Berlin: Überfall auf Joggerin:Lauf in den Tod

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Mord im Wald: Die Psychologin Kirsten S. wurde im Spandauer Forst Opfer eines rätselhaften Verbrechens. Trotz unzähliger Hinweise fehlt nach wie vor eine heiße Spur auf den Täter.

Renate Meinhof

Man geht jetzt nicht gern in diesen Wald, früh am Morgen schon gar nicht, wenn kaum ein Mensch unterwegs ist und der Atem der Nacht einem kühl entgegenschlägt im Unterholz. Dabei ist es ein märchenschöner Mischwald mit moorigen Weihern, der in all seinem Wuchern und Rauschen so kraftvoll wirkt, unendlich Leben gebärend, dass man das Dunkle, das hier geschah, wegschieben will wie ein missratenes Kulissenbild.

"Ganz kopflos": Das rätselhafte Verbrechen schockt Berlin. Am Tatort wurden Rosen und Nelken niedergelegt. Trotz zahlreicher Hinweise konnte der Täter bisher nicht gefasst werden. (Foto: Foto: dpa)

Am vergangenen Samstag hatte Kirsten S. einen freien Tag. Zusammen mit ihrem Mann fuhr sie früh schon in den Spandauer Forst, ganz im Nordwesten Berlins, wo Jogger gern unterwegs sind. Der Ehemann lief voraus, denn Kirsten S. wollte zurückbleiben, um ihre Qi-Gong-Übungen zu machen. Was die Polizei bekanntgab, ist dies: Kirsten S. wurde gegen 8.50 Uhr von einem Unbekannten niedergestochen.

Ein Berufsleben lang mit Sterben zu tun

Mehrmals stieß er zu. Spaziergänger hörten ihr Schreien. Sie hatte noch die Kraft, den Täter zu beschreiben. Groß und schlank sei er gewesen, gepflegt, zwischen 15 und 20 Jahren, und ganz in Weiß gekleidet. Er sei mit einem roten Fahrrad unterwegs. Wenige Stunden später starb Kirsten S. in einem Spandauer Krankenhaus.

Ihr ganzes Berufsleben lang hatte sie mit dem Sterben zu tun, mit dem von krebskranken Menschen, vor allem. Kirsten S. war Psychologin. Acht Jahre arbeitete sie im Fachbereich Psychoonkologie der Charité am Campus Benjamin Franklin im Südwesten Berlins. Es hängen im Eingang zum Klinikum noch Plakate, wo sie, die Lehrerin für Guolin Qi Gong, unter dem Motto: "Sanft und fließend" Übungsabende für Patienten anbietet.

Annette Sachse sitzt in ihrem Büro gleich neben der Kapelle, Raum E 129, der Poststelle gegenüber. Sie ist eine von sechs Seelsorgern im Klinikum. Natürlich kannte man sich, sie tauschten sich auch aus. Es war nicht wichtig, ob einer aus geistlichen oder weltlichen Gründen helfen wollte. "Sie war eine der leisesten und friedfertigsten Menschen, die hier arbeiten", sagt Annette Sachse, "ich glaube, dass so eine tiefe Friedfertigkeit auch etwas enorm Provozierendes hat".

In der Kapelle steht auf einem Tisch rechts vorm Altar das Bild von Kirsten S., davor ein Kondolenzbuch und ein Strauß Wicken. Die Tür geht auf, jemand kommt rein, schaut eine Weile das Bild an, geht wieder. Dagmar Schütte bleibt lange sitzen vor diesem Bild einer 39-jährigen Frau, das durch die Zeitungen ging, herausgerissen aus aller Privatheit durch einen Mord.

"Wir sehen hier so viel Leid"

Als Physiotherapeutin hat Dagmar Schütte mit Kirsten S. zusammengearbeitet. Sehr geduldig, immer freundlich sei sie gewesen. "Wir sehen hier so viel Leid", sagt sie, "deshalb haben wir auch oft über den Tod geredet und uns gefragt, wie wir selber wohl einmal sterben werden. Das Schlimmste für uns war die Vorstellung dahinzusiechen. Aber dieser Tod ..." Sie schweigt.

Sie hat Dienstschluss seit zwei Stunden. Aber sie kann nicht nach Hause gehen. Es kämen jetzt viele Patienten zu ihr, die "ganz kopflos" seien wegen des Todes von Kirsten S., überfordert einfach. Noch überforderter als sonst.

Im Spandauer Forst sind Reiterstaffeln der Bundespolizei unterwegs, durchkämmen das Gestrüpp. Es gebe ja auch Zufälle, sagt ein Polizeisprecher, "vielleicht findet ja einer zufällig die Tatwaffe". Bei der 7. Mordkommission sind inzwischen mehr als 100 Hinweise eingegangen. Auch habe sich ein Zeuge gemeldet, der kurz nach der Tat bei der ersten Versorgung der Verletzten dabei gewesen sein soll. Nein, für eine Beziehungstat gebe es keinen Hinweis. Ja, allem werde nachgegangen. Auch der Frage, ob es Parallelen gibt zu dem Mord an dem 52-jährigen Jürgen B., der nie aufgeklärt wurde. Jürgen B. wurde am 28. Dezember 2001 im Volkspark Wilmersdorf getötet. 23 Messerstiche in den Kopf. Er war als Jogger unterwegs.

Nahe der Stelle, an der Kirsten S. ermordet wurde, am flachen Weiher, stehen Blumensträuße an einem Stein, ein Zettel dazu, in Folie gehüllt. "Wir trauern um einen lieben Menschen" steht da. "Deine Kraft zum Leben und Deine Courage werden uns fehlen. Warum?"

Im Wasser, da wo Sonne es trifft, liegen Seerosen. Die wenigen Menschen, die jetzt unterwegs sind, grüßen sich zaghaft. Als könnte etwas Gesprochenes den Bann durchbrechen, der diesen Ort noch im Griff hält.

© SZ vom 25.06.2009/ojo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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