Big-Brother-Darstellerin:Kamerafahrt in den Tod

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Von der Schlampe zur Ikone: Seit Jade Goody live im Fernsehen erfahren hat, dass sie an Krebs stirbt, stilisieren die Briten sie zur Heiligen.

Wolfgang Koydl, London

Man könnte so ein Leben ein modernes Märchen nennen, oder vielleicht auch nur die britische Variante des amerikanischen Traums.

"Ich habe mein Leben vor Kameras gelebt. Und vielleicht werde ich auch vor Kameras sterben": Jade Goody wurde bekannt als Containerproll. Nun verklärt Großbritannien sie zur Heiligen. (Foto: Foto: AFP)

Da ist das Mädchen aus einfachsten Verhältnissen, ungebildet und mittellos, dem niemand auch nur den Hauch einer Chance gegeben hätte und das es aus eigener Kraft dann doch irgendwie bis nach oben schafft: ein dickes Bankkonto, ein dickes Auto, und, wo immer sie auftritt, dicke Schlagzeilen in den Boulevardblättern.

Und am Ende dann auch noch die Traumhochzeit im cremefarbenen Designerkleid und mit einer Villa, die kein anderer als Elton John für die Flitterwochen spendieren will.

Ja, Jade Goody hat es geschafft, aber ein Märchen ist ihr Leben nicht. Denn es wird kein Happy End geben, und im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen hat Goody diese bittere Erkenntnis gleichsam sogar schriftlich. Der Körper der 27-Jährigen ist von Krebs zerfressen, vom Gebärmutterhals aus haben sich die Metastasen weiter verbreitet und Leber, Darm und Leiste befallen.

Premier Brown macht sich Sorgen

Unheilbar, sagen die Ärzte. Sie rechnen nicht damit, dass Goody den Sommer erleben wird. "Es sind Kleinigkeiten", murmelt Jack Tweed, ihr Ehemann seit vergangenen Sonntag. "Du hörst von einem Film oder von einem Song, der bald herauskommen wird, und dann fällt dir ein, sie wird das nicht mehr sehen, nicht mehr hören können."

Seit Wochen verfolgt die britische Öffentlichkeit mit einer Mischung aus Mitgefühl, Abscheu und Faszination das öffentliche Leiden und Sterben von Jade Goody. Um die Film- und Fotorechte an der Hochzeit balgten sich Hochglanzmagazine und Privatsender, der angesehene Maler Peter Howson hat eine Porträtserie des kahlen Kopfes der Krebskranken erstellt, der Graffitikünstler Banksy lässt mitteilen, dass ein Goody-Wandgemälde in der Londoner Innenstadt nicht von ihm sei, und sogar Premier Gordon Brown gestand bei einer Pressekonferenz in der Downing Street, dass sich "das ganze Land Sorgen um ihre Gesundheit" mache.

Nicht schlecht für eine Frau, die keine irgendwie geartete nutzvolle Tätigkeit ausübt. Sie verfügt über keinerlei erkennbare künstlerische oder anderweitige Talente, sieht noch nicht einmal besonders gut aus oder nimmt auch nur wegen ihres Familiennamens oder ihrer Abstammung - nach Art einer Paris Hilton - einen Platz im Mittelpunkt des Interesses ein.

Die ehemalige Zahnarzthelferin hat nichts Rechtes gelernt und ist eigentlich nur sie selbst: Das, was man eine Celebrity nennt, mithin eine jener Personen, die von den Massenmedien irgendwo aufgegabelt, ins Scheinwerferlicht einer Reality-Show gezerrt, in Print, Ton und Bild genüsslich durchgekaut und anschließend wieder ausgespien werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich das Bild Goodys in der britischen Öffentlichkeit gewandelt hat.

Doch Goody spielte dieses Spiel nicht mit: Sie drehte den Spieß ganz einfach um und spannte die Medien für ihre Zwecke ein - oft gegen den geballten Hass der Öffentlichkeit und ihrer veröffentlichten Meinung.

Erstmals trat Goody 2002 ins Bewusstsein der Nation, als sie ins britische Big-Brother-Haus einzog. Die Programmmacher hatten sie sorgsam ausgewählt: Kurz zuvor war sie wegen Mietschulden aus ihrer Sozialwohnung geflogen, ihr Vater war ein Junkie, der auf der Toilette eines Kentucky-Fried-Chicken-Restaurants an einer Überdosis krepiert war, die ebenfalls drogensüchtige Mutter hatte bei einem Motorradunfall einen Arm und ein Auge verloren. Von der Schule war Goody mit 15 ohne Abschluss gegangen.

Cambridge verlegte sie denn auch irgendwo nach London, und Portugal, wo Menschen "portuganisch" sprachen, hielt sie für einen Teil Spaniens. Jade erfüllte so auch die Erwartungen, welche die Big-Brother-Produzenten in sie gesetzt hatten: Sie war laut, vulgär, fett, frech und mit einer Kodderschnauze ausgestattet, die Puffmütter und Fischweiber betreten zum Schweigen gebracht hätte. Die Boulevards tauften sie "Miss Piggy" und weideten sich an ihrer Ignoranz und ihren Eskapaden. Recht bald wurde sie von den Zuschauern aus dem Haus hinausgewählt.

Die Schlampe wird zur Ikone

Doch Goody verschwand nicht. Stattdessen wurde sie zu einer festen Einrichtung in Klatschzeitschriften wie OK! und Heat, hatte bald eigene TV-Shows, und ihr eigenes Parfum, das sich besser verkaufte als der Duft von Victoria Beckham. Es folgten eine Autobiographie und eine Umfrage, in der sie es auf einer Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt immerhin auf Rang 25 brachte.

Wenig später wurde sie weltweit bekannt, als sie erneut in ein Big-Brother-Haus einrückte - diesmal mit anderen Berühmtheiten wie dem Bollywoodstar Shilpa Shetty. Auch diesmal hatten die Programmmacher gut gewählt: hier die zierliche indische Schönheit mit den formvollendeten Umgangsformen, dort der vierschrötige, pickelige Briten-Proll mit den Gossenmanieren - eine Produktion des Märchens von der Schönen und dem Biest hätte nicht besser besetzt werden können. Abermals enttäuschte Goody nicht: Sie schmähte Shetty mit rassistischen Beleidigungen, und eine zumeist heuchlerisch entrüstete Öffentlichkeit stellte die Britin genüsslich an den Pranger.

Doch auch dieser Skandal konnte Goodys Karriere nichts anhaben. Ende vergangenen Jahres nahm sie - gleichsam zur Wiedergutmachung für die Shetty-Schelte - an einer Big-Brother-Sendung in Indien teil. Dort erfuhr sie erstmals von der Krebsdiagnose - vor laufender Kamera, im sogenannten Diary-Raum des Hauses. Die Organisatoren antiker Gladiatorenspiele im Circus Maximus hätten in puncto Grausamkeit einiges von modernen Fernsehmachern lernen können.

Seitdem hat sich das Bild Goodys in der Öffentlichkeit radikal gewandelt: Die Schlampe wurde zur Heiligen. Kritiker, die Anstoß am Spektakel des öffentlichen Krebstodes nehmen, bringt Jade selbst zum Schweigen: "Ich habe mein ganzes erwachsenes Leben lang über mein Leben gesprochen. Ich habe mein Leben vor Kameras gelebt. Und vielleicht werde ich vor Kameras auch sterben."

© SZ vom 25.02.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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