Die US-Justiz und der Fall Jens Söring:Vergessen hinter Gittern

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Eine Liebe, zwei Morde und viele offene Fragen - seit 20 Jahren kämpft ein Deutscher für seine Haftentlassung, doch das System kennt keine Gnade.

Karin Steinberger

Da sitzt er, Häftling 179212. Der Besucherraum im Brunswick Correctional Center ist drei mal drei Meter groß und umrahmt von lachsfarbenen Gitterstäben, in der Mitte ein Tisch. Im Arm hält Nummer 179212 drei Bücher.

Häftling 179212: Jens Söring (Foto: Foto: Karin Steinberger)

Wenn man ihn fragt, wie lange er im Gefängnis sitzt, sagt er: "Ich wurde in England um fünf Uhr nachmittags verhaftet. Das sind also 20 Jahre, 7 Monate, 4 Tage, 19 Stunden, äh, 21 Stunden. Ohne Zeitverschiebung."

Dann lächelt Nummer 179212. Seine Mitgefangenen finden es lustig, dass der Deutsche immer noch mitzählt. In dem Gebäude, in dem er mittlerweile wohnt, ist er eine Art Frischling. Im Honour Building sind die Alten, die nicht mehr viel anstellen, wenig Schlägereien, wenig Vergewaltigungen, wenig Fluchtversuche.

Die guten Bösen. Früher wären das die ersten gewesen, die für eine Haftentlassung in Frage gekommen wären. Aber was nützt das noch. Hier gibt es Männer, die seit 36 Jahren im Gefängnis sind. Sie haben es sich eingerichtet in einem Leben ohne Zukunft. Nur Nummer 179212 hört das Zählen nicht auf. Jens Söring, den sie hier the German nigga nennen. Deutsch und weiß, der doppelte Außenseiter.

Er zählt noch die Stunden, vielleicht, weil er das Hoffen nie aufgegeben hat.

Für einen, der zweimal Lebenslang hat, ist das relativ naiv. Jens Söring kennt die Zahlen und die Fakten, er hat sie mühsam zusammengetragen in einem Leben ohne Computer. Er hat sie sich schicken lassen in Briefen, pro Umschlag vier Blatt. Zeitungsartikel, Studien, zerschnitten, aufgeklebt, kopiert. Recherche als Überlebenshilfe.

130.000 Lebenslange

Er weiß, dass Gefängnisse in den USA ein gigantisches Geschäft sind, oft privatisiert und hochrentabel. 60 Milliarden Dollar im Jahr gibt der Staat für 2,2 Millionen Häftlinge aus. Kein anderes Land hat so viele seiner eigenen Bürger eingesperrt. 130.000 Lebenslange. "130 000 Menschen, die im Gewahrsam des Staates sterben werden", sagt Söring.

Es ist schon lange her, dass in Virginia ein Lebenslanger von einem Bewährungsausschuss entlassen wurde. Söring sagt, das war zum Ende der Amtszeit von Gouverneur Jim Gilmore 2002. Der demokratische Nachfolger hat ihm das im Wahlkampf vorgeworfen. Es kommt nicht gut an, Mörder rauszulassen.

Es gab also wenig Chancen, als Jens Sörings Fall im August 2006 nach drei Jahren wieder vor das Parole Board von Virginia kam. "Wir wissen alle, dass wir keine Chance haben. Wir hoffen trotzdem - vielleicht schafft man es, einer der zwei Prozent zu sein. Mit dieser winzigen Hoffnung halten sie 7000 Insassen unter Kontrolle", sagt Söring.

Und so hat sie ihn wieder überrannt, die verfluchte Hoffnung. Er konnte der Vorstellung nicht widerstehen, dass der Bewährungsausschuss diesmal die Verfahrensfehler durchschauen und seine Unschuldsbeteuerungen glauben würde. Er träumte davon, einmal das Grab seiner Mutter in Bremen zu sehen. Mehr wagte er nicht zu hoffen.

