Berlin:Verplant

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Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz, 27 (von links): Die Start-up-Unternehmer verlangen 25 Euro für einen - eigentlich kostenlosen - Termin. (Foto: Privat)

Die Bürgerämter sind überlastet. Vor den Häusern bilden sich Schlangen, der Schwarzhandel mit Terminen blüht, und ein Start-up verdient Geld mit der Warterei. Bericht aus einer Verwaltungshölle.

Von Hannah Beitzer, Berlin

"Heute haben wir keine Termine mehr": Dieses Schild begrüßt die Besucher des Bürgeramts Wedding, jeden einzelnen Tag. Wer einen neuen Reisepass oder seinen Wohnsitz anmelden will, kann hier nicht einfach vorbeikommen, sondern muss vorher online einen Termin vereinbaren; das ist in fast allen Berlinern Bürgerämtern so. Ein Blick ins System offenbart allerdings: Die Wohnung fristgerecht innerhalb von 14 Tagen anzumelden, ist schlicht unmöglich. Der nächste freie Termin? Das kann dauern: Am 17. September geht wieder was. Nun gehört die Berliner Nachlässigkeit fast schon zur Folklore der Stadt, doch inzwischen verlieren selbst langjährige Bewohner die Geduld mit den Behörden. Wer etwa kurz vor dem Urlaub merkt, dass der Reisepass abgelaufen ist, hat ebenfalls Pech. Für Notfälle machen die Bürgerämter schon mal eine Ausnahme, heißt es. Was aber ist ein Notfall? Das weiß keiner so genau. Und so stehen die Weddinger stundenlang in der Schlange und hoffen auf einen verständnisvollen Mitarbeiter: "Was soll man machen", sagt eine Frau, die mit ihrem Kind für einen Reisepass gekommen ist, "wird schon klappen."

Menschen wie ihnen wollen Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz nun helfen - so sagen sie es. Die drei Internetunternehmer haben eine Plattform online gestellt, die gegen eine Gebühr von 25Euro einen Bürgeramts-Termin innerhalb der nächsten Woche verspricht. Wer es eiliger hat, muss 45 Euro für einen Termin innerhalb der nächsten 48 Stunden zahlen. Die Kunden können sogar angeben, in welchem Teil von Berlin das Bürgeramt liegen soll und an welchen Tagen sie können. Das funktioniert, weil die Behörden kurzfristig abgesagte Termine erneut auf die Plattform stellen. Meist sind sie innerhalb weniger Minuten wieder vergeben. Wer auf einen solchen Termin angewiesen ist, müsste eigentlich rund um die Uhr online bleiben und den Kalender beobachten. Becker hat einen Algorithmus programmiert, der das für den Kunden erledigt. "Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich zweieinhalb Monate vor Beginn meines Urlaubs einen Reisepass beantragen wollte und der nächste Termin erst in zwei Monaten frei war", erzählt der 31-Jährige.

Behörden-Chaos gibt es überall - aber in Berlin ist das Chaos ein Dauerzustand

Becker, Kratz und Kamphuis (der übrigens zum Mister Germany 2013 gewählt wurde) arbeiten eigentlich in einem anderen Start-up, sie sitzen in einem Großraumbüro am Berliner Ostbahnhof. Seit Anfang Juni hatten sie etwa 120 Anfragen. Große Gewinne wirft ihr Angebot nicht ab. Aber darauf komme es gar nicht an, beteuert Kamphuis, "uns macht es einfach Spaß, eine Lösung für das Problem zu finden statt uns nur zu beschweren."

Eine clevere Geschäftsidee? Eher ein Aufreger: "Skandal an Berliner Bürgerämtern - Internetportal verkauft kostenfreie Bürgeramts-Termine", titelte die Berliner Zeitung. Der Berliner Senat gab auf eine Anfrage der Piratenpartei neulich an, dass er rechtliche Schritte gegen den Handel mit Terminen prüfe. Die drei Start-up-Unternehmer sind nicht die einzigen, die gegen Geld Termine vermitteln. An einigen Bürgerämtern stehen Händler, die Termine im Internet buchen und sie dann an die Wartenden verkaufen, ein regelrechter Schwarzmarkt sei das, beklagen zum Beispiel die Piraten.

