Boris Becker übers Pokern:Bluffen mit Boris

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Beim Pokerturnier in Monte Carlo spielten die Besten der Welt. Mit dabei: Boris Becker. Im Interview spricht er über die Gemeinsamkeiten von Tennis und Pokern, seine Ambitionen und Oliver Kahn.

Interview: Jürgen Schmieder

Die ehemalige Tennislegende versucht sich nun als Pokerspieler. Man begegnet ihm im Monte Carlo Bay & Ressort mit Spielkarten und Chips in der Hand. Er hat den Ehrgeiz, nicht nur mitzuspielen. Wie man unter Druck Spiele gewinnt, kennt er ja noch vom Tennis.

sueddeutsche.de: Herr Becker, kennen Sie denn die Wahrscheinlichkeit, zwei Asse auf die Hand zu bekommen?

Boris Becker: Das weiß ich nicht - aber das ist mir in diesem Jahr auch erst drei Mal passiert. Zwei Mal online und ein Mal live.

sueddeutsche.de: Pokerprofis wissen das allerdings auswendig. Und laut Wikipedia sind Sie nun ja professioneller Pokerspieler ...

Becker: Dann hat das Online-Casino Pokerstars.de aber viel Geld ausgegeben, dass das da steht.

sueddeutsche.de: Als bekannt wurde, dass Sie das Testimonial für ein Online-Casino sind, dachten viele: "Okay, Boris macht Werbung." Es scheint Ihnen aber ernst zu sein mit der zweiten Karriere ...

Becker: Der Unterschied zu einem Werbevertrag ist, dass ich hier aktiv dabei bin. Dabei geht es gerade um Glaubwürdigkeit und die Frage: "Kann ich pokern? Macht mir das überhaupt Spaß?" Fakt ist: Ich habe nicht erst gestern mit dem Pokern angefangen. Die Erfahrungen der letzten Wochen waren gut. Und jetzt hoffe ich, dass meine Qualitäten ausreichen, den zweiten Turniertag zu erreichen, in den dritten Tag zu kommen.

sueddeutsche.de: Schwer vorstellbar, dass Boris Becker sagt: "Vielleicht den zweiten Tag erleben." So kennt man Sie doch nicht!

Becker: Wenn Sie meine Pressekonferenzen nach der ersten Runde in Wimbledon gehört haben, dann war das identisch! Als Berufsspieler - ob nun Tennis oder Pokern - hat man Respekt vor dem Spiel und den Gegnern. Das ist doch beim Tennis genauso: Wenn's blöd läuft, dann kann ich gegen die Nummer 150 der Weltrangliste verlieren.

sueddeutsche.de: Aber man glaubt doch an den Sieg ...

Becker: Das schon, aber man hat Respekt. Von den Topleuten wird nie jemand sagen: "Ich bin sowieso im Finale und es ist nur die Frage, ob ich Erster oder Zehnter werde."

sueddeutsche.de: Als Tennisspieler waren Sie sehr emotional. Die Becker-Faust war das Markenzeichen, legendär auch Ihre Wutreden gegen sich selbst. Beim Pokern dagegen wird verlangt, die Contenance zu bewahren. Wie geht das zusammen?

Becker: Das stimmt schon. Aber ich glaube, dass ich mich auch als Tennisspieler entwickelt habe. Als Teenager war ich noch viel emotionaler und offener. In den letzten fünf Jahren meiner Karriere habe ich mich, was die Emotionen angeht, doch sehr reduziert. Ohne natürlich das Feuer verloren zu haben.

sueddeutsche.de: Ein emotionsloser Boris Becker also?

Becker: Natürlich muss ich mich zusammenreißen, geduldig sein und abwarten - aber schon aggressiv sein, wenn es geht.

sueddeutsche.de: Was Sie noch als Tennisspieler auszeichnete: Diese Fähigkeit, genau dann ein Ass zu schlagen, wenn es sein musste. Hilft Ihnen das nun auch bei der neuen Karriere?

Becker: Von der Persönlichkeit sind ja der Tennisspieler und der Pokerspieler gleich. Ich wünschte natürlich, Sie hätten Recht mit Ihrer Aussage. Weil dann hätte ich mehr Tennismatches gewonnen. Aber ich habe ja auch viele Spiele verloren. Beim Tennis konnte ich nach einer gewissen Zeit auch von meiner Erfahrung profitieren. Das kann ich beim Pokern noch nicht.

sueddeutsche.de: Gibt es andere Analogien zwischen Tennis und Pokern?

