Die Amerikaner in Berlin:Lovestory in allen Lebenslagen

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Längst ist der Kalte Krieg nur noch Touristen-Folklore. Dennoch verbindet viele US-Bürger etwas mit dieser Stadt, das viel größer ist als ihre neue Botschaft.

Philip Grassmann

Es ist ein heißer Tag. First Sergeant Levy steht in der Sonne und kneift die Augen zusammen. Die US-Fahne in seiner Hand knattert im Wind, hinter ihm türmt sich eine Mauer von Sandsäcken, dahinter liegt der Checkpoint Charlie, der berühmteste Grenzübergang der Welt. An seinem Gürtel baumelt ein Schild: "Foto ein Euro oder zwei Dollar".

Für viele das Symbol der Amerikaner in Berlin: die Rosinenbomber, die während der Berliner Blockade 1948 Süßigkeiten über der Stadt abwarfen. (Foto: Foto: ddp)

Hier kann man fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR für 25 Euro ein Stück Mauer mit Echtheits-Zertifikat kaufen. Oder T-Shirts mit der Aufschrift "You are leaving the American Sector." Oder man lässt sich sämtliche Alliierten-Stempel von einem als Soldaten Verkleideten auf ein falsches DDR-Visum stempeln. Fünf Stempel fünf Euro, 15 Stempel zehn Euro. Auf Wunsch auch in den Pass. Das Geschäft boomt.

Vor der US-Botschaft am Pariser Platz mit dem merkwürdig geschwungenen Vordach werden derweil Festzelte, eine Bühne und eine Zuschauertribüne aufgebaut. An diesem Freitagabend, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, ist die feierliche Eröffnung. Angela Merkel wird kommen, der frühere Präsident George Bush senior wird eine Rede halten, und 500 Ehrengäste werden zuhören.

Auch John Kornblum wird da sein. Er war das erste Mal als US-Diplomat in Berlin, als über das Viermächte-Abkommen verhandelt wurde, er war später US-Gesandter in der geteilten Stadt und kam schließlich noch einmal als Botschafter zurück. "Die Zeiten haben sich geändert. Wir waren die Beschützer von Berlin, ob man damit glücklich war oder nicht. Das ist nun anders, aber es ist nicht schlechter", sagt er.

"Viel mehr als der Kalte Krieg"

Es ist nicht mehr viel übriggeblieben von den Symbolen der jahrzentelangen US-Präsenz in Berlin, zumindest jenseits des Touristikgeschäfts. Es gibt das Alliierten-Museum am Rande des Grunewalds, es gibt das längst geschlossene, einst von der Studentenbewegung umkämpfte Amerika-Haus am Zoo, und es gibt einen ausrangierten Rosinenbomber am Tempelhofer Flughafen sowie eine Handvoll Straßen mit US-Namen. Jahrzehntelang haben die USA Westberlin bewacht und die Stadt geprägt. Aber diese Spuren sind im neuen Berlin nur noch schwer auszumachen.

"Amerika und Berlin, das ist viel mehr als der Kalte Krieg", sagt Karina Krawczyk. "Nur dass sich bisher niemand die Mühe gemacht hat, das zu beschreiben." Sie steht auf dem zugigen, schwarz asphaltierten Washington-Platz direkt vor dem gläsernen Berliner Hauptbahnhof, und der Wind zerfleddert ein wenig den dicken Stapel Papier, den sie mit beiden Händen umklammert.

Sie ist eine Stadtführerin, aber keine herkömmliche, die auf immergleichen Touren die Gedächtniskirche zeigt oder das Reichstagsgebäude. Sie hat vergessene Geschichten über Amerikaner in Berlin ausgegraben, auf Zettel geschrieben und daraus eine Entdeckungstour gemacht.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über amerikanische Spuren in Berlin.

Während man also auf den Bus wartet, der einen zum Brandenburger Tor bringen soll, erzählt Karina Krawczyk schon mal die Geschichte von Mark Twain, der 1891 mit Familie nach Berlin kam, im Stadtteil Schöneberg wohnte und seine Töchter an die Humboldt-Universität schickte. Es war für ihn die modernste Stadt, die er je gesehen hatte, das "Chicago von Europa".

