Cosa Nostra:Sie nennen ihn Diabolik

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Ein Killer in Design-Anzügen: Messina Denaro gilt als brutalster Mafioso der Welt und Nachfolger des inhaftierten Bernardo Provenzano.

Stefan Ulrich

Als der sizilianische Pate Bernardo Provenzano Mitte April in seinem Versteck bei Corleone festgenommen wurde, empfing er seine Häscher mit einem abgewandelten Bibel-Zitat: "Ihr wisst ja nicht, was ihr da tut."

Messina Denaro, genannt der Prinz von Trapani. (Foto: Foto: AP)

Dem Anschein nach beteuerte der 73 Jahre alte Boss der Bosse so seine Unschuld. In Wirklichkeit dürfte er gemeint haben: Ihr werdet mir noch nachtrauern, denn unter meinem Nachfolger wird alles nur viel schlimmer.

Provenzano könnte Recht behalten. Denn es zeichnet sich ab, dass nun ein besonders gewalttätiger und erbarmungsloser Mann an die Spitze der Cupola, der Mafia-Führung, tritt.

Sein Name ist Messina Denaro.

Gute Freunde dürfen ihn "Diabolik" nennen - nach einer italienischen Comicfigur. Was über ihn bekannt ist, fügt sich zum Bild eines blutrünstigen Playboys, der von seinen Spießgesellen wie ein Gott verehrt wird.

Der 44 Jahre alte Mafioso selbst hat sich einmal gerühmt, mit seinen Opfern lasse sich ein ganzer Friedhof füllen. Dabei scheinen ihn nicht die geringsten Skrupel zu plagen. In abgefangenen Briefen an seine Freundinnen beschrieb er den Kampf der Mafia gegen den Staat als gerechten Krieg, in dem jedes Mittel erlaubt sei, "von der Korruption über den Sprengstoff bis hin zum Mord".

Mit 14 lernte er schießen, mit 18 beging er seinen ersten Mord

Italienischen Ermittlern zufolge hat Denaro - der Familienname bedeutet "Geld" - im Lauf seiner Verbrecher-Karriere mindestens 50 Menschen persönlich umgebracht oder umbringen lassen. Einmal soll er mit eigenen Händen die schwangere Frau eines Rivalen erdrosselt haben. Bereits mit 14 Jahren lernte er schießen, mit 18 beging er seinen ersten Mord, mit 30 stieg er in die Führungsriege der berüchtigsten Verbrecher-Organisation der Erde auf.

Seit 13 Jahren ist er flüchtig. Dabei sucht ihn nicht nur die italienische Polizei. Auch das amerikanische FBI sieht in ihm einen der mächtigsten Drogenhändler der Welt, der über ausgezeichnete Kontakte zu kolumbianischen Drogen-Baronen verfügt.

In den vergangenen Jahren bildete der ehrgeizige Mafia-Boss der Provinz Trapani gemeinsam mit seinem einzigen verbliebenen Konkurrenten, Salvatore Lo Piccolo aus Palermo, und Provenzano ein Triumvirat. Mafia-Kronzeugen berichteten, Denaro habe zeitweise sogar versucht, Provenzano zu stürzen.

Dieser habe sich lange dem Aufstieg Denaros widersetzt und ihn später aus Furcht vor einem Anschlag geschnitten. In letzter Zeit scheint das Verhältnis der beiden Bosse aber gut gewesen zu sein. Das geht aus den "pizzini" hervor, kleinen Zetteln, mit deren Hilfe Provenzano und seine Unter-Führer kommunizierten.

Die Polizei fand in dem Bauernhaus bei Corleone, in dem sich der "Capo di tutti capi" Provenzano zuletzt versteckt hielt, viele solcher Zettel. Die Ermittler sind dabei, sie zu entschlüsseln. Dabei fiel ihnen auf, mit welcher Ergebenheit sich Denaro an Provenzano wandte. Er sprach seinen Boss stets mit "Sie" an und versicherte ihm: "Was immer Sie entscheiden, ist mir recht."

Dabei könnten die beiden Unterwelt-Größen verschiedener nicht sein. Provenzano ist ein Mann der alten, konservativen Mafia, erdverbunden, persönlich anspruchslos, demonstrativ fromm, ohne Schulbildung, aber bauernschlau. 1993 an die Macht gekommen, vermied er spektakuläre Gewalttaten und den frontalen Zusammenstoß mit dem Staat. Stattdessen pflegte er die Kontakte mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft, um die Cosa Nostra im Stillen gedeihen zu lassen.

Ganz anders Denaro: Er wurde in einer Zeit groß, als die Mafia die offene Feldschlacht mit dem Staat suchte, Richter, Staatsanwälte und Journalisten ermordete und sich zugleich in den eigenen Reihen einen mörderischen Machtkampf lieferte. Auch im Lebensstil steht Denaro für eine neue Generation der "Ehrenmänner". In eine mächtige Mafia-Familie hineingeboren, machte er mit seinen Allüren Furore, bevor er in den Untergrund gehen musste.

Bekannte von früher berichten, der junge Denaro sei gern mit einem Porsche voller Champagner-Flaschen aus seinem Heimatort Castelvetrano hinab an die Strände von Selinunt gefahren, um dort rauschende Partys zu feiern. Der "Prinz von Trapani", wie er genannt wurde, trug Anzüge von Versace, goldene Rolex-Uhren und Brillen von Ray-Ban und arbeitete an seinem Ruf als rastloser Frauenheld. Eine schwangere Freundin ließ er sitzen - in der alten Mafia ein tödlicher Verstoß gegen den Ehrenkodex.

Bei aller Brutalität: Denaro ist bekannt als strategischer Kopf

Zugleich mordete sich der junge Sizilianer zielsicher nach oben. Provenzanos Vorgänger Toto Riina wurde auf ihn aufmerksam und betraute ihn mit Attentaten im Jahr 1993 auf Museen und Kirchen in Mailand, Florenz und Rom, bei denen zehn Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden.

Bei aller Brutalität gilt Denaro als strategischer Kopf, der nicht wie ein primitiver Schlächter, sondern als smarter Geschäftsmann auftritt. Das könnte ihn in den Augen der Mafia zum Nachfolger Provenzanos qualifizieren.

Zudem gilt er als dynamischer und charismatischer als sein vorsichtiger Rivale, der 63 Jahre alte Lo Piccolo. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es am Ende zu einem blutigen Machtkampf kommt, in dem die Palermitaner nach vielen Jahren der Herrschaft der Corleonesi Riina und Provenzano wieder die Oberhoheit über die Cosa Nostra erringen wollen.

Die italienischen Fahnder hoffen derweil auf einen Schwachpunkt Denaros - seine Schwäche für schöne Frauen. Sie ermitteln nach dem französischen Motto: Cherchez la femme.

© SZ vom 29.04.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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