Die Affäre Fourniret:Abhängig vom Serientäter

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Sie haben viel gemeinsam, die Ehefrauen von Marc Dutroux und Michel Fourniret. Nun hat die eine der anderen angeboten, ihr im Prozess beizustehen.

Nachdem Michelle Martin, die Frau des belgischen Mädchenmörders Dutroux, im Prozess gegen ihren Mann ausgesagt hatte, entschied sich auch die Ehefrau von Michel Fourniret, Monique Olivier, ihr Schweigen zu brechen.

Monique Olivier, die Ehefrau von Michel Fourniret. (Foto: Foto: dpa)

Erst durch ihre Aussage in der vergangenen Woche, in der sie ihrem Mann zehn Morde zur Last legte, war die Affäre Fourniret richtig ins Rollen gekommen.

Als Motiv wird das Urteil gegen Martin im Dutroux-Prozesses vermutet: Die Frau des Kindermörders wurde nicht nur als Mitwisserin, sondern als Komplizin zu 30 Jahren Haft verurteilt.

Vielleicht wollte Olivier nicht genauso enden. Vielleicht hatte sie aber auch Angst vor Fournirets Rückkehr. Der Triebtäter war nach der Flucht eines seiner Opfer bereits in Haft.

"Sie fürchtete die Freilassung Fournirets"

"Sie fürchtete vor allem eine mögliche Freilassung Fournirets bei der Anhörung am Freitag", erklärte ihr Anwalt Pierre Barthélemy dem Parisien. Dann hätte er wieder seinen verheerenden Einfluss auf sie ausüben können.

Seine Mandantin habe ausgepackt, weil sie "nicht wieder in die Klauen dieses Mannes zurückfallen wollte, so Oliviers Anwalt.

Tatsächlich erscheint dies umso wahrscheinlicher, je mehr Details der Morde bekannt werden: Monique Olivier wurde das Schicksal von Michel Fourniret so wie der mutmaßliche Serienmörder zu ihrem Schicksal wurde. Nun werden voraussichtlich beide dort enden, wo ihre Beziehung begann: im Gefängnis.

Die geschiedene 55-Jährige hatte nach übereinstimmenden Presseberichten aus eigenem Antrieb in den 80er Jahren mit Fourniret Kontakt aufgenommen, als dieser wegen Vergewaltigung von Minderjährigen im Gefängnis saß.

Am Anfang stand eine Kleinanzeige in einem katholischen Blatt. Es folgten Briefe, dann besuchte die dunkelhaarige Französin ihn im Gefängnis von Fleury Mérogis. Der intelligente Mann, dem Gutachter schon damals eine gefährliche Besessenheit vom Thema der Jungfräulichkeit bescheinigt hatten, faszinierte sie.

Nach seiner Verurteilung und Haftentlassung 1987 zog Olivier mit Fourniret zusammen und heiratete 1989 den zwei Mal geschiedenen Vater von vier Kindern. Zu dieser Zeit war sie bereits lange zu seiner Komplizin geworden.

Schon im Jahr der Haftentlassung half sie ihm nach eigenen Aussagen auf der Jagd nach Opfern. An mindestens sechs von Fournirets Morden soll Olivier nach Informationen der Zeitung Le Parisien beteiligt gewesen sein. Bislang hat der 62-Jährige neun Morde gestanden.

Bei mindestens sechs Mordtaten ihres Mannes soll Olivier die Rolle einer Mittäterin eingenommen haben. Häufig saß sie mit im Wagen, als Fourniret auf "Jagd" ging - und schuf so ein Klima des Vertrauens zu den jungen Mädchen, etwa am 20. November 1990, als er die 13-jährige Natacha entführte.

Olivier gab zunächst nur eine passive Beteiligung zu. "Ich war dabei", sagte sie zur Ermordung Natachas. "Ich saß im Lastwagen. Er hat sie vergewaltigt, erdrosselt und anschließend ins Wasser geworfen." Drei Tage nach der Tat wurde ihre Leiche gefunden.