Jens Söring mit seinen Büchern (Foto: Foto: Steinberger)

20 Jahre, 7 Monate, 4 Tage, 21 Stunden. Er fand, es war an der Zeit, ihm noch einmal eine Chance zu geben.

Die Generalstaatsanwältin ist von Sörings Unschuld überzeugt

Am 9. August traf sich ein Mitglied des Parole Boards mit den zwei Fürsprechern in seiner Sache in einem roten Backsteinbau in Richmond. Eine davon war Gail Marshall, die ehemalige Stellvertretende Generalstaatsanwältin des Staates Virginia.

Sie sagt, dass der Fall Söring in ihrer mehr als 35-jährigen Laufbahn der zweite Fall ist, bei dem sie nach Durchsicht aller Unterlagen davon überzeugt ist, dass der Angeklagte unschuldig sei. Keine Augenzeugen, keine Fingerabdrücke, keine DNS - und als Hauptbeweismittel ein Fußabdruck, der viel zu klein ist, um von Jens Söring zu stammen.

"Geständnisse sind manchmal falsch, und Geschworene machen manchmal Fehler", sagte sie dem Parole Board. Sie hätte sich die Arbeit sparen können. Während der Verhandlung über Jens Sörings Leben nickte das Board-Mitglied immer wieder ein. Es gab einen kleinen Eklat, ein paar Zeitungsartikel, eine Wiederholung der Anhörung.

Es war ein Tag ohne Wasser, als Jens Söring erfuhr, was sie entschieden hatten. Eine Hauptleitung wurde repariert im Brunswick Correctional Center. Es war der 26. September 2006, als man ihm den Brief vom Parole Board gab.

Bedingte Haftentlassung abgelehnt.

In einem Jahr wolle man seinen Fall erneut verhandeln, so der Beschluss. Nicht nach drei Jahren. Dieser Zynismus macht ihn krank. "Der einzige Grund dafür ist, mir vorzutäuschen, dass sie es sich dieses Mal genau überlegt haben. Aber Resozialisierung gibt es hier nicht mehr. Was an uns vollstreckt wird, ist eine verzögerte Hinrichtung."

179212, der Vorzeigehäftling

20 Jahre, 7 Monate, 4 Tage, 21 Stunden, nie in all den Jahren hat er sich etwas zuschulden kommen lassen, keinen Regelverstoß. 179212 ist ein Vorzeigehäftling. Es hilft nichts.

Für ihn ist das Tod durch Einkerkerung. Es regt sich nur keiner darüber auf, weil kein Strom durch den Körper gejagt wird. "Aber ein Leben im Knast ist kein Leben. Das ist eine Schattenwelt, in der nichts echt ist. Es gibt keine echten Freundschaften, kein echtes Essen, keine echte Hoffnung, keine echte Arbeit. Es fühlt sich an wie die Todesstrafe."

Jens Söring sitzt da, blaues Hemd, geschorene Haare. Mitten in dieser lachsfarbenen Gitterwelt. 40 Jahre ist er jetzt alt. Natürlich fragt er sich, wie sie jetzt aussieht, die Welt da draußen. Als er im Frühjahr 1986 in England verhaftet wurde, war die Mutter noch am Leben. Damals gab es noch zwei Deutschlands. Er lacht.

Zwei Stunden für dieses irrwitzige Leben

"Schon Wahnsinn, wenn man darüber nachdenkt. Den letzten Spiegel habe ich 1996 bekommen, da habe ich Fotos gesehen, wie Berlin jetzt aussieht. Internet, nie gesehen. IPod, nie gesehen. Was soll ich mir von der Welt da draußen vorstellen? Ich kenne sie nicht."

Auch deswegen hat er 2001 aufgehört Radio zu hören oder fernzusehen. Weil es nicht zu ertragen war. Die Bilder vom Leben, das weiterging. Die ewigen Liebeslieder. "Liebe, das hat in meinem Leben keine so guten Assoziationen. Für mich ist das eher so: Liebe, elektrischer Stuhl, Liebe, elektrischer Stuhl, Liebe, elektrischer Stuhl."

Sagt er, hört gar nicht mehr auf. Dann fängt er sich. Er weiß, dass er nur zwei Stunden hat. Zwei Stunden für dieses irrwitzige Leben, das am 1. August 1966 in Thailand begann. Ein klassisches Diplomatensohnleben. Als Jens Söring elf Jahre alt war, zog die Familie nach Amerika. 1984 schrieb er sich in der Universität von Virginia ein und traf Elizabeth Haysom.