Er schwärmte von der Pünktlichkeit der Droschken, den praktischen Litfaß-Säulen und den stets wärmenden Kachelöfen.Er schrieb darüber in der New York Sun, und der Ruf, Europas Chicago zu sein, blieb irgendwie an Berlin haften, nicht nur in den USA. Sogar Außenminister Walther Rathenau modelte das klassische "Spree-Athen" in "Spree-Chicago" um.

Der Bus stoppt schließlich vor dem wiederaufgebauten Hotel Adlon am Brandenburger Tor, und Frau Krawczyk kramt einen weiteren Zettel hervor, denn schließlich war dieses Hotel einst die Lieblingsherberge für prominente und reiche Amerikaner wie John D. Rockefeller, Sinclair Lewis, Henry Ford oder Charlie Chaplin. Aber sie macht nicht lange halt, es geht weiter, kreuz und quer durch Berlin, auf den Spuren von Dorothy Thompson, die als erste Ausländerin 1932 Adolf Hitler interviewte und zwei Jahre später als erste Auslandskorrespondentin ausgewiesen wurde.

Man steht am Ku'damm, wo Alfred Hitchcock die richtige Kulisse für seinen Ost-West-Thriller "Der zerrissene Vorhang" fand, und man macht Station im Kennedy-Museum, das dem Mann gewidmet ist, der als einziger US-Präsident nicht in der Nähe der Berliner Mauer gesprochen hat, aber dafür mit einem einzigen Satz das deutsch-amerikanische Verhältnis mehr prägte als alle nach ihm. Wenn man will, kann man noch schnell einen Abstecher zum Regency-Hotel am Gendarmenmarkt machen, in dem Tom Cruise vergangenes Jahr mit Frau und Kind residierte, weil er in Berlin einen Hollywood-Film drehte.

Ein wenig schwirrt einem der Kopf nach dieser Spurensuche. Um wieder einen etwas klareren Blick auf die Verhältnisse zu bekommen, fährt man am besten an den Großen Wannsee und besucht Gary Smith. Er sitzt in der holzgetäfelten Bibliothek einer großbürgerlichen Villa, der Blick aus dem Fenster geht über den Park hinaus auf die Wellen des Wannsees. "Es gibt in den USA nach wie vor eine große Faszination für Berlin. Anfangs hatte ich geglaubt, sie schwindet. Aber das Gegenteil ist der Fall", sagt Smith.

Keine leichten Jahre

Seit ihrer Eröffnung vor zehn Jahren leitet Gary Smith die American Academy, und es gibt wohl keinen Amerikaner in Berlin, der mehr Kontakte hat als er. Die Academy ist ein offenes Haus, ein Brückenkopf für Intellektuelle von der anderen Seite des Atlantiks.

Mit seinem unerschütterlichen Enthusiasmus hat Gary Smith die Academy zu einem einflussreichen Zentrum für Politik, Kultur und Gesellschaft in der Hauptstadt gemacht, wo Politiker, Schriftsteller, Philosophen, Journalisten und Künstler debattieren. Manche in Berlin behaupten sogar, diese geistige Repräsentanz sei in mancher Hinsicht inzwischen wichtiger als die diplomatische Vertretung.

Gary Smith sagt, dass es einen spürbaren Unterschied gibt zwischen der kulturellen und politischen Wahrnehmung Amerikas. "Die positive Identifikation mit Amerika ist viel beständiger, als manche Umfragen glauben lassen. Dennoch wird es immer die Sorge über die Unvorhersehbarkeit einer Supermacht geben, und die Kritik der vergangenen Jahre war auch verknüpft mit den jeweiligen Präsidenten und ihrer Politik."

Auch die Academy war davon betroffen, denn die vergangenen Jahre mit George W. Bush waren keine leichten Jahre. "Aber Berlin, das ist etwas ganz anderes. Das ist eine Lovestory, die mit der Vielfalt und Offenheit der Stadt zu tun hat", sagt Smith, und er gerät fast ins Schwärmen, wenn er über die Energie und die Dynamik, die rasend schnellen Veränderungen spricht, die er in Berlin an jeder Ecke spürt. "Das alles ist eben auch sehr amerikanisch."

