Der Fall Niklas:Ein freier Mann und viele Fragen

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Im Prozess um den Tod von Niklas wird der Angeklagte freigesprochen.

Von Benedikt Peters, Bonn

Walid S. sitzt mit regungslosem Gesicht da, die Arme verschränkt, als der Richter das Urteil verkündet. "Wir können nicht beweisen, dass er ihn geschlagen hat und dass er am Tatort war", sagt der Richter Volker Kunkel. Damit wird S. von dem Vorwurf freigesprochen, den 17-jährigen Niklas zu Tode geprügelt zu haben.

Als der aufsehenerregende Prozess im Januar am Landgericht Bonn begann, erschien der Sachverhalt noch ziemlich klar. Der Schüler Niklas gerät in einer Mai-Nacht 2016 in Bonn-Bad Godesberg in eine Schlägerei, eine Faust trifft ihn an der Schläfe und später, als er am Boden liegt, ein Fußtritt am Kopf. Schon nach dem Schlag ist Niklas tot, die Blutgefäße in seinem Gehirn sind einem rechtsmedizinischen Gutachten zufolge vorgeschädigt.

Festgenommen und später angeklagt wird dafür Walid S., ein 20-Jähriger mit einer schwierigen Kindheit, mit Drogen- und Gewaltproblemen. Doch dann folgt ein Gerichtsverfahren mit zahlreichen Verhandlungstagen, das, wie es Richter Kunkel an diesem Tag sagt, dazu führt, dass die Zweifel an der Täterschaft von Walid S. "eher größer als kleiner geworden sind".

Es ist ein Verfahren voller widersprüchlicher Zeugenaussagen, unterschiedlicher Indizien - und es ist auch gekennzeichnet von "Ermittlungsdefiziten", wie es der Anwalt von Niklas' Mutter ausdrückt, die als Nebenklägerin auftritt. Die Polizei habe den Tatort erst fünf bis sechs Stunden nach dem Vorfall gesichert und wegen Personalmangels auf eine groß angelegte Fahndung verzichtet. Niklas' Mutter sei "durch die Hölle gegangen", sagt er. Einerseits wegen des Verlusts ihres Kindes, andererseits aber auch, weil die Aufklärung vor Gericht nicht voran kam.

Es gibt keine DNA-Spuren, keine Mobilfunkdaten, die belegen, dass S. am Tatort gewesen ist

Es gibt Hinweise darauf, dass Walid S. der Täter gewesen sein könnte. Zwei Zeugen, der eine ein enger Freund von Niklas, der in der Nacht dabei war, der andere ein Mann, der dem sterbenden Niklas erste Hilfe leistete, haben vor Gericht ausgesagt, S. als denjenigen zu erkennen, der Niklas geschlagen hat. Während des Verfahrens haben die beiden aber auch widersprüchliche Angaben darüber gemacht, daher halten die Richter ihre Aussagen für nicht belastbar. Sie unterstellen dabei aber keine bewusste Täuschungsabsicht, da die Zeugen unter großem Druck standen. Ein weiterer Hinweis darauf, dass S. der Täter gewesen sein könnte, ist die Tatsache, dass bei ihm eine Jacke gefunden wurde. Darauf ist eine Mischspur mit seiner DNA - und Blut von Niklas.

Die Jacke aber haben in der Tatnacht nachweislich unterschiedliche Menschen getragen, sie ist nicht dazu geeignet, S. zu überführen. Es gibt auch keine DNA-Spuren und keine Mobilfunkdaten, die belegen, dass S. am Tatort gewesen ist. Und schließlich kommt hinzu, dass einer der befragten Zeugen S. auf bestimmten Bildern sehr ähnlich sieht. Auch er könnte die Tat begangen haben, so lautet eine Vermutung. All das hat in der vergangenen Woche die Staatsanwaltschaft bewogen, auf Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge zu plädieren. Dem folgten schließlich die Richter. Sie verurteilten S. lediglich wegen Körperverletzung in einem anderen Fall, der in dem Verfahren nur eine Nebenrolle spielt. Die Strafe beträgt acht Monate Haft. Da S. aber schon ein knappes Jahr in Untersuchungshaft gesessen hat, verlässt er den Gerichtssaal als freier Mann.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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