Birma:Gepeinigt von allen Gewalten

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In Birma sind Zehntausende Tote zu beklagen, Landstriche zerstört und das Volk gedemütigt. Doch die Generäle zeigen selbst in der Katastrophe noch wenig Gnade.

Oliver Meiler, Singapur

Sie waren nicht gewarnt worden. Wer soll sie schon warnen, die Birmanen? Dieses alleingelassene Volk. Alleine mit dem Sturm, mit allen Stürmen, seit langer Zeit schon. Alleine mit den Apokalypsen, den kleinen und den großen, den politischen und den natürlichen.

Es war in der Nacht auf Samstag, drei Uhr, als in Rangun, der größten Stadt Birmas, der Regen waagerecht gegen die Fenster klatschte, gegen die Häuser peitschte. Bäume flogen in der Luft herum, aufgewirbelt von einem Zyklon, der vom Golf von Bengalen heraufgezogen war und auf seinem Weg in den Osten alles mitriss.

Mit Messern gegen Bäume

Jahrhundertealte Bäume kippten wie Streichhölzer um, ihre langen Wurzeln rissen die Straßen auf. Strommasten flogen auch herum, ganze Dächer. Und niemand hatte vor Nargis gewarnt, das Staatsfernsehen nicht, die Zeitung New Light of Myanmar auch nicht. Obwohl man ihn kommen sah. Und wie man ihn kommen sah! Auf den Wetterkarten, auf den Seismographen.

"Der Wind war so stark, dass ich die Türe meines Hotelzimmers nicht mehr aufbrachte", erzählt Heinz Schöneich, ein Chirurg aus Deutschland, der auch in Kriegsgebieten operiert. Und in Birma. "Dreieinhalb Stunden lang ging das so. Uns hatte unser Reiseagent gewarnt: 'Bleibt bloß im Hotel', hatte er uns gesagt." Der Agent hatte Informationen aus der amerikanischen Botschaft.

Am Morgen danach, im fahlen Licht der Dämmerung, sah Rangun aus, als wäre die Stadt bombardiert worden. "Es passierte erst einmal gar nichts", sagt Schöneich, "die Stadt war menschenleer, alle 20 Meter lag ein Baum." Dann traten die Menschen aus ihren Häusern, mit chinesischen Küchenmessern in den Händen, und sie begannen in aller Ruhe, die mächtigen Äste der alten Bäume abzusägen. Mit Küchenmessern. "Ich habe in zwei Tagen nur drei Kreissägen gesehen."

Sie sind es gewohnt, die Birmanen, dass sie die Kraft fürs Überleben in sich selbst finden müssen. Von außen kommt nichts, keine Hilfe, nie. Schon gar nicht von der Regierung, einer Kaste übler, militärischer Herrscher. Das war immer so. Das ist auch jetzt so.

Keine Gewalt, nur Fatalismus

Nichts funktionierte mehr, nicht einmal die Handys. "Ich hielt es nicht für möglich", sagt ein Unternehmer aus Bangkok, der am Montag in Rangun war, "dass eine so große Stadt, eine solche Metropole, über Nacht einfach so zusammenklappen kann. Doch die Menschen waren gefasst, buddhistisch gelassen. Als sagten sie sich, das ist so gewollt, das geht schon wieder vorbei." Keine Aggressionen, keine Gewalt, nur Fatalismus.

Die Soldaten, die beim Wegräumen halfen, schufen den Kontrast. "Sie waren mit Macheten bewehrt, und auf ihren Rücken trugen sie Maschinenpistolen. Drei Soldaten arbeiteten, und sieben schauten ihnen mit dem Gewehr im Anschlag zu."

