Baltimore:Ein siamesischer Zwilling bei Operation gestorben

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Am frühen Morgen waren die einjährigen Mädchen aus Lemgo getrennt. Doch Tabea überlebte nicht. Schwesterchen Lea ist auf der Intensivstation. Ihre Ärzte in Baltimore gehen davon aus, dass sie sich erholen wird.

Sie konnte schon "Mama" und "Papa" sagen und gemeinsam mit der Schwester auf allen vieren stehen. Sie galt als die Ernstere und Gemütlichere der beiden einjährigen Mädchen - auch wenn sich die am Kopf zusammengewachsenen Zwillinge aus dem westfälischen Lemgo ansonsten glichen wie ihr eigenes Spiegelbild.

Doch jetzt hat die kleine Tabea die Trennungsoperation in den USA nicht überlebt, die sie und ihre siamesische Zwillingsschwester Lea vor einem Leben als Pflegefall retten sollte. Ganz Deutschland wurde am Donnerstag von der Nachricht von Tabeas Tod geschockt, jetzt bangen die Menschen mit den Eltern um Leas Genesung - denn trotz ihres derzeit stabilen Zustands sind etwaige Folgeschäden des Eingriffs noch unklar.

An der US-Ostküste war es kurz vor drei Uhr morgens, als die Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore "mit großer Traurigkeit" Tabeas Tod bekannt gab. Schon am Samstag, dem ersten Operationstag, war das Herz des Mädchens zweimal stehen geblieben. Die Ärzte unterbrachen den Eingriff und gaben ihren kleinen Patienten durch ein künstliches Koma vier Tage Zeit zur Erholung.

Am Mittwoch wagten sie einen neuen Eingriff, sie kamen auch gut voran. Doch dann gab es doch die befürchteten Komplikationen. "Tabea ist von uns gegangen", mussten die Ärzte in Baltimore auch den Eltern Nelly und Peter Block beibringen, denen Kritiker im Vorfeld ihre bewusste Entscheidung für das Leben der Kinder vorgeworfen hatten.

Denn auch wenn die Verwachsung der Babys im 180 Grad-Winkel schon in einem frühen Schwangerschaftsstadium fest stand, kam eine Abtreibung für das junge Paar nie in Frage. "Gott hat uns diese Kinder gegeben, ihre Abtreibung wäre Mord gewesen", sagte die 27-jährige Mutter vor der Operation. Sie und ihr 28-jähriger Mann Peter sind Mitglieder der Mennonitischen Brüdergemeinde und schöpfen nach eigenen Angaben viel Kraft aus ihrem Glauben.

Es sei "selbst in der schlimmsten Situation noch möglich, ein Kind anzunehmen", sagte die Mutter - und in der Tat zeigen Fotos der ersten Lebensmonate lachende und aufgeweckte kleine Gesichter mit glücklichen und stolzen Eltern.

Operiert werden mussten die blonden Mädchen dennoch - anders hätten ihnen die Eltern ein Leben als schwere Pflegefälle nicht ersparen können. "So können sie ja nicht bleiben", sagte die Mutter. "Denn dann wäre ein Leben im Liegen ja vorprogrammiert." Die Mädchen hätten ihrer Schwester niemals ins Gesicht blicken können.

Ein Spendenaufruf des Magazins "Stern", das über Monate exklusiv über die Familie berichtete, ermöglichte die hochkomplizierte Operation in Baltimore bei Neurochirurg Benjamin Carson, der als Top-Spezialist gilt. Drei Monate lang bereiteten er und sein Team Lea und Tabea in der US-Klinik auf die Operation vor, gaben den Kinder jedoch nur eine etwa 50-prozentige Überlebenschance. Zwar waren glücklicherweise ihre Gehirne nicht miteinander verwachsen.

Jedoch drohten bei der Durchtrennung der Blutgefäße an den Hinterköpfen schwere Blutungen und Schlaganfälle. Dennoch verlief die Operation zunächst zufriedenstellend - bis Tabeas Herz endgültig aufhörte zu schlagen.

"Egal wie Gott auf unsere Gebete antwortet, wir müssen lernen, damit umzugehen", sagte Nelly Block vor der Operation zu einem möglichen Tod ihrer Kinder. "Wir haben auf jeden Fall eine sehr schöne Zeit gehabt", setzte ihr Mann hinzu. Und doch hoffte der Vater, bald mit seinen Töchtern "das Leben entdecken zu können".

Jetzt können die Blocks nur noch für Lea hoffen. Dass das Mädchen "stark bleiben, sich gut erholen und als gesundes junges Mädchen heranwachsen wird", wie es die Ärzte formulierten. Mit viel Glück wird Lea vielleicht bald zum ersten Mal in ihrem Leben auf zwei Beinen stehen können. Sie wird vielleicht laufen lernen und in den Kindergarten gehen. Ihrer Zwillingsschwester Tabea jedoch wird Lea nie ins Gesicht blicken können.

© AFP - Anna Holzer - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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