Dialekt:Das Bairische stirbt aus

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"Es kommen nur noch Theoretiker und Preußen zum Zuge" - Hochschulen geben kein Geld mehr für Dialektforschung aus, besonders dramatisch ist die Lage an der LMU München.

Hans Kratzer

(SZ vom 22.7.2003) - Die bayerische Sprache ist wieder in die Schlagzeilen geraten - als erotischster Dialekt Deutschlands. Der Dialektologe Bernhard Stör, einer der besten Kenner des bayerischen Idioms, hält solche Meldungen allerdings für einen Schmarrn.

"Hier geht es höchstens noch um den Reiz des Exotischen", sagt Stör, denn seine wissenschaftlichen Untersuchungen haben ergeben, dass die junge Generation in der Sprachregion München kein Bayerisch mehr spricht.

Während immerhin noch zwei Drittel der über 65 Jahre alten Münchener Begriffe wie Irta (Dienstag) oder Pfinzta (Donnerstag) kennen, herrscht bei den unter 25-Jährigen Fehlanzeige: In dieser Generation ist der bayerische Dialekt laut Stör so gut wie ausgestorben.

Bildungshindernis

Eine Entwicklung, die nicht nur dem Förderverein für bairische Sprache und Dialekte Sorgen bereitet. Auch Germanisten wie Kurt Rein, Emeritus der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU), warnen vor negativen Folgen durch das Verschwinden des Dialekts.

Seit dem Pisa-Desaster finden Förderer der Zweisprachigkeit wie Rein wieder Gehör. Dialekt zu sprechen und gleichzeitig die Schriftsprache zu gebrauchen: Das galt im Zuge der Sprachbarrieren-Diskussion der 70er Jahre als Bildungshindernis und setzte die fatale Entwertung des Dialekts in Gang.

Jetzt besinnt man sich erneut auf den didaktischen Wert einer breiten sprachlichen Grundlage: Die Ausdrucksfähigkeit sei variabler, das Erlernen von Fremdsprachen einfacher, heißt es in neuen Untersuchungen.

Zu spät

Bernhard Stör allerdings befürchtet, dass es im Großraum München für eine Umkehr fast zu spät ist. Nicht nur, dass der Dialekt bei der jungen Generation aus der Mode gekommen sei - auch die Dialekt-Kompetenz an den Schulen sei stark geschwunden.

Noch schlimmer aber ist die Situation an den Universitäten, allen voran an der LMU, die Kurt Rein schon in den 70er Jahren als "dialektologische Wüste" beschrieben hatte.

Eine denkbar schlechte Voraussetzung also für die Forderung des Würzburger Dialektforschers Norbert Richard Wolf, dass eine Universität in die Region wirken müsse, in der sie angesiedelt sei.

Selbst Fachkundige aus dem Ausland wie Hermann Scheuringer von der Universität Wien meinen: "Bei der miserablen Situation an den altbayerischen Hochschulen haut das nicht hin."

Schwerer Stand

Welch schweren Stand die Dialektologie hat, macht allein schon die Praxis bei der Neubesetzung von germanistischen Lehrstühlen an bayerischen Universitäten deutlich: Dialektologen haben dabei keine Chance mehr, wie Scheuringer kürzlich selber in Passau erleben musste: "Hier kommen nur noch Theoretiker und Preußen zum Zuge".

Während in Augsburg und in Würzburg wenigstens noch die schwäbischen und die fränkischen Dialekte eine wissenschaftliche Heimstatt haben, ist die Situation an der LMU München besonders dramatisch.

Die Studienbedingungen für das Fach Dialektologie sind miserabel: Die Bibliothek ist ein Armenhaus, und es gibt kaum Seminare. Dabei wäre bei den Studenten durchaus großes Interesse vorhanden. 60 Teilnehmer zählte Stör bei seinem Proseminar im abgelaufenen Semester. Nun soll es den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen.

Gewährsleute gestorben

An der Würzburger Uni will man die Skepsis der altbayerischen Dialektologen nicht teilen. Kürzlich verbreitete das Dialekt-Institut eine Mitteilung, wonach die Mundart lebe und nach wie vor ein Identifikationsfaktor sei.

Für Bernhard Stör geht das an der Realität vorbei. Die Würzburger beriefen sich auf Erhebungen des Sprachatlasses, die vor 20 Jahren erfolgt seien. "Die meisten Gewährsleute sind doch schon tot."

Aktuelle Untersuchungen von Rein und ihm machten deutlich, dass das Reden von einer heilen Mundartwelt fahrlässig sei. "Statements dieser Art sind nur Valium für das bayerische Kultusministerium, das die Situation der Dialekte bei Jugendlichen nachhaltig verkennt."

(sueddeutsche.de)

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