Beim Ködern und Fangen geholfen

Doch Olivier half nach späterer Aussage ihrem Gatten auch beim Ködern und Fangen der Opfer.

1988 setzte sie sogar ihr gemeinsames Kleinkind ein, um ein Mädchen unter dem Vorwand in ihr Auto zu locken, es solle sie zum Arzt führen. "Sie war vielleicht genauso pervers wie er", erklärte Philippe Morandini von der belgischen Staatsanwaltschaft dem "Figaro". Im Verhör soll die intelligente Frau kein Zeichen des Bedauerns geäußert haben.

Was Monique Olivier wirklich antrieb, müssen psychiatrische Gutachten und das Gericht klären. Doch alle Zeugen sind sich einig: Die traurig aussehende Frau hatte sich ihrem Mann unterworfen. Fourniret, der vom französischen Staatsanwalt Yves Charpenel als "Schachspieler" bezeichnet wird, der immer die Kontrolle behalten will, hatte das Sagen.

Fourniret habe seine Frau "ausgesaugt" und sei ihr Bezugspunkt gewesen, sagt Charpenel. "Sie stand unter seinem Bann, aber sie war einverstanden", meint auch Morandini.

Inzwischen sitzt auch Olivier hinter Schloss und Riegel. Sie wird sich wegen "Entführung und Freiheitsberaubung" verantworten müssen. Der belgische Staatsanwalt Philippe Morandini ist der Ansicht, sie sei "vielleicht ebenso pervers wie er".

Wie der Anwalt Michelle Martins, Thierry Vayet, der belgischen Zeitung De Morgen erklärte, möchte seine Mandantin "mit Frau Olivier sprechen und ihr dabei helfen, das zu sagen, was sie weiß". Vielleicht könne Martin nach ihren eigenen Erlebnissen bei der Aufklärung des Falls helfen.

Fourniret zur Zusammenarbeit mit der Polizei bereit

Der Anwalt des geständigen Serienmörders Michel Fourniret hat unterdessen die Bereitschaft seines Mandanten zur Zusammenarbeit mit der belgischen und französischen Polizei unterstrichen.

"Er hat mir versichert, dass er bei den Ermittlungen helfen wird", sagte Anwalt Luc Balleux am Montag im belgischen Fernsehsender VTM. Der 62-Jährige sei in einer guten Verfassung. "Er ist relativ gelassen, wenn man die Umstände bedenkt."

Der in Belgien inhaftierte Kinderschänder hat neun Morde zwischen 1987 und 2001 gestanden und die Fahnder am Wochenende zu den Leichen zweier Opfer geführt, die er nahe dem Schloss Sautou in den französischen Ardennen an der belgischen Grenze vergraben hatte.

Die Ermittler befürchten allerdings, dass der Sexualstraftäter weit mehr Verbrechen begangen hat als die neun zugegebenen Morde in Belgien und Frankreich. Überprüft werden weitere Fälle in diesen Ländern sowie in den Niederlanden und Dänemark. Die deutsche Polizei habe "bisher keinen direkten Verdachtsfall", erklärte Dirk Büchner vom Bundeskriminalamt der dpa. "Wir stehen aber in engem Kontakt zu den Behörden in Belgien und Frankreich."

Der Generalstaatsanwalt von Reims, Yves Charpenel, äußerte Zweifel daran, dass Fourniret zwischen 1990 und 2000 inaktiv gewesen sei. "Er hat gesagt, dass er zwei junge Mädchen pro Jahr "gejagt" hat", sagte Charpenel der Zeitung Le Parisien vom Montag. Viele Vergewaltigungsopfer gingen aus Scham oder Schuldgefühl nicht zur Polizei. Sie sollten dies nachholen. "Die große Medienwirkung dieser Affäre hilft uns vielleicht, Fälle von Verschwundenen zu klären", fügte er hinzu.

