Der Tod eines Au-Pair-Mädchens:"Deutschland war ihr Traum"

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Ihre Hoffnungen, ihre Qualen, ihr Schweigen - der Prozess um den Selbstmord einer jungen Rumänin, die als Haushaltshilfe und Kindermädchen nach Franken kam.

Von Hans Holzhaider

"Deutschland war ihr Traum", sagt Rudolf Radulovici aus der rumänischen Kreisstadt Temesvar. Ramona war seine kleine Schwester, eine Nachzüglerin in der Familie, 20 Jahre jünger als der heute 42-jährige Rudolf. Als Ramona zwei Jahre alt war, trennten sich die Eltern, Rudolf und Ramona blieben bei der Mutter, der große Bruder wurde eine Art Vaterersatz für die Kleine. Er hat sie in den Kindergarten gebracht, er hat ihr das Schwimmen und das Radfahren beigebracht. Ramona ging acht Jahre lang in die deutsche Schule in Temesvar, machte ihr Abitur im rumänischen Lyceum und belegte an einer Abendschule Kurse in Psychologie und Chemie. Und dann ging sie nach Deutschland.

Es war eher ein Zufall. Eigentlich sollte die Tochter einer Nachbarin den Job bei der Familie H. im mittelfränkischen Herrieden antreten, aber die Nachbarstochter sagte dann ab, und Ramona sprang ein. "Unsere Mutter wollte sie nicht gehen lassen, aber Ramona wollte unbedingt", erzählt der Bruder.

Verstümmelte Antworten

Ende Juli 2002 fuhr das Mädchen ab, und dann hörte die Familie nichts mehr von ihr. Drei Monate lang kein Anruf, kein Brief, nichts. An Ramonas Geburtstag, dem 5. Oktober, rief die Mutter in Deutschland an. Zuerst konnte sie nur mit den Eheleuten H. sprechen. "Herr H. sagte, sie seien nicht zufrieden mit Ramona", erzählt Rudolf Radulovici. "Meine Mutter sagte, dann sollten sie sie doch nach Hause schicken, aber Frau H. sagte nein, Ramona habe ein paar Sachen kaputt gemacht, ein Schaden von 10.000 Mark sei entstanden, das müsse sie abarbeiten." Als Ramona endlich selbst ans Telefon kam, habe sie überhaupt nichts davon erzählt, wie es ihr gehe. "Nur ja und nein und ja und nein." Sie sprach deutsch, nicht rumänisch. Dann war wieder Funkstille.

Selbstmord als einziger Ausweg

Anfang Dezember bemühte sich eine befreundete rumänische Familie in Nürnberg um Kontakt mit Ramona. Sie war nicht zu sprechen, sie durfte nicht besucht werden. Danach, sagt der Bruder, habe Ramona die Mutter angerufen und sie gebeten, die Kontaktversuche einzustellen. "Sie sagte, wir sollten ihr das Leben nicht noch schwerer machen, als es schon ist." Und dann, eine Woche vor Weihnachten, hinterließ die rumänische Polizei bei einem Nachbarn der Radulovicis in Temesvar eine Fotokopie von Ramonas Pass mit dem Vermerk: "Das Mädchen hat sich erhängt". Am Abend des 16. Dezembers 2002 war Ramona Radulovici im Keller des Hauses ihrer Gasteltern tot aufgefunden worden. Sie hatte sich mit dem Seil einer Kinderschaukel erhängt. An ihrem Körper fand der Gerichtsmediziner zahlreiche Blutergüsse.

Kein strafrechtlicher Zusammenhang

Jetzt ist Rudolf Radulovici nach Deutschland gekommen, um vor dem Amtsgericht Ansbach den Prozess gegen Mario und Petra H. zu beobachten. Prozessgegenstand ist nicht der Tod der 21-jährigen Ramona. Einen strafrechtlich relevanten Zusammenhang zwischen der Behandlung des Mädchens durch seine Gasteltern und der Selbsttötung konnte die Staatsanwaltschaft nicht herstellen. Es gibt keine Beweise dafür, dass die blauen Flecken auf Misshandlungen durch das Ehepaar H. zurückzuführen sind.

Dreimal soll Petra H. die junge Frau geohrfeigt haben, heißt es in der Anklage, einmal habe sie ihr heißes Wasser über den Arm geschüttet, zur Strafe dafür, dass sich der kleine Sohn der H.'s am Bügeleisen verbrannt hatte. Aber das war alles schon im Oktober 2002, drei Monate vor dem Selbstmord. Was bleibt, sind Verstöße gegen das Ausländergesetz und gegen das Sozialgesetzbuch.

Keine gute Bleibe für Au-Pairs

Ramona Radulovici war nicht die einzige Ausländerin, die vom Ehepaar H. als Haushaltshilfe und Kindermädchen angestellt wurde. Vor ihr waren drei Mädchen aus Litauen dort beschäftigt, und gleich nach Ramonas Tod engagierte das Ehepaar noch eine Polin. Außer Ramona hatte keines der Mädchen eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis in Deutschland. Sie mussten, sagt der Staatsanwalt, sieben Tage in der Woche von früh morgens bis spät abends arbeiten, "nennenswerte Freizeit hatten sie nicht, ihr Leben bestand aus Arbeit und Schlafen". Ramona Radulovici, so die Anklage, habe von allen die längsten Arbeitszeiten gehabt: Täglich von sechs bis mindestens 23 Uhr. Dafür seien ihr 205 Euro pro Monat versprochen worden, umgerechnet ein Stundenlohn von 40 Cent.

Aus dem Alltag der Mädchen

Die 23-jährige Indre J. aus Litauen war Ramonas Vorgängerin. 400 Mark monatlich seien ihr versprochen worden, sagt sie, aber nach drei Monaten ließ die Bezahlung erst einmal auf sich warten. Ihr Arbeitstag begann um sieben Uhr morgens, die beiden größeren Kinder mussten für Schule und Kindergarten fertig gemacht werden, dann wurde geputzt, dann spazierengehen mit den kleinen Zwillingen, kochen, bügeln, putzen. Frau H. fuhr mit dem Finger über den Boden, sagt Indre J., und wenn sie nicht zufrieden war, dann gab es Geschrei. Nachts, sagt sie, habe sie oft bis ein oder zwei Uhr wach bleiben und das Babyphon bewachen müssen, bis das Ehepaar nach Hause kam. "Ich hatte das Gefühl, dass ich ausgenutzt werde." Einmal schrieb sie nach Hause, sie denke darüber nach, sich aufzuhängen. "Aber das war nur einen Augenblick lang", sagt Indre J., "ich hätte es nicht gemacht." Ramona Radulovici war nicht so zäh.

Im Oktober heuerte das Ehepaar wieder ein Mädchen aus dem Baltikum an. Asta S. wurde in Ramonas Zimmer im Keller des stattlichen Einfamilienhauses einquartiert. "Sie machte einen verängstigten, verlorenen Eindruck auf mich", berichtet die Litauerin. " Wenn irgend etwas mit der Arbeit nicht stimmte, dann schrie Frau H. so, dass sie zitterte." Asta S. blieb nicht die vereinbarten drei Monate. Am Samstagabend war sie gekommen, am Dienstag fuhr sie zurück in ihre Heimat.

© SZ v. 29.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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