Betrug:Teure Hilfe

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Eine Pflegerin hilft einer Bewohnerin eines Altenpflegeheimes eine Treppe hinauf. (Foto: Arno Burgi/dpa)

In Düsseldorf müssen sich bei einem Prozess um systematischen Betrug in der Pflegebranche neun Verantwortliche vor Gericht stellen.

Von Thomas Hummel, München

Gegen Bestechungsgeld sollen vier Ärzte Verordnungen und Atteste falsch ausgestellt, 187 Patienten den Krankenkassen etwas vorgespielt und falsche Nachweise abgezeichnet haben. Mit dieser Hilfe ergaunerten sich Pflegedienste laut Schätzung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf mehr als 8,5 Millionen Euro von den Kranken-, Pflege- und Sozialkassen. Der Fall vor dem Landgericht Düsseldorf gibt einen seltenen Einblick, wie Betrügerbanden die Sozialkassen plündern. Karl Lauterbach, Experte für Gesundheitswesen der SPD, nennt den Fall "einzigartig".

Bewahrheitet sich, was die Ermittlungsbehörden zusammentrugen, dann rechneten Pflegedienste zum Beispiel ab, dass ein Mitarbeiter zwei oder drei Mal täglich einen Patienten zu Hause besuchte. Um ihn zu waschen, ihm beim Kochen und Essen zu helfen, eventuell auch Medikamente zu reichen oder den Blutdruck zu messen. In Wirklichkeit aber kam der Mitarbeiter nur einmal pro Woche, manchmal nur einmal im Monat. Teure Ganztagspflege von schwerkranken Patienten erledigten illegal Beschäftigte aus Litauen oder der Ukraine zu einem vergleichsweise kleinen Gehalt. Die Kassen aber bezahlten für eine hiesige Fachkraft. Tausende solcher Deals sind offenbar dokumentiert, der Betrug war laut Anklageschrift "systematisch".

Neun mutmaßliche Haupttäter stehen nun vor Gericht, als Verantwortliche der Pflegedienste sind sie wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Geldwäsche und Steuerhinterziehung in großem Stil angeklagt, die Anklageschrift ist 1100 Seiten dick. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen. Eine von ihnen, eine Geschäftsführerin, habe bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt, erklärte die Staatsanwältin vor Prozessbeginn.

Das Geschäft sei lukrativer als Drogenhandel oder Prostitution, sagen die Ermittler

Kritiker monieren seit Langem, das deutsche Gesundheitssystem sei anfällig für Betrügereien, gerade im Pflegebereich. Das Bundeskriminalamt fand 2015 Hinweise auf organisierte Kriminalität sowie ein bundesweites Betrüger-Netzwerk. Bis zu 230 Pflegedienste sollen Leistungen erschlichen haben, der Schaden betrage eine Milliarde Euro. Es kursiert der Begriff "Pflegemafia". Der Täterkreis kommt dabei fast ausschließlich aus dem osteuropäischen Raum. Im Düsseldorfer Fall hat eine Angeklagte den russischen Pass, zwei den ukrainischen. Die sechs anderen sind deutsche Staatsangehörige mit eurasischem Migrationshintergrund. Sie suchten vornehmlich nach Familien, die ebenfalls aus Ex-Sowjetstaaten stammen. Fast alle 187 beteiligten Patienten sind russischsprachig. Diese sollen von den Betrügern ein monatliches Taschengeld oder Kompensationsleistungen für ihre Mitarbeit erhalten haben: Fahrten zum Arzt, Dolmetscherdienste, Maniküre oder Pediküre, auch einen Ausflug in den Freizeitpark. Nach dem Motto: Wir betrügen die Pflegekasse und du hast auch was davon. In russischsprachigen Zeitungen seien solche "Gratis-Leistungen" sogar annonciert worden, erzählte die Staatsanwältin. Die beteiligten Ärzte sollen mehr Geld erhalten haben, allein in einem Monat 65 000 Euro. Angeblich haben sie auch neue Patienten zugeführt.

Unter Ermittlern heißt es, das Geschäft mit der Pflege sei inzwischen lukrativer als Drogenhandel oder Prostitution. Bayerische Kriminalbeamte beobachten, dass immer mehr Frauen aus Osteuropa nicht mehr für das Sexgewerbe nach Deutschland geholt würden, sondern für den Pflegebetrieb.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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