Diesel kostete plötzlich zehmal mehr als einige Stunden zuvor noch. Und so liefen auch die Notstrom-Generatoren nur kurz. Knapp wurden ganz schnell auch die Lebensmittel. Die Birmanen leben von der Hand in den Mund. Sie kaufen sich immer alles frisch, sie legen sich keine Vorräte an. Nun kostet ein Liter Wasser in Birma einen Dollar. Das kann sich kaum jemand leisten, zumal jene nicht, die es bräuchten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie birmanische Häftlinge den Zyklon zum Aufstand nutzen wollten - und die Revolte blutige niedergeschlagen wurde .

So war es in Rangun. Und in Rangun war Nargis offenbar schon abgeschwächt, nur noch ein Stürmchen im Vergleich zu der Bestie, die er unten im Süden, im Delta des Flusses Irrawaddy, noch war. Dort, wo der Zyklon seinen Lauf nahm. Wo der Sturm eine Flutwelle aufwarf, wie man sie zuletzt vor bald vier Jahren sah, als der Tsunami Südostasien heimsuchte. Das Staatsfernsehen MRTV, dem man bisher nie trauen konnte, aktualisiert alle paar Stunden die Opferzahlen. Es korrigiert sie nach oben, dramatisch: 22000 Tote, 41000 Vermisste.

Ein Zyklon wie eine Plage, wie eine göttliche Strafe. So sehen es viele. Die Birmanen sind ein abergläubisches Volk. Nach dem Volksglauben, so erläutert es die Internetzeitung The Irrawaddy, wird ein Land, das von einem bösen König regiert wird, mit Naturkatastrophen bestraft. "Flut, Sturm und Feuer sind Signale, dass der Tyrann gehen muss", schreibt die Zeitung. Der König heißt Than Shwe, und er ist kein richtiger König. Er ist General, "Senior General", wie er sich rufen lässt. Doch gehen wird er wohl nicht.

Es gibt unbestätigte Berichte aus dem Süden, die von Dörfern künden, die der Zyklon mit seinen schnellen Winden einfach weggeblasen habe. Von Ortschaften, die die Flutwelle wegschwemmte. Es soll im fruchtbaren Delta des langen und mächtigen Irrawaddy, auch als Tor Birmas und Reiskammer des Landes bekannt, Dörfer geben, die es nicht mehr gibt. Allein in einer einzigen Stadt sollen 10000 Menschen umgekommen sein. Doch Nahaufnahmen von dort gibt es noch keine, nur Bilder aus der Luft. Die Transportwege von Rangun in den Süden, entlang der Schneise des Todes, sind an vielen Orten unterbrochen, die Kommunikationsverbindungen ohnehin.

Ein lauter Hilfeschrei

Und so hat die dunkle Chronik aus Birma noch große Lücken. Einige Geschichten drängen aber doch an die Öffentlichkeit, meistens durch Internetforen von Exil-Birmanen, die sich auf Augenzeugen in der Heimat stützen. So auch diese Geschichte: Mitten im Sturm versuchten 1000 politische Häftlinge im Gefängnis Insein, der berüchtigten Folteranstalt der birmanischen Diktatur, einen Aufstand. Sie wollten die Stunde nutzen.

Der Zyklon hatte die Dächer des Gefängnisses abgedeckt, hatte den stürmischen Himmel freigesetzt. Der Moment schien gut zu sein für eine Revolte. Vielleicht war es der beste Moment, seit es dieses Gefängnis gibt. Viele sitzen schon lange in den Verliesen von Insein, manche seit dem Aufstand der Demokraten und der Studenten vor genau 20 Jahren. Doch der Moment dauerte nur kurz. Die Wächter schossen in die Menge und töteten drei Dutzend Häftlinge. Dann war die Revolte wieder vorbei. Ohne Bilder.

Das Staatsfernsehen zeigt bisher nur Bilder aus dem Zentrum von Rangun. Von Soldaten im Einsatz. Und von Ministern in Krisensitzungen. Es sind Trugbilder, fein ausgewählte Momentaufnahmen der Militärjunta. Sie will dem Volk vormachen, dass sie ihm hilft in dieser schweren Stunde, nach dieser schwersten Naturkatastrophe seit birmanischem Gedenken. Und dass sie die Situation unter Kontrolle hat. Doch das haben die Generäle nicht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Generäle seit Jahrzehnten ihre Macht erhalten.