Inzwischen leben fast 20.000 Amerikaner in Berlin, und wenn man bedenkt, dass es früher im amerikanischen Sektor inklusive der dort stationierten US-Soldaten und ihrer Familien nur etwas mehr als 12.000 waren, dann sieht man schon, wie stark sich die Verhältnisse geändert haben.

Natürlich sind da auch noch die Rosinenbomber, die manch einem Amerikaner durch den Kopf schwirren, wenn er an Berlin denkt. Und aus amerikanischer Sicht war Berlin immer auch das Symbol für die Konfrontation zwischen Ost und West. "Ich glaube nicht, dass man ein Land findet, außer Israel, wo die Beziehungen emotionaler sind.

Lesen Sie auf Seite 3 über Rodeo in Berlin.

Und wenn man darüber nachdenkt, dann versteht man das Verhalten auf beiden Seiten auch etwas besser", sagt Smith, der selbst eine Deutsche geheiratet hat. Sein Schwiegervater ist der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz.

Eine Amerikanerin, die zu denen gehört, die seit vielen Jahren eine besondere Beziehung zu Berlin haben, ist Patty Ferrer. Sie kennt beides: die alte Insel Westberlin und die neue Hauptstadt. Anfang der achtziger Jahre ist sie in die geteilte Stadt gekommen. Sie liebte einen Künstler, einen Deutschen, und der weigerte sich, mit ihr zurück nach New York zu gehen.

Am Ende landeten sie in Westberlin und wohnten in einer sehr großen Altbauwohnung für sehr wenig Geld. Ihre jüdischen Verwandten in New York fragten: "Wie kannst du dort leben?" Aber sie hatte sich entschieden, und dabei ist es auch geblieben. Sie liest die New York Times im Internet und fliegt zwei Mal im Jahr nach New York. "Westberlin war damals für mich wie Downtown Manhattan. Nur ohne diesen ständigen Kampf." Jeder lebte in Westberlin sein eigenes Leben. "Das war Freiheit, Laisser-faire, Unabhängigkeit", sagt sie.

Anfangs hat Patty Ferrer für eine Galerie gearbeitet, dann, nach ein paar Jahren, einen Catering-Service gegründet und schließlich ein American Deli in Charlottenburg eröffnet. Es hieß "The Kitchen", gekocht wurde nach New Yorker Rezepten, und der Laden war schnell ein Treffpunkt für Amerikaner, die in die Hauptstadt gezogen waren.

"Es gibt zwei Lebenswelten", sagt Patty Ferrer. "Früher sind die Amerikaner gekommen, weil sie die Kultur und das ungezwungene Leben hier angezogen haben. Sie haben sich auf Berlin eingelassen und waren an der Stadt interessiert." Diejenigen, die jetzt kommen, sind meist wegen des Jobs hier, sie bringen ihre Familien mit, und sie verbringen viel Zeit mit ihren Landsleuten. "Sie richten sich ihre Welt ein wie zu Hause. Und nach einiger Zeit gehen sie auch wieder zurück."

American Way of Life in Berlin

Es gibt einen Ort in der Hauptstadt, der so etwas ist wie ein Gradmesser der Veränderung. Schräg gegenüber vom ehemaligen US-Hauptquartier in Zehlendorf ist ein großer leerer Platz. Für vier Wochen im Jahr wird beim Deutsch-Amerikanischen Volksfest der american way of life nach Berlin importiert. Seit fast 50 Jahren ist das so, und von diesen 50 hat Richard Simmons mehr als die Hälfte miterlebt.

Es fing damit an, dass er als junger GI die Zäune für das Rodeo zimmerte, weil er das bei den Ranchern daheim in Wyoming gelernt hatte. Von da an kümmerte er sich immer wieder um das Fest, erst um Kleinigkeiten, dann um die Aufbauten und später, als er aus der Armee ausgeschieden war und eine Berlinerin geheiratet hatte, sogar um die gesamte Organisation.