"Den Fehler meines Lebens" nennt er diese Frau heute.

Es war von Anfang an eine komplizierte Verbindung. Sie, die Tochter eines Südafrikaners und einer Kanadierin, schön, dominant, verkorkst. Er, zwei Jahre jünger, schüchtern, intelligent, eine Brille mit Gläsern dick wie Flaschenböden, dem Mädchen verfallen.

Sie kannten sich noch nicht lange, als sie ihm Fotos zeigte, Nacktfotos, die die Mutter von der Tochter gemacht hatte. Darüber reden wollte sie nicht. Wenn ihn eine Schuld trifft, sagt Jens Söring heute, dann die, dass er seine Freundin nicht zum Psychiater gebracht habe, missbraucht wie sie war. "Vielleicht wäre die Kette der Ereignisse so durchbrochen worden", sagt er.

Das Andere habe er nur gestanden, um die Freundin zu entlasten, weil er dachte, dass ihn der Diplomatenstatus des Vaters schützen würde.

Das Andere fand die Polizei am 30. März 1985 im Haysom-Haus in Lynchburg, Virginia. Der Vater Derek Haysom lag am Boden, der Körper durchbohrt von Dutzenden Stichwunden, die Kehle durchschnitten, das Gesicht entstellt. Ein Bär von einem Mann. In der Küche lag seine Frau in einem See von Blut.

Nach Europa, dann Thailand, dann London

Beide hatten getrunken, beide schienen nicht von einem Fremden überrascht worden zu sein. Als die Befragungen zu heikel wurden, flohen Elizabeth Haysom und Jens Söring nach Europa und Thailand, als ihnen das Geld ausging, gingen sie nach London, wo sie verhaftet wurden.

Erst gestanden beide, später beschuldigten sie sich gegenseitig. Er hat sie seitdem nie wieder gesprochen. Seine erste und letzte Liebe. Verurteilt zu 90 Jahren im Frauenknast.

Jens Söring blättert in den Büchern . Es sind seine Bücher. Er hat sie geschrieben. Drei Stück. Im Gefängnis. Wie Kinder trägt er sie durch seine Welt. Das Blut, der Mord, die Liebe, das alles ist weit weg. Er versuche, nicht allzu oft über die Vergangenheit nachzudenken.

Über diese verfluchten Zufälle, dass er diese Frau traf, dass er den Mord deckte, dass es nicht in Deutschland geschah, wo der Staatsanwalt höchstens acht Jahre beantragt hätte, Jugendstrafrecht, dass sein Anwalt in Amerika unfähig war, ihm wurde später die Zulassung entzogen. Dass es ein Fall ohne DNS ist, ein Fall ohne Beweis.

15 Jahre lang habe er sich mit den immergleichen Fragen beschäftigt, 15 Jahre habe er nur über den Fall nachgedacht, über seine Unschuld.

Er lächelt. Dann erstarrt er. Er ist unsicher, will nicht zu weinerlich sein, auch nicht zu kalt. Es kam nicht gut an, als er damals in den USA grinsend im Gerichtssaal saß. Arrogant und schnöselig sei dieses deutsche Diplomatensöhnchen, schrieben die Gerichtsreporter. Ohne Reue, ein Doppelmörder, von dem es hieß, er habe im Blut seiner Opfer getanzt. Sie wollten eine Bestie, also sahen sie eine.

Grinsende Angst

Söring sagt, er hätte es sonst damals nicht ausgehalten. Das Grinsen sei die Angst gewesen, es war sein Schutzschild. Er war jung und hatte die vier schlimmsten Jahre seines Lebens hinter sich. Es war ein vierjähriges Warten auf die Todesstrafe. Bis vor den Europäischen Gerichtshof hatte er sich in England hochgeklagt, um eine Auslieferung nach Amerika zu verhindern.

Um die Todesstrafe zu verhindern. Vier Jahre Ungewissheit. Am Anfang war er 19, am Ende 23 Jahre alt. Es war die Zeit, als seine Großmutter ihn im Gefängnis besuchte und sagte, ein Gentleman würde das seiner Familie nicht antun, er würde sich umbringen. Es war die Zeit, als sein Vater noch zu ihm hielt und sich seine Mutter langsam zu Tode trank. Seinetwegen.

