Bluttat in Schwalmtal:Tödliche Familienfehde

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Einen Tag nach dem Drama von Schwalmtal sind die Nachbarn geschockt - und attestieren dem 71-jährigen Schützen ein hohes Gewaltpotenzial. Über die Tat werden immer mehr Einzelheiten bekannt.

J. Nitschmann und P. Selldorf

Erst am vergangenen Samstag gab es ein Straßenfest in der Margeritenstraße. Auch Barbara K. war da, und bei dieser Gelegenheit, bei Kaffee und Kuchen, Altbier und Würstchen, erzählte sie den Nachbarn, dass sie wohl bald fortziehen werde aus der Straße: Ihr Haus werde versteigert, die Gutachter zur Wertermittlung der Immobilie seien für kommende Woche bestellt.

Nach dem Drama von Schmalztal: Immer mehr Details der Tat werden bekannt. (Foto: Foto: dpa)

Die Margeritenstraße durchmisst in der Form eines L die Siedlung in Schwalmtal-Amern, im Kreis Viersen am Niederrhein. Es sind propere Häuser, eine von Feldern und Wiesen umgebene Gegend für Familien mit Kindern und Haustieren. Barbara K. - 44, geschieden, alleinstehend - bewohnt hier mit ihren zwei Hunden ein großzügiges Mehrfamilienhaus aus rotem Backstein, in dessen Untergeschoss sie einen Untermieter beherbergt.

Als am Dienstagnachmittag die Besucher ins Haus kommen, zwei Anwälte und zwei Gutachter der Kreisverwaltung, ist der junge Mann mit dem Hund unterwegs. Vielleicht war das sein Glück, denn das geschäftsmäßige Treffen gerät zum Drama, als der ebenfalls zum Termin hinzugekommene Heinz B., der Vater von Barbara K., der im Haus übernachtet hatte, eine Pistole zieht und sofort das Feuer eröffnet.

Der 71-Jährige erschießt beide Anwälte und einen Gutachter. Den zweiten Gutachter verletzt Heinz B. schwer. Danach lädt der 71-Jährige seine Pistole mit sieben Schuss Munition nach, "um sicher zu gehen, dass seine Opfer auch tot sind", wie der Leitende Kriminaldirektor Jürgen Schneider später mitteilen wird. Der verletzte Gutachter kann sich der Polizei und Zeugen zufolge mit Schussverletzungen im Gesicht und an der Hüfte zum Nachbarhaus schleppen. Ein Rettungswagen bringt ihn ins Krankenhaus, wo Ärzte sein Leben retten.

Heinz B. verschanzt sich vor den eingetroffenen Streifenwagen und Spezial-Einheiten der Polizei im Haus seiner Tochter. Bis 19.30 Uhr dauert die Belagerung, dann schwenkt der 71-Jährige als Zeichen der Aufgabe ein weißes Hemd und tritt vor das Haus, vor dessen Garage seit Stunden ein toter Mann liegt. Als ihn Beamte des Sondereinsatzkommandos überwältigen, brüllt er.

An sein Wimmern und an seine Schreie, so erzählen die Nachbarn, die in ihren Häusern das Ende des Geschehens abgewartet hatten, werden sie sich wohl ewig erinnern. Ein zwölfjähriger Junge, der sich allein im Nachbarhaus befand, konnte zuvor von Polizisten in Sicherheit gebracht werden. Ehrenamtliche Nothilfeseelsorger kümmerten sich um ihn, ebenso wie um die junge Frau, die im Nachbarhaus den heftig blutenden, schwer verletzten Gutachter in Empfang genommen hatte.

"Da waren die Schüsse, und dann kam schon der Mann angelaufen und hat nach einem Rettungswagen geschrien, und dann wollte er Wasser und einen Lappen haben", berichtete die junge Frau später.

Barbara K. ist bei den Anwohnern der Margeritenstraße beliebt, ihr Vater nicht. In dem zähen Kampf, den Barbara K. nach der Trennung mit ihrem früheren Mann austrug, hatte ihr Vater, so sagen die Leute, auf extreme Weise Partei für sie ergriffen.

Seit Jahren setzten sich die geschiedenen Eheleute über das Haus und die Besitzverhältnisse auseinander, die Polizei spricht von "einem dauerhaften Zerwürfnis", der Streit hatte sich laut Anwohnern zu einer Art Familienfehde entwickelt.

So wurde der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach zufolge gegen Heinz B. bereits 2006 Anklage erhoben, weil er eine ältere Verwandte seines Schwiegersohnes mit einem Baseballschläger schwer verletzt haben soll. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, weil der zuckerkranke Heinz B. nicht verhandlungsfähig war. Ein Nachbar attestiert Heinz B. "eine Menge Gewaltpotential".

Ermittlungsleiter Schneider sagte am Mittwoch, der 71-Jährige habe die Tat "geplant". Er sei erbost gewesen wegen der Zwangsversteigerung und der langen Streiterei um die Verteilung des Besitzes. Heinz B. sagte, er "wollte ein Zeichen setzen, dass man so mit seiner Verwandtschaft nicht umgehen kann", teilte Schneider mit, und nach eigener Aussage "die beteiligten Personen, die dieses Verfahren in die Länge ziehen, bestrafen."

Barbara K.s geschiedener Mann - ein 44 Jahre alter Handwerker, der mit dem gemeinsamen 18-jährigen Sohn nur zwei Straßen entfernt wohnt - hielt den Gutachtertermin nicht ein. Der Polizei zufolge, weil er keine Zeit hatte, andere Zeugen sagen, er habe Angst vor dem Schwiegervater gehabt. Zu Recht.

Dem rasenden Zorn von Heinz B. fielen zwei Anwälte, 70 und 38 Jahre alt, aus Netteltal und Viersen zum Opfer, sowie ein 50 Jahre alter Gutachter aus Viersen. Es war laut Polizei der "x-te Anlauf" gewesen, sich zu einigen. "Ich habe immer gesagt, dass etwas passieren kann", sagte am Dienstag eine Anwohnerin aus der Margeritenstraße. "Aber was soll man denn tun?"

© SZ vom 20.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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