maus besuchen dürft, freut euch. Schließlich wird Disneyland in Anaheim, Kalifornien, fünfzig und deshalb feiern alle Disneyparks auf der ganzen Welt diesen Geburtstag mit einem Haufen neuer Attraktionen. So, und nun hört auf zu lesen und gebt diesen Artikel an eure Eltern weiter.

Party zum Fünfzigsten. Disneyland in Kalifornien. (Foto: N/A)

Liebe Eltern, schön, dass Sie mit Ihren Kindern einen Disneypark besuchen. Weniger schön jedoch ist, was dort hinter den Kulissen und unter den Kostümen von Pluto, Micky Maus und Goofy passiert.

Weil der Disney-Konzern alles daransetzt, dass das Bild der heilen Welt in seinen Parks keinen Kratzer abkriegt, verschweigt er alles, was diese Illusion stören könnte. Also ziemlich viel.

Wer redet, fliegt

Auch die Mitarbeiter, die täglich in den Parks arbeiten, schweigen. Weil sie stapelweise Geheimhaltungserklärungen unterschreiben müssen. Wer dagegen verstößt, fliegt. Auch Goofy. Das heißt natürlich, der Mensch, der im Goofy-Kostüm steckt. Doch das zu schreiben ist bereits heikel.

Denn Disney spricht nur höchst ungern darüber, dass Menschen in den Kostümen stecken - wegen der kleinen Kinder, heißt es, weil die so fest daran glauben, dass es Micky Maus und Goofy wirklich gibt, so wie Kinder eben auch an das Christkind glauben.

Die Katastrophe träte dann ein, wenn aus Goofy oder Micky Maus mitten in Disneyland ein Mensch würde - so lernen es die Mitarbeiter in den fünftägigen Einführungsseminaren. Das würde die Illusion zerstören, Disneys Hauptkapital.

Lieber das Bewusstsein als den Kopf verlieren

Deswegen dürfen kostümierte Mitarbeiter auf gar keinen Fall den Kopf, der zu ihrem Kostüm gehört, abnehmen, wenn Besucher sie sehen könnten. Folglich fallen Micky Maus und Goofy immer wieder mal in Ohnmacht: Wenn es dem Mitarbeiter wegen der Hitze unter der Maske schwindlig wird, hat er nur eine Chance - so schnell wie möglich hinter die Kulissen zu laufen.

Wer das nicht schafft, hat Pech gehabt. Wem schlecht wird, ebenfalls. Wenn Micky Maus sich übergeben muss und es nicht hinter die Kulissen schafft, dann muss er sich eben ins Kostüm übergeben.

"Keep the magic alive", bewahre den Zauber: Dieser Leitspruch ist die wichtigste Regel für Goofy und alle anderen Mitarbeiter. Denn mit diesem klinisch sauberen Zauber verdient Disney sein Geld.

Goofy kann auch nichts dafür, dass er stinkt. Unter seinem Kunstfell ist es stickig und heiß, manchmal weit über fünfzig Grad, deswegen schwitzen die Darsteller wie verrückt, und das riecht man.

Stars auf niedrigster Hierarchiestufe

Ein anstrengender Job, aber schlecht bezahlt: Der niedrigste Stundenlohn für Vollzeitbeschäftigte ist so tief wie nur möglich angesetzt, bei 6,80 Dollar, der gesetzlichen Mindestgrenze. Die Arbeitszeiten variieren stark, je nachdem wie groß der Andrang ist, zwischen vier und zwanzig Stunden.

Die Kostümdarsteller rangieren in der Hierarchie der weltweit über 80.000 Disney-Mitarbeiter ganz unten, obwohl die "Big Five" - Micky Maus, Minnie Maus, Pluto, Donald Duck und Goofy - die eigentlichen Stars der Parks sind: Die Besucher stehen an all den Rutschen, Loopings und Geisterbahnen stundenlang Schlange und antworten dann meistens auf die Frage, was ihnen nicht gefallen hat, sie hätten die lebensgroßen Comicfiguren gar nicht oder nicht oft genug gesehen.

