Bremen:Jugendamt versagte im Fall Kevin immer wieder

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Die amtliche Dokumentation des Fall Kevins kommt zu dem Schluss, dass der Zweijährige vor den tödlichen Misshandlungen hätte gerettet werden können.

Die am Dienstag vorgelegte amtliche Dokumentation zum Fall Kevin weist dem Bremer Jugendamt eine ganze Reihe schwerer Versäumnisse und Fehleinschätzungen nach. Der Tod des Jungen hätte verhindert werden können, wenn beteiligte Stellen die Vorschriften zum Umgang mit Kindern drogenabhängiger Eltern beachtet hätten, sagte der Bremer Justizstaatsrat Ulrich Mäurer.

Ulrich Mäurer mit einer Dokumentation über die Abläufe und Zusammenhänge im Todesfall Kevin (Foto: Foto: ddp)

In einer Untersuchung über Abläufe und Zusammenhänge dokumentierte Mäurer gravierende Fehler von Mitarbeitern des Sozialamtes. "Es gab viele, die diese Entwicklung hätten verhindern können." Mäurer forderte eine Überprüfung der Kontrollen im System der Sozial- und Jugendhilfe. Dieses habe offensichtlich versagt.

Hauptverdächtiger ist nicht leiblicher Vater Kevins

Der Tod des zweijährigen Kevin hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Er stand unter Vormundschaft des Bremer Jugendamtes. Am 10. Oktober hatten Polizisten seine Leiche im Kühlschrank eines Drogensüchtigen Bernd K. gefunden, der bislang als Kevins Vater galt.

Inzwischen hat eine DNA-Analyse ergeben, dass K. nicht der leibliche Vater ist. Der 41-Jährige sitzt in Untersuchungshaft, weil er im dringenden Verdacht steht, den Jungen getötet zu haben. Er schweigt zu den Vorwürfen.

Gegen Bernd K. wurde schon früher im Zusammenhang mit dem bislang ungeklärten Tod von Kevins Mutter im November 2005 ermittelt. Diese Ermittlungen würden demnächst eingestellt, sagte Mäurer.

Die Staatsanwaltschaft habe keine Hinweise auf ein Fremdverschulden bei dem Tod der Mutter gefunden. Er könne mit ihrem schlechten Gesundheitszustand erklärt werden.

Der Fall hatte schwere Versäumnisse der Behörden ans Licht gebracht. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) trat zurück. Die Justiz ermittelt wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht gegen Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste. Der Leiter des Jugendamtes wurde von seinem Posten suspendiert. Der Landtag, die Bremische Bürgerschaft, setzt am Donnerstag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Falles ein.

"Es wurden nie Konsequenzen gezogen"

Kevin hatte gegen den Rat von Experten bei dem Drogensüchtigen gelebt. Als größten Fehler bezeichnete Mäurer die Entscheidungen der Behörden, Kevin zunächst bei der Mutter und dem befreundeten Drogensüchtigen zu lassen. Es habe keine Sanktionen gegen die beiden gegeben, obwohl sie immer wieder gegen Auflagen verstoßen hätten oder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen seien. Ärzte hätten zudem den Zustand des Kindes als "sehr erbärmlich" beschrieben. "Das Fatale daran war, dass nie Konsequenzen gezogen wurden", kritisierte Mäurer.

Kevin starb wohl früher als bisher angenommen

Zudem haben nach Angaben von Mäurer zahlreiche Hinweise unterschiedlicher Stellen vorgelegen, dass Kevin von Geburt an mehrmals erheblich gefährdet war. Außerdem sei die Vorgeschichte der Mutter und ihres Freundes ausreichend bekannt gewesen. "Das Kind kommt in den Akten der Eltern jedoch nicht vor", sagte Mäurer, "ich glaube nicht, dass Sachbearbeiter Kevin jemals gesehen haben".

Hamburger Spezialisten sollen jetzt die Todesumstände des Kindes klären. Wegen zahlreicher Knochenbrüche an Armen und Beinen gilt ein natürlicher Tod als unwahrscheinlich. Der Todeszeitpunkt steht derzeit nicht fest. "Es ist denkbar, dass Kevin bereits Anfang Juli 2006 ums Leben gekommen ist", heißt es in dem Bericht. Die Rechtsmedizin in Bremen hatte wegen der starken Verwesung die genaue Todesursache nicht feststellen können.

Grüne machen Spardruck verantwortlich

Nach Einschätzung der Bremer Grünen hat der Spardruck im Amt die Fehleinschätzungen beeinflusst. Die Kostendeckelung habe generell dazu geführt, Kinder und Jugendliche nicht in Heimen oder Pflegefamilien unterzubringen, da ambulante Hilfen billiger seien.

Bremens SPD-Fraktionschef Carsten Sieling begrüßte die angekündigte Überprüfung des Systems der Jugendhilfe und der Praxis der Substitutionsbehandlung mit Methadon bei drogensüchtigen Eltern.

Der Hamburger Senat strebt unterdessen eine neue Initiative zum besseren Schutz für Kinder an. Jugendämter sollten unbeschränkt Auskünfte über Personen im häuslichen Umfeld des Kindes einholen dürfen, forderte Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU). Gegenwärtig erhalten Jugendämter vom Zentralregister lediglich ein allgemeines Führungszeugnis.

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