Und seine Anwälte schickten ihm Unterlagen, Beweise für die Grausamkeit der Todesstrafe. Seitenlange Abhandlungen. Er las jede Zeile. Er las von Menschen auf dem elektrischen Stuhl, deren Köpfe ausbrannten, von Augäpfeln, die aus Augenhöhlen herausquollen. Er las und las. Und fraß Twix.

40 Pfund hat er in dieser Zeit zugenommen. Wenn er die Verpackung des Schokoriegels heute in den Automaten im Besuchersaal des Brunswick Correctional Center sieht, denkt er: "Das war mein Todeszellenfraß."

Doch im Gerichtssaal sahen sie nur sein Grinsen.

Als er nach Amerika kam, warteten sie schon auf den Deutschen, der nicht mehr zum Tode verurteilt werden konnte, aber zu allem anderen. Boonsboro ist ein reicher Vorort von Lynchburg. Eine Gegend mit großen, bewaldeten Grundstücken.

Der Haysom-Fall war damals eine sensationelle Sache. Als Jens Söring endlich in Amerika der Prozess gemacht werden konnte, kamen die Menschen mit Lunchpaketen ins Gericht, um ihren Platz nicht aufgeben zu müssen.

Elf Monate in der "Hölle auf Erden"

Jens Söring hat den größten Teil seines Lebens in Amerika verbracht. Die meiste Zeit davon in Gefängnissen. Er war elf Monate im Wallens Ridge State Prison, das er "die Hölle auf Erden" nennt.

Es ist eines der berüchtigten Hochsicherheitsgefängnisse, ein Supermax Prison, von denen sie immer mehr bauen, obwohl immer mehr Studien nachweisen, dass eine derartige Bestrafung die Menschen nicht besser macht, dass sie die Rückfallquoten für Straftaten nur nach oben treibt.

Es sind Orte, an denen man 23 Stunden am Tag in Einzelhaft verbringt und eine Stunde in einem Einzelkäfig an der frischen Luft. Jahrelange, totale Isolation.

Söring wurde im Knast angeschossen, er wurde nach der Veröffentlichung seines zweiten Buches im Brunswick Correctional Center 43 Tage ins hole gesteckt, wo er einen Jungen traf, der hier seit Jahren vor sich hinvegetiert, weil er sich seine Rastalocken nicht abschneiden will.

"Er sitzt da unten", sagt Söring und deutet zum Boden. Sie seien hier alle Ausgelieferte, er habe miterlebt, wie ein Vergewaltiger zu einem Jungen verlegt wurde, der Opfer von Missbrauch war. Lange hat der Junge das nicht überlebt. Wenn man neu ist im Knast, das ist immer das gefährlichste. Und dann die Willkür, er hat sie selber erlebt, als man ihm 1996 die Lektüre deutscher Zeitungen und Magazine verbot.

Ein schärferer Direktor, neue Regeln, einfach so. Die deutsche Botschaft schaltete sich ein, man könne einem Gefangenen in der Fremde nicht auch noch die Sprache entziehen. Es half nichts. Nur die deutsche Bibel durfte er behalten.

2001, das Wendejahr

Manchmal sucht er nach Worten im Deutschen, wenn er erzählen will von "dem Anderen, meinem Zellenpartner, meinem Untermieter, ich habe keine Ahnung, was das deutsche Wort ist. Der, der sich an meinem Bett erhängt hat."

Dann kam 2001, das Wendejahr. Es war das Jahr, in dem der Supreme Court der USA sein Berufungsverfahren endgültig abschmetterte. Es war das Jahr, in dem er sich mit dem Vater überwarf. Es war das Jahr, in dem er die Kraft Gottes entdeckte und anfing zu schreiben.

Söring sagt, die Bücher, sie waren die Alternative zum Selbstmord.