Kämpfen für die Rechte

Die Kostümdarsteller im Disneyland von Anaheim sind in keiner Gewerkschaft, in Disney World in Florida hingegen gehören sie der Gewerkschaft der Trucker, Polizisten und Krankenschwestern an.

Donna-Lynne Dalton, die früher selbst im Kostüm durch Disney World lief, kämpft heute bei der Gewerkschaft für die Rechte ihrer ehemaligen Kollegen: "Allein von den Kostümdarstellern landen bei mir jeden Monat dreißig Klagen! Die meisten von ihnen sind unrechtmäßig gefeuert worden. Ohne unsere Unterstützung hätten die beispielsweise keine Chance, wieder eingestellt zu werden. Aber wir gewinnen gut 85 Prozent der Fälle."

Eigene Unterwäsche verboten

Wie den Unterwäsche-Fall: Die Gewerkschaft hat für die Kostümdarsteller vor vier Jahren durchgesetzt, dass sie die Disney-eigene Unterwäsche zum Waschen mit nach Hause nehmen dürfen: Strumpfhosen, Radlerhosen, Unterhemden - alles, was direkt auf der Haut getragen wird.

Die Darsteller hatten sich beschwert, weil sie immer wieder dreckige, seit Wochen ungewaschene Wäsche anziehen mussten und davon Krätze und Flöhe bekamen: Eigene Unterwäsche unter den Kostümen zu tragen ist in den meisten Fällen verboten: Sie könnte sich abzeichnen. Die Gäste dürfen den Menschen unter dem Kostüm nicht einmal erahnen.

Stumm und gebeugt

Sollten Ihre Kinder fragen, warum Goofy nie was sagt, antworten Sie: Er darf nicht. Goofy müsste ja immer genau gleich klingen, egal, welcher Landsmann in ihm steckt, nicht morgens piepsig und abends heiser oder plötzlich mit mexikanischem Akzent. Deswegen ist er stumm.

Das größte Problem aber sind die riesigen Köpfe der Figuren: Der Darsteller von Goofy schaut zum Beispiel durch Goofys Schnauze nach draußen und die Schnauze ist immer leicht nach unten gerichtet: Schaut der Mensch unter dem Kostüm geradeaus, guckt Goofy in die Wolken.

Weil Goofy den Kindern aber in die Augen schauen soll, muss der Darsteller ständig leicht gebeugt und mit an die Brust gepresstem Kinn herumlaufen und auf den Boden starren. Wer das eine halbe Stunde lang mit einem fast drei Kilo schweren Kopf macht, dem tut alles weh. Nach ein paar Jahren sind zwangsläufig Rücken und Nacken ruiniert.

Auf Begleitung angewiesen

Obendrein ist Goofy in dieser Haltung fast blind: Der Darsteller sieht ja nur seine eigenen Füße. Deswegen braucht Goofy immer mindestens einen Begleiter, der ihm sagt, wo er langgehen soll. Doch das kann schief gehen: Eric Ford, ein früherer Goofy-Darsteller, hat Disney auf 300.000 Dollar verklagt, weil er von einem fallenden Vorhang getroffen wurde - seine Begleiter hatten ihn nicht gewarnt.

Javier Cruz wiederum starb am 11. Februar 2004 als Pluto verkleidet bei der "Share A Dream Come True"-Parade in Disney World. Der 38-jährige zweifache Vater wurde von einem der Wagen überfahren, am "happiest place on earth", wo er acht Jahre lang gearbeitet hatte. Disney World wurde zu einer Ordnungsstrafe von 6300 Dollar verurteilt und dazu, die Sicherheitsmaßnahmen zu verbessern.

Aussehen nach Vorschrift

Dennoch hat Disney an Personal keinen Mangel. Fast jeder war als Kind in einem Disneypark und vergisst die Begeisterung nie. Der Traum, in die scheinbar perfekte Welt zurückzukehren, ist zu verlockend, da kann Disney noch so schlecht zahlen.