Belgische und französische Beamte trafen sich am Montag bei Paris, um Ermittlungsergebnisse abzugleichen. Die dänische Polizei will mit DNA-Tests klären, ob Fourniret auch 1999 eine Elfjährige auf der Insel Falster vergewaltigt und gewürgt hat. Das Kind war an einem Strand entführt und in einem Wald missbraucht worden. Der Täter flüchtete wohl im Glauben, es getötet zu haben. Eine Phantomzeichnung nach Zeugenaussagen weist Ähnlichkeit mit Fourniret auf.

Hinweise auf Fahndungspannen

Derweil mehren sich Hinweise auf Fahndungspannen im Fall des Triebtäters, der erstmals 1966 wegen Voyeurismus und Exibitionismus verurteilt worden war. Die belgische Polizei habe 1996 Fournirets Haus durchsucht und seine Ehefrau und mutmaßliche Komplizin Monique Olivier verhört, berichtet die flämische Zeitung De Morgen.

Damals habe die Polizei eine Waffe gefunden. Ein inzwischen gestorbener Fahnder aus Belgien habe wegen Fourniret Kontakt zu französischen Ermittlern gehabt. Das gehe aus Unterlagen zum Dutroux-Prozess hervor. Trotzdem habe Fourniret bis 2003 weiter in Belgien unbescholten gelebt.

Ebenfalls ohne Folgen blieb in Frankreich ein Hinweis darauf, dass der angeblich mittellose Fourniret in den Ardennen das Schloss Sautou gekauft hatte. Laut der Zeitung Le Parisien hatte ein früherer Mithäftling Fournirets, Jean-Pierre Hellegouarch, 1999 vergeblich die Staatsanwaltschaft Creteil auf den Kauf hingewiesen.

Fourniret soll eine Beute von Hellegouarch geklaut und damit das Schloss finanziert haben. Bei dem Schloss waren am Samstag die Leichen von zwei Opfern Fournirets ausgegraben worden. Sie sollen von Dienstag an in Marseille obduziert werden.

Die meisten Opfer Fournirets waren junge Mädchen, die er vergewaltigte und erdrosselte. Einige Taten soll er so organisiert haben, dass sie anderen Tätern zugeschrieben wurden.

Ein von Fourniret gestandener Raubmord an einem Autofahrer Ende der 80er Jahre sei möglicherweise damals aktiven Autobahnpiraten zugerechnet worden, sagte Charpenel. Zudem wird der Franzose anderer Schwerverbrechen bezichtigt. "Man weiß, dass er hinter bewaffneten Überfällen in Belgien steckt."

Bei der Aufklärung der Fälle setzt die Justiz stark auf Geständnisse. "Fourniret und seine Frau nennen viele Details, aber manche sind falsch", sagte Staatsanwalt Charpenel. In den kommenden Tagen könne es weitere Grabungen nach Leichen geben. Fourniret spricht aber nicht mit jedem und gibt offenbar nicht alles preis. "Das ist ein Schachspieler. Wenn er sieht, dass er geschlagen ist, wirft er den König um."

Darüber hinaus hoffen Staatsanwaltschaften in Belgien und Frankreich darauf, dass die breite Berichterstattung über den Serienmörder zur Aufklärung weiterer Straftaten führen könnte.

Am Montag meldete sich im französischen Rundfunk eine Frau mit dem Vornamen Dahina zu Wort, die nach eigenen Angaben 1982, mit 14 Jahren, von Fourniret vergewaltigt wurde. "Er ist extrem intelligent, berechnend und manipulierend", sagte Dahina. Nach der Tat habe er geweint und "sein Leben erzählt".

Bei der Hochzeit habe er gedacht, seine Frau sei Jungfrau, sagte der Vergewaltiger seinem Opfer. Doch das habe nicht gestimmt, daher sei er "auf der Suche nach Jungfräulichkeit".

© Hans-Hermann Nikolei/dpa/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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