In einem Atemzug mit den Terminhändlern vor den Bürgerämtern genannt zu werden, gefällt den drei Plattformbetreibern nicht. "Wir blockieren keine Termine vorab, sondern vermitteln unseren Kunden nur welche, die frei werden", sagt Kamphuis. "Wenn ich sehe, wie viel Zeit und Kreativität wir da reinstecken, dann finde ich den Schwarzmarktvergleich bedauerlich." Täglich feilten sie zurzeit an der Plattform, beantworteten E-Mail-Anfragen persönlich, erzählen sie.

Kamphuis beklagt auch, dass der Senat sie noch nicht kontaktiert hat. "Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die Politik mit der Berliner Start-up-Szene schmückt. Und da kommen Leute, die den Status quo verbessern wollen - aber anstatt mit ihnen zu reden, legt man ihnen Steine in den Weg." Die Behörden versuchten, so erzählen es die jungen Unternehmer, sie mit technischen Kniffen aus dem System fernzuhalten. Überprüfen lässt sich das schwer, auf eine Anfrage der SZ reagierte der Senat nicht.

Das Thema ist für die Berliner Politik unangenehm. Dabei ist so ein Behördenchaos kein Einzelfall. In München zum Beispiel kämpft das Kreisverwaltungsreferat seit Wochen mit einer neuen Software, die ausgerechnet vor Beginn der Sommerferien komplett ausfiel. In Berlin sind die Behörden allerdings chronisch überfordert. Schuld ist auch die schlechte Ausstattung der Bürgerämter, die dem immer größeren Zustrom an Neu-Berlinern nicht gewachsen sind. Nach Angaben des Senats sind zwar 31 neue Stellen bewilligt worden. Bis jedoch die Ausschreibungen raus, die Leute gefunden sind und sie auch noch die nötige Ausbildung durchlaufen haben, dauert es eben. Außerdem müsste man wohl deutlich mehr neue Verwaltungsleute holen, um einen bürgerfreundlichen Service anbieten zu können. In München zum Beispiel hat der Stadtrat gerade 70 neue Stellen für die Bürgerbüros genehmigt. Es sind aber nicht nur die viel zu langen Wartezeiten, auf die viele Berliner zunehmend genervt reagieren - es ist auch das Versäumnis der Behörden, die Leute rechtzeitig zu informieren. Die Tipps und Tricks, wie man von Bürgerämtern bekommt, was man braucht, sind in Berlin ein ähnlich häufiges Partygespräch wie die steigenden Mieten: In welchem Bürgeramt sind die Mitarbeiter okay, in welchem nicht? Wo sind die Schlangen noch einigermaßen überschaubar? Wo gibt es Termine ohne Online-Buchung? Und was sind eigentlich die Notfälle, in denen die Bürgerämter eine Ausnahme von der strengen Terminvergabe machen? In den Bürgerämtern in Neukölln zum Beispiel war es bis vor Kurzem möglich, auch ohne vorherige Buchung einen Termin zu bekommen - und zwar ganz egal, ob man in Neukölln wohnt oder nicht. In den meisten Fragen ist nämlich jedes Bürgeramt für jeden Berliner zuständig. Also standen in Neukölln bis zu 200 Menschen in der Schlange, die Mitarbeiter kamen kaum hinterher. Nun gibt es spontane Termine nur noch für Neuköllner, alle anderen bekommen Terminvorschläge, verrät ein Schild am Eingang zum Bürgeramt im Neuköllner Rathaus. Dort ist auch prompt weniger los, nur ein Dutzend Menschen sitzt im Warteraum.

Das wiederum gefällt den anderen Bezirken nicht, die auf der Gleichbehandlung aller Berliner pochen. Und die Berliner selbst? Stehen in so einem Fall dann wieder vor einem überforderten Bürgeramts-Mitarbeiter, der sie vertröstet. Kein Wunder, dass mancher lieber 25 Euro zahlt, um sich den Stress zu ersparen.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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