Aber nicht jeder wird genommen, und wer genommen wird, muss erst einmal bereit sein, sich einer Verwandlung zu unterziehen. Denn wie Disney-Mitarbeiter auszusehen haben - und vor allem, wie sie nicht auszusehen haben -, ist in Disneyland exakt festgelegt.

Ein paar Beispiele an Regeln, die für alle Mitarbeiter gelten, auch wenn sie nur mit Kostümen und Masken im Park unterwegs sind: Haare dürfen nicht gefärbt, getönt oder asymmetrisch frisiert sein, bei Männern dürfen sie weder Augenbrauen noch Ohren oder den Kragen berühren, Koteletten nur so lang sein, dass sie auf Höhe der Ohrläppchen abschließen.

32 Seiten Styleguide

Männern ist es verboten, Ohrringe zu tragen, Frauen ist pro Ohr einer, allerdings nur ein kleiner Stecker erlaubt, Ringe oder anderer Schmuck nicht. Uhren sind nur dann erlaubt, wenn sie konservativ und dezent aussehen. Make-up muss zur Hautfarbe passen. Eyeliner darf nicht zu stark sein.

Grundsätzlich sind alle grellen Farben tabu, ebenso wie sichtbare Tattoos und Fingernägel, die mehr als 6,3 Millimeter über die Fingerspitze reichen. Sonnenbrillen sind nur mit medizinischem Attest erlaubt. Und so weiter. Die Vorschriften füllen ein ganzes Buch: das 32-seitige Disney Look Book, das jeder Angestellte bekommt.

Bei Missachtung gibt es Strafpunkte

Damit alle die Regeln einhalten, überwacht Disney Goofy und seine Kollegen. So genannte mystery guests, als Gäste getarnte Disney-Kontrolleure, mischen sich unter die Besucher. Außerdem setzt Disney die Bilder der Videoüberwachung, die eigentlich der Sicherheit der Gäste dienen soll, auch dafür ein, Mitarbeitern Vergehen wie Trinkgeldannahme oder einen Schluck Wasser während der Arbeitszeit nachzuweisen.

Wer sich nicht an die Regeln hält, bekommt Strafpunkte. Unrasiert erscheinen: ein Punkt. Schuhe nicht gebunden: ein Punkt. Drei Minuten zu spät: ein Punkt. Für mehrere Punkte oder einen gröberen Verstoß gibt es Tadel.

Bei drei Tadeln fliegt man normalerweise. Und zwar nicht nur aus dem Job, sondern - zumindest die ausländischen studentischen Mitarbeiter in Disney World in Orlando - auch gleich aus dem Land: Bei einer Entlassung haben sie aufgrund der Visabestimmungen 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen; der von Disney bezahlte Rückflug wird storniert.

Attacke auf Micky Maus

Aber nicht nur die eigenen Vorgesetzten machen Goofy zu schaffen. Manchmal werden die Comicfiguren auch von Parkbesuchern angegriffen: Dem Streifenhörnchen Chip zerquetschte ein Soldat der Marines beinahe die Hand, Robin Hood wurden ein paar Rippen gebrochen und Tigger, den Freund von Winnie Puh, verprügelte gleich eine ganze Horde Jugendlicher.

Einmal kam sogar eine Gang aus Los Angeles für ihren Initiationsritus nach Disneyland: "Wer aufgenommen werden wollte, musste Micky Maus niederstechen", erzählt ein früherer Kostümdarsteller. Micky wurde nur leicht verletzt. Disneyfiguren dürfen sich nicht wehren, nur weggehen.

Manchmal steckt in Goofy übrigens ein richtig hohes Tier des Disney-Konzerns: Jeder Manager in leitender Position sollte einmal Goofy oder Micky Maus gewesen sein, das gehört zur Firmenkultur. Dieses "Muss" ist meist ein Vergnügen für die Manager. Das könnte daran liegen, dass sie nach einer halben Stunde das Kostüm wieder ausziehen dürfen.

Die Informationen in diesem Text stammen von ehemaligen und noch in den amerikanischen Disneyparks beschäftigten Mitarbeitern, die wir zu ihrem Schutz namentlich nicht nennen wollen, sowie von Gewerkschaftsvertretern.

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