Becker: Absolut. Beim Tennis kann man zum Beispiel auch bluffen.

sueddeutsche.de: Bluffen? Beim Tennis?

Becker: Wenn man merkt, dass der Gegner total aus dem Rhythmus ist, dann tut man fast alles, damit er diesen Rhythmus nicht wiederfindet.

sueddeutsche.de: Das müssen Sie näher erklären ...

Becker: Angenommen man führt 40:0, hat den Gegner entnervt und macht beim ersten Aufschlag einen Fehler. Dann riskiert man beim zweiten Aufschlag enorm viel, geht auf Ass, nimmt aber den Doppelfehler gern in Kauf.

sueddeutsche.de: Ein hohes Risiko also?

Becker: Es ist doch besser, diesen Punkt freiwillig abzugeben als einen Sicherheitsaufschlag im Feld zu platzieren. Am Ende trifft der Gegner den Ball perfekt und kommt so wieder ins Spiel zurück. An einem Doppelfehler kann er sich nicht hochziehen.

sueddeutsche.de: Ziemlich viel Strategie. Sind Sie beim Pokern auch ein Stratege oder eher ein Bauchspieler?

Sportikone, Werbestar, Pokerspieler: Zwischen den Bildern liegen 23 Jahre. (Foto: Foto: dpa, oh, Pokerstars)

Becker: Ich bin auf keinen Fall ein Glücksritter. Natürlich würde ich im Notfall auch mal ein Spiel mit Glück gewinnen. Ansonsten spiele ich abwartend - und meistens nur dann, wenn ich ein gutes Blatt habe. Natürlich gibt es mal einen Bluff zwischendurch. Aber ich werde mein Glück nicht herausfordern.

sueddeutsche.de: Trainieren Sie fürs Pokern?

Becker: Natürlich. Ich habe sogar einen Trainer bekommen, mit dem ich eine Woche lang jeden Tag geübt habe. Aber es ist ja auch nicht so, dass ich ein totales Greenhorn war, das nicht wusste, was ein Ass ist. Ich habe schon mit 18 Jahren das Casino in Monte Carlo wöchentlich besucht und habe meine Meriten verdient - oder erstmal verloren.

sueddeutsche.de: Bei welchen Spielen?

Becker: Sehr unterschiedlich. Pokern, Roulette, Black Jack.

sueddeutsche.de: Sind Sie ein Zocker?

Becker: Ich habe immer sehr gerne gespielt. Aber ein Zocker im herkömmlichen Sinn bin ich gewiss nicht. Ich habe nie in Dimensionen gespielt, bei denen ich Haus und Hof hätte verlieren können. Aber ich habe gespielt, der Reiz war da.

sueddeutsche.de: Oliver Kahn, der als Torwart bald seine Karriere beendet, sagte nach dem Uefa-Cup-Spiel in Getafe, dass ihm am Sport vor allem die Emotionen fehlen werden, der Kick. Ist Pokern für Sie auch eine neue sportliche Herausforderung?

Becker: Der Oliver wird das in fünf Jahren auch anders beschreiben. Man wird ja älter und besonnener, man sucht nicht mehr nach dem täglichen Kick. Fakt ist: Ich werde nie wieder das Gefühl haben wie bei einem Matchball in Wimbledon! Das ist nun einmal so. Dafür gibt es andere Emotionen, die viel größer und schöner sind.

sueddeutsche.de: Welche sind das?

Becker: Die Geburt eines Kindes etwa oder private Situationen generell. Das ist viel wichtiger. Und dann lernt man auch, dass man gerne pokert - aber nicht die Wände hochgeht, wenn mal kein Turnier ist.

sueddeutsche.de: Aber Sie ärgern sich nach wie vor, wenn Sie verlieren ...

Becker: Absolut. Ich verliere total ungern. Deshalb werde ich eine Niederlage so lange wie möglich hinauszögern.

sueddeutsche.de: Dennoch muss man beim Pokern in vielen Situationen aufgeben.