Erst hat er ein Buch über seinen neuen Glauben geschrieben. Nur für sich. Das Manuskript kam in die richtigen Hände, wurde veröffentlicht. Dann schlitterte er hinein in das nächste Projekt, sammelte Fakten über die Gefängnisreformen in den USA und schrieb ein Buch über den Unsinn der amerikanischen Politik des Strafens. Titel: "Ein teurer Weg, um böse Menschen noch böser zu machen."

Nicht unbedingt das, was eine Haftentlassung beschleunigt.

Er hat es trotzdem geschrieben. Weil er nicht versteht, dass in einem Land, in dem immer weniger Verbrechen geschehen, immer mehr Menschen hinter Gitter kommen, nur weil eine Industrie dahinter steckt, für die Menschen wie er rentabel sind. Jedes Essen 61 Cent. Er deutet auf die Süßigkeiten am Tisch. "Das sind dreieinhalb Tage Essen."

Sie brauchen Insassen, also werden auch Drogenabhängige und Behinderte dem Knastgeschäft untergejubelt und immer mehr Gefängnisse gebaut, in abgelegenen Gegenden. Weit weg von Freunden, die einen besuchen. Virginia mit 7,2 Millionen Einwohnern hat fast doppelt so viele Gefangene wie Kanada mit 30 Millionen. Schulen werden geschlossen, Gefängnisse eröffnet. "Das bringt die Verbrechensrate nicht runter. Man fragt sich, warum machen die das."

Drei Jahre bis zur nächsten Anhörung

Im Frühjahr wird Sörings viertes Buch veröffentlicht. Es geht um Adam und Eva, die Äpfel stahlen, um Moses, der einen Sklaventreiber erschlug. Es geht darum, dass Jesus Vergebung kannte. Und dann wieder dasselbe wie dieses Jahr: "Im August ist Parole Hearing, im September wird abgelehnt. Dann drei Jahre bis zur nächsten Anhörung, weil keiner sich mehr für den Fall interessieren wird. Weil keiner mehr einschlafen wird."

Söring weiß, dass er hier nie herauskommen wird, wenn nicht etwas ganz Außergewöhnliches passiert. Er klopft auf den Tisch: "Rinde, ich würde gerne, aus irgendwelchen Gründen, schrecklich gerne noch einmal eine Baumrinde berühren."

Es gibt Tage, an denen wird er fast verrückt bei der Vorstellung, nie wieder einen Baum anfassen zu können. Nie wieder ein Steak essen zu können. Nie wieder Sex zu haben. Gerade jetzt, wo er die Dinge fast vergessen hatte, wo die Begriffe leer wurden und schal nach all den Jahren. Gerade jetzt kamen sie mit dem Parole Board und dieser winzigen Hoffnung.

Baumrinde. Grob, rau, unerreichbar. "Man vergisst es. Gottseidank", sagt er.

Das hier ist nicht Deutschland, es gibt keine Freigänge und keine Besucher, die Geschenke mitbringen. Hier müssen Gäste ihre Kaugummis am Eingang ausspucken. Söring hat schon so viele Vizekonsuln der deutschen Botschaft kommen und gehen sehen, und immer wieder sagen die Neuen, wie schön der Ort Lawrenceville doch ist.

In Deutschland wäre er frei, hier kostet er nur

"Wir sind in den Vereinigten Staaten, okay? Ich habe diesen Ort nie gesehen", schreit er. Hier stehen selbst die Bäume im sicheren Abstand, kein einziger ist im Gefängnishof. Weil hier Strafe Strafe ist und die meisten nichts halten von Gnade und Zugeständnissen an Menschen, die gesündigt haben.

Aber wie soll man an diesem Ort das Hoffen aufgeben? Wie könnte er vergessen, dass gerade sein Repatriierungsantrag auf dem Weg zum Gouverneur ist. Es scheint so einfach. In Deutschland wäre er frei, hier kostet er nur. Was würde es ändern für den Gouverneur.

Gouverneur Tim Kaine, der nicht wissen wird, wie Essen für 61 Cent schmeckt, der Bäume hat und Steaks, und der gerade beschlossen hat, 100 Millionen Dollar auszugeben für neue Gefängnisse in Virginia. "Der will mich nicht repatriieren, der baut mir gerade ein neues Zuhause", sagt Jens Söring, Häftling Nummer 179212.

© SZ vom 5.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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