Es gab Bühnenshows, Countrymusic, Indianertänze, importierte Steaks und Ice Cream. Tausende GIs in Uniform und Zehntausende Westberliner fuhren dorthin. "Es war eine der besten Sachen, die wir je gemacht haben", sagt er und fügt ein bisschen pathetisch hinzu: "Aus Feinden wurden dort Freunde. Aber als die Army Westberlin verlassen hatte, war das ein tiefer Einschnitt."

Die 9000 US-Soldaten waren weg, und mit ihnen auch das Flair des Volksfestes. Die Besucherzahlen brachen ein, plötzlich waren es statt deutlich mehr als 500000 nur noch 400000. "Inzwischen", sagt Simmons, "kommen die Leute wieder." Aber der Charakter hat sich geändert. Früher ging es um Selbstdarstellung, um die Nähe zu den Westberlinern. Heute geht es um Tourismus und das Geschäft.

In einer geräumigen, mit dunkelrotem Stoff ausgeschlagenen Garderobe sitzt Gayle Tufts. Es sind noch ein paar Stunden bis zu ihrem Auftritt im Tipi-Zelt, einer Varieté-Bühne, direkt neben dem Kanzleramt im Tiergarten. Gayle Tufts ist Erfinderin des Denglish, eines anarchistischen Kauderwelschs aus Deutsch und Englisch.

1991 zog sie von New York nach Berlin, anfangs trat sie in kleinen Clubs auf, auch mal bei Sat1, schließlich hatte sie ihre eigene Show, in der sie als Sängerin, Tänzerin und Standup-Comedian auftritt. Gayle Tufts macht sich über Deutsche lustig, über Amerikaner oder beide zusammen. Und weil sie dafür sehr genau die Verhältnisse beobachtet, ist sie auch so etwas wie eine Beziehungschronistin.

"Das Image der Deutschen in den USA hat sich komplett geändert", sagt sie. "Statt Goethe und Hitler ist Deutschland jetzt Knut, Love Parade, Fußball und Heidi Klum." Eine gute Stunde später steht Gayle Tufts auf der Bühne, das Zelt ist fast ausverkauft. Das Publikum sitzt an kleinen Tischen, und als Gayle Tufts fragt, ob Landsleute anwesend sind, heben sich sogar einige Finger. Es ist eine so furiose wie professionelle Show, Tufts macht sich über die Leidenschaft der Deutschen für gutes Brot lustig, witzelt über ihren Geburtsort Brockton, dem "american Cottbus am Meer" und singt melancholische Lieder aus Berlin oder Hitparadenrock aus den USA.

Obama muss als Kalauer herhalten, ebenso wie das deutsche "So!", dieses unvergleichbare Wort, das es im Amerikanischen leider nicht gibt. Die große Anziehungskraft der Stadt auf die Amerikaner erklärt sie so: "Berlin ist ein Ort, an dem man trinken, rauchen und nackt im Park liegen kann. Das hat den prüden Amerikanern schon immer gefallen."

Die Touristen drängeln sich um ihn, First Sergeant Levy lächelt freundlich, es wird geknipst, und dann ist schon der Nächste dran. Levy steht am Checkpoint Charlie meist von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends, und wenn man ihn so ansieht, könnte man meinen, dass er nach Dienstschluss immer noch zum Schlafen in die McNair Barracks im Berliner Südwesten fährt.

Es ist nun aber so, dass First Sergeant Levy in Neukölln wohnt und nicht in den USA, sondern in Ostberlin geboren wurde. Sein Arbeitgeber ist nicht die US-Regierung, sondern das Unternehmen "Dance Factory", das mit herzförmigen Flyern Werbung macht und zudem Stripshows, Tabledance oder Feuershows im Angebot hat. Und der Checkpoint Charlie, die einstige Nahtstelle zwischen Ost und West mitten in Berlin, ist zu einem Disneyland für Alliierten-Folklore geworden.

© SZ vom 04.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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