Blutiges Spektakel:Rosenmontags geht's der Gans an den Kragen

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Während die meisten Faschings-Freunde in diesen Tagen mit Pappnasen durch die Straßen laufen, geht es in Wattenscheid martialisch zu: Dort gibt es einen 400 Jahre alten Brauch, bei dem Reiter versuchen, einer toten Gans den Kopf abzureißen. Von Judith Kessler.

Wenn in Köln und Mainz die Jecken in den Straßen jetzt wieder feiern, es in Düsseldorf Kamelle regnet, rollen im Ruhrpott Köpfe. Gänseköpfe. Und das schon seit mehr als 400 Jahren.

Noch mal davon gekommen - für dieses Jahr... (Foto: Foto: dpa)

An jedem Rosenmontag findet im Bochumer Stadtteil Wattenscheid das "Gänsereiten" statt. Und seit mehr als 400 Jahren wird toten Gänsen dabei der Kopf abgerissen. Dieser Karnevalsbrauch ist drastisch: Die leblosen Vögel hängen kopfüber an einem Seil zwischen zwei Bäumen. Im Galopp preschen die Gänsereiter auf ihren Pferden heran, sie versuchen den Hals des Tieres zu packen und den Kopf abzureißen.

Wer den ergattert, ist der Gänsereiterkönig. Der wird auf einer überdimensionalen Pappgans anschließenden Rosenmontagszug dann den Wattenscheidern präsentiert.

Ganz schön zäh...

Die archaische Prozedur verlangt von den Gänsereitern sportliche Hochleistungen: Ein Gänsehals ist zäh, oft dauert es mehr als eine Stunde, bis Sehnen und Muskeln gedehnt sind. Erst wenn der Kopf wie an einem Gummiband am Hals der toten Gans baumelt, kann er jeden Augenblick mit einem beherzten Ruck vom Rumpf gerissen werden.

Gelingt dies nicht, kommt eine Rasierklinge zum Einsatz. Ein kurzer Schnitt in den Gänsehals soll das Köpfen erleichtern. Dann wird weiter an der Gans gezerrt und gerissen, bis ein Reiter schließlich die blutige Trophäe in Händen hält. "Das ist ein Wahnsinnsgefühl. Für uns ist das Faszination pur", sagt Werner Eickenberg, Vorsitzender des Gänsereiter-Clubs Sevinghausen, einem der zwei Wattenscheider Vereine.

Fasziniert sind auch viele Wattenscheider. Jeden Rosenmontag strömen weit mehr als 2000 Zuschauer zum Gänsereiten. Dicht drängen sie sich erst um die Bierbuden und dann um die Zäune am Reitplatz. Aus Lautsprechern tönt marktschreierisch der Kommentator, und die Menge jubelt den Reitern in ihren blauen Bauernkitteln zu.

"Gewaltverherrlichende Tradition"

"Für jemanden, der nicht aus Wattenscheid stammt, ist es schwer, unsere Begeisterung zu verstehen", gibt Achim Hehrs zu, Sprecher der Gänsereiter aus Wattenscheid-Höntrop.

Traudl Helfrich geht es zum Beispiel so, sie stammt aus Aachen. Seit zehn Jahren lebt sie in Bochum, und seit zehn Jahren kämpft sie mit dem "Bündnis für Tierrechte" gegen die "gewaltverherrlichende Tradition". Ohne Erfolg.

"Vor zehn Jahren waren die Demos gegen das Gänsereiten noch eine ganz heiße Sache", sagt Helfrich. Damals organisierten Tierschützer und antifaschistische Gruppen die Proteste gemeinsam.

Jeden Rosenmontag kamen hunderte Tierrechtler und Autonome aus dem Ruhrgebiet nach Wattenscheid, um gegen das Gänsereiten zu demonstrieren. Jetzt erinnern die Proteste eher an einen netten Familienausflug. "Die Tierschützer bringen ihre Verwandten und Bekannten mit, halten ein paar Plakate hoch, und das war's auch schon", sagt Michael Bloch, Sprecher der Bochumer Polizei.

In Essen nur noch mit Gänse-Attrappe

Es scheint so, als hätten die Tierrechtler im Kampf gegen die rohen Sitten resigniert. Jedes Jahr reichen sie bei der Bochumer Staatsanwaltschaft Klage gegen den Rosenmontags-Brauch ein. Jedes Jahr erfolglos.

Zwar wurde in Olpe das Gänsereiten inzwischen verboten, und in Essen müssen die Reiter seit einem Jahr an einer Attrappe zerren. In Wattenscheid konnten sich die Gänsereiter aber erfolgreich gegen das Ordnungsamt wehren.

Als letzte ihrer Art setzen sie die Tradition unbeirrt fort. Mit echten Gänsen - wie es sich westfälische Bauernjungen 1598 im spanisch-niederländischen Krieg von den iberischen Soldaten abgeschaut haben.

Bereits im Sommer zieht Werner Eickenberg im Münsterland von Bauernhof zu Bauernhof auf der Suche nach geeigneten Gänsen. Drei Stück braucht er: Eine Schaugans zur Volksbelustigung, die entscheidende "Königsgans" und eine Ersatzgans - für Notfälle. Schließlich kommt es immer mal wieder vor, dass übereifrige Reiter der Gans aus Versehen ein Bein ausreißen oder gleich den ganzen Vogel vom Strick zerren.

Danach in den Ofen

Eickenberg bevorzugt freilaufende Gänse, die haben durch das viele Picken und Gräser-Ziehen besonders kräftige Halsmuskeln. Und einigermaßen schmecken soll das Geflügel schließlich auch noch. Denn die enthaupteten Vögel müssen nach dem Spektakel gegessen werden - das verlangen Ordnungs- und Veterinärsamt.

Die Gänsereiter nehmen's gelassen: "Mit viel klarem Schnaps wird jeder Ganter zart", sagt Werner Eickenberg. So wie viele Wattenscheider stammt auch er aus einer Gänsereiterfamilie. Bereits sein Urgroßvater wurde zum König gekürt. Rosenmontag ohne Gänsereiten - für Eickenberg unvorstellbar: "Wir kennen nichts anderes."

© SZ vom 07.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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