Benedikt XVI. und die Brasilianer:Annäherung an eine unbekannte Art

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In Brasilien, einer wankenden Bastion des Katholizismus, trifft der Papst auf Glaubensbrüder, die vieles nicht ganz so streng sehen und nun im Schnellkurs einen bisher kaum gekannten heiligen Vater kennenlernen.

Peter Burghardt, Sao Paulo

Ein Fußballstadion ist kein schlechter Platz für den Einstand in Brasilien. Im Stadion von Pacaembu in Sao Paulo spielt gewöhnlich der Verein Corinthians - an diesem Abend versammeln sich dort 40000 vornehmlich jüngere Menschen, um einen älteren Herren aus Oberbayern kennenzulernen. Im gepanzerten Papamobil wird Papst Benedikt XVI. in die Arena gefahren, begleitet von Sambamusik.

Vor seinem Stuhl auf einer roten Bühne halten katholische Würdenträger und ausgewählte Vertreter aus dem Kirchennachwuchs Begrüßungsreden, es folgt Folklore. Gut gebaute Tänzer und Tänzerinnen, unüblich keusch gekleidet, bewegen sich rhythmisch. Biegsame Akrobaten präsentieren zu Trommeln den Kampftanz Capoeira, den einst Sklaven aus Afrika eingeführt hatten. Ureinwohner mit buntem Federschmuck treten auf.

Der Besucher aus Vatikanstadt sieht mit freundlichen Blicken zu, mal breitet er die Arme aus, meist hält er mit gefalteten Händen inne. Ihm ist solches Ambiente noch fremd. Im größten Land Lateinamerikas, einer wankenden Bastion des Katholizismus, prallen in diesen Tagen zwei Welten aufeinander: eine zwar tendenziell spirituelle und gläubige, aber vor allem sinnliche und unverkrampfte Gesellschaft - und die sittenstrenge Glaubenszentrale mit ihrem neuen Vorsitzenden Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn.

Der Pontifex verkörpert bei seinem Debüt in Übersee manches, was eher nicht so gut zu den Gastgebern passt. Auch sein Vorgänger Johannes Paul II. forderte hier 1991 frommes Verhalten, doch ihn kannten und verehrten die Brasilianer, sein Charisma kam an, trotzdem verlor der Klerus seither Millionen Südamerikaner an evangelische Frei- und Pfingstkirchen. An den zurückhaltenden Nachfolger gewöhnt man sich erst.

Der pünktliche Deutsche

Viele hier wussten ja wenig von ihm, fast jedem Zweiten fiel laut einer Umfrage sein Name nicht ein. Das hat sich nun geändert, in Fernsehen und Zeitungen findet ein Intensivkurs statt. Kommentatoren loben Intellekt und theologische Brillanz. Auch erlebt Brasilien beeindruckt, wie wacker der Heilige Vater sein Portugiesisch probt, obwohl seiner Stimme der Singsang fehlt. ,,Er spricht zehn Sprachen'', informiert ein Reporter.

Seinen Begleiter Georg Gänswein ernannte das Blatt O Estado de Sao Paulo zum ,,Berater mit einem Hauch von Hollywood'', genannt werde Gänswein ,,Monsignore Clooney''. Ratzingers Bild werden zwei Millionen Briefmarken zu 0,90 Reais tragen. Er will wieder missionieren - annähernd die Hälfte der 1,1 Milliarden Katholiken lebt auf dem Subkontinent, doch der Kontakt zur Basis nimmt ab und der Einfluss protestantischer und anderer Konkurrenz zu. Bei allem Wohlwollen fragt sich mancher, ob dieser Bento XVI. dabei helfen kann, den Mitgliederschwund zu bremsen.

Berichterstatter bemühen Klischees von Deutschlands Pünktlichkeit, wenn der Oberhirte und seine Entourage wieder minutiös den Zeitplan einhalten. Sie melden aufgeregt, der Papst sei jenseits des Protokolls ans Fenster getreten und habe das Volk gegrüßt im Kloster Sao Bento in der Altstadt, wo er bis zum Wochenende wohnt. Das gilt dann als Indiz, dass Wojtylas Erbe doch eine leutselige und spontane Ader besitzt.

Ansonsten sei er ,,eine introvertierte Person'', sagt der Kommentator von TV Globo. ,,Ein deutscher Akademiker'', erläutert der Befreiungstheologe Leonardo Boff, den Ratzinger in seiner Zeit als Chef der Glaubenskongregation abgestraft hatte, ,,extrem rigoros in seinen Konzepten und wenig flexibel, wenn es um Realitäten außerhalb der Akademie geht''.

Drogenkrieg in den Favelas

Die Jugendlichen hören strenge Appelle. ,,Die Verteidigung des Lebens und der Familie sind Teil unseres Glaubens'', sagt der Papst. ,,Seid Protagonisten einer gerechteren und brüderlicheren Welt, erfüllt eure Pflichten gegenüber dem Staat, lasst euch nicht zu Hass und Gewalt hinreißen.''

In Rio de Janeiro tobt derweil der Drogenkrieg in den Favelas, die Obdachlosen Sao Paulos wurden von der Stadtverwaltung aus Ratzingers Reiseroute geräumt. Mehrfach benützt er den Begriff Enthaltsamkeit - Keuschheit und Treue gälten auch ,,für die Zeit der Verliebtheit und der Verlobung'', was die Mehrheit in Brasilien anders sieht.

Kondome werden ,,Hemdchen'' genannt und sind so selbstverständlich wie Tangas am Strand. Mit ihrer Aufklärung gegen Aids hat die Regierung Erfolg. Auch hält die Politik angesichts Hunderttausender illegaler Schwangerschaftsabbrüche und 13-jähriger Mütter Benedikts Attacken gegen reformierte Abtreibungsgesetze für unpassend. ,,Man darf nicht einer ganzen Gesellschaft Dogmen und Gebote einer bestimmten Religion aufzwingen'', sagt Gesundheitsminister Jose Temporao. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva spart das Thema bei seiner Begegnung aus, trotzdem wirkt der frühere Gewerkschaftsführer wie das weltliche Gegenstück zum Kirchenoberhaupt.

Beifall für den Vorgänger

Am Freitag setzt sich dessen Annäherung an Brasilien mit einer Großmesse in Sao Paulo und der Seligsprechung des Franziskaners Frei Galvao fort. Showpriester Marcelo Rossi singt, eine Million Menschen beten, singen, lauschen. Am Wochenende folgt der Gottesdienst im Wallfahrtsort Aparecida und die Eröffnung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz.

Im Stadion von Pacaembu könnte man meinen, die Botschaft käme an. ,,Ja zum Leben'' und ,,Nein zur Abtreibung'' fordert ein junger Mann. ,,Wir sind die Schüler von Jesus Christus, wir wollen nicht in Mittelmäßigkeit und Konformismus verfallen'', verkündet eine Theologiestudentin. Am Ende umarmt ein Anhänger den Papst, es ist dessen erster näherer Körperkontakt mit den Gastgebern. ,,Bento, Bento'', skandiert das Publikum. Den lautesten Beifall allerdings bekommt ein anderer, der Papst erwähnt selbst seinen Namen: Johannes Paul II.

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