Nichts belegt diese Tatsache besser als ihre Bereitschaft, humanitäre Hilfe anzunehmen. Der Außenminister hieß die Hilfe gar "willkommen". Es ist dies nicht nur eine außergewöhnlich freundliche Einladung, sondern ein lauter Hilfeschrei. Er steht wohl für die Ohnmacht der Mächtigen vor dem Desaster, für diese plötzliche Verzweiflung, vielleicht sogar für die Einsicht, dass hier auch ihr persönliches Schicksal auf dem Spiel steht.

Der Feind kommt von Süden

In der Regel verbittet sich das Regime jede Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten - in ihre Angelegenheiten. Die Generäle, an der Macht seit 1962, haben nach früheren Katastrophen auch schon Angebote für humanitäre Hilfe fürs Volk abgelehnt. Sie wollten immer verhindern, dass ausländische Hilfsgruppen Zeugen würden von ihren Unterdrückungsmethoden, von ihrer Einschüchterung des Volkes, von Folter und Gängelung.

Sie halten Menschenrechtsgruppen und humanitäre Organisationen grundsätzlich für neokolonialistische Vereine, die der westlichen Welt als Trojanische Pferde dienten. Als Spione. Sie hätten wohl auch diesmal gerne auf Gäste verzichtet, mögen es auch Helfer sein. Gerade jetzt, in dieser politisch heiklen Zeit, sind ihnen unabhängige Beobachter besonders unbequem.

An diesem Wochenende will sich das Regime vom Volk in einem Verfassungsreferendum seine Macht legitimieren lassen. Trotz des Zyklons, trotz allem hält es noch an diesem Datum fest. Der 10. Mai soll zu einem historischen, leuchtenden Datum werden auf Birmas Weg zur Demokratie. Sagen die Generäle. Und wer daran öffentlich zweifelt, dem drohen drei Jahre Haft. Wer also sagt, dass die Junta sich mit ihrem 194 Seiten dicken, von einem handverlesenen Gremium in 14-jähriger Arbeit formulierten, auf die Armee zugeschnittenen Grundgesetz nur verewigen will, der muss ins Gefängnis.

Unversehrter Sitz der Könige

Das soll das Ausland nicht sehen. Das Ausland soll nur Demokratie hören. Der Verfolgungswahn der birmanischen Herrscher ist so groß, dass sie sich vor drei Jahren in eine weit abgelegene Retortenstadt im hügeligen, stark bewaldeten, nur schwer zugänglichen Norden des Landes zurückzogen. Birmas neue Hauptstadt Naypyidaw, "Sitz der Könige", besteht nur aus Ministerien, prunkvollen Residenzen, Golfplätzen und Wohnanlagen für die Beamten. Erbaut wurde sie von Zwangsarbeitern.

Der Wahl des Standortes lagen eine weltpolitische Überlegung und einige mysteriöse astrologische Erwägungen zugrunde. Die weltpolitische Deutung ging anscheinend so: Nach der US-Invasion im Irak dräute es den birmanischen Herrschern, Birma sei als nächstes dran. Noch vor Iran und noch vor Nordkorea. Und wenn die Amerikaner Birma angreifen würden, so die Überzeugung der Generäle, würden sie es vom Süden her machen. Sie würden also übers Meer kommen, über den Golf von Bengalen, übers Delta des Irrawaddy, dann rauf in die frühere Hauptstadt Rangun.

Genau so, wie nun der Wirbelsturm Nargis das Land überfiel. Und das ungewarnte Volk. Nur das Volk. Der "Sitz der Könige" blieb unversehrt und entrückt.

© SZ vom 7.5.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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