Becker: Niemand gibt gerne auf, und außerdem werden die Chips dann auch nicht mehr. Dann muss man eben "All-in" gehen ( Anm. d. Red.: alle Chips in die Mitte schieben) und auf ein Wunder hoffen.

sueddeutsche.de: Welchen Ihrer alten Tenniskollegen würden Sie gerne mal zum Pokermatch herausfordern?

Becker: Fast alle. Mich würde dabei besonders interessieren, ob Agassi, McEnroe, Lendl oder auch Jimmy Connors ihre Emotionen fest im Griff haben und mir mit einem Pokerface gegenübersitzen - oder ob ihre Gefühle mit ihnen durchgehen.

sueddeutsche.de: Ich würde Ihnen gern drei Fotos zeigen. Ein Satz zu jedem dieser drei Fotos?

Becker: Er betrachtet die Fotos - mehr als 20 Sekunden lang. Er atmet tief durch, dann lächelt er und deutet auf das Bild, auf dem er den Wimbledon-Pokal in die Höhe hält. Das ist natürlich ein anderes Leben. Das war das Ende des ersten, privaten Lebens und der Anfang von der öffentlichen Person Boris Becker. Er deutet auf das zweite Bild. Das ist der Werbestar oder die Werbe-Ikone, wie man heute so schön sagt. Er klopft fest auf das dritte Bild. Und das ist Realität, so sehe ich mich heute. Ich bin wirklich froh, dass ich heute diese Person bin. Denn es ist unglaublich schwer, von dem Moment auf dem ersten Bild zu dem Typen auf dem dritten Bild zu kommen. Das sind ja schließlich keine fünf Jahre, sondern 23. Dieser Übergang ist für jeden Sportler schwer.

sueddeutsche.de: Sie haben sich aber entschlossen, nach der Karriere in der Öffentlichkeit zu bleiben. Andere Sportler ziehen sich komplett zurück. Steffi Graf zum Beispiel.

Becker: Nun, Steffi Graf hat zuerst mal zwei Kinder bekommen. Das kann ich nun mal nicht. Ich bin ein Mann und kann Kinder nur zeugen.

sueddeutsche.de: Aber das ist nicht der einzige Grund, oder?

Becker: Wenn man lange in der ersten Reihe stand, dann braucht man das irgendwo wieder. Und ich wohne ja mitten in Europa, da ist es schwer, privat zu bleiben. Steffi und Andre wohnen in Las Vegas, in der Wüste wird man nicht ständig von der Bild-Zeitung beobachtet!

sueddeutsche.de: Das haben Sie sich aber selbst ausgesucht, in Europa zu wohnen.

Becker: Ich fühle mich einfach als Europäer hier zu Hause. In Las Vegas könnte ich nicht wohnen, aber es stimmt: Es gibt Sport-Persönlichkeiten, die sich nach ihrer aktiven Karriere komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Und es gibt einen Beckenbauer, Schumacher oder Becker - und bestimmt auch künftig einen Oliver Kahn, die anders leben.

sueddeutsche.de: Oli Kahn hat ja das Golfen.

Becker: Das tue ich auch mit Leidenschaft - wie eben Pokern.

sueddeutsche.de: Wenn man in zehn Jahren bei Wikipedia Ihren Namen eingibt, was wird man dort lesen?

Becker: Zuerst mal stimmt ja schon nicht, was heute drinsteht. Ich bin kein Pokerprofi, sondern ambitionierter Anfänger. Ich bin in anderen Dingen sicher besser als beim Pokern, aber die mache ich auch hauptberuflich. Es ist schon erstaunlich, wie wenig Wahres im Internet oder sonstigen Publikationen steht.

sueddeutsche.de: Stört Sie das sehr?

Becker: Das ist ein Problem, das ich gerade in Deutschland habe. Da entsteht ein völlig falsches Bild von mir. Aber ich kann doch nicht jede Woche eine Pressekonferenz geben und sagen: "Das stimmt nicht und das stimmt nicht!" Das ist das Übel, das ich ertragen muss: 90 Prozent der Dinge, die über mich geschrieben werden, sind falsch.

sueddeutsche.de: Bei Wikipedia zumindest hätten Sie die Möglichkeit, selbst etwas hineinzuschreiben ...

Becker: Okay, dann soll da in fünf Jahren drinstehen, dass ich ein besserer Pokerspieler bin.

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