Babyleichen:"Das macht keine Mutter"

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Engel, Kerzen, Stofftiere erinnern an die Babys, die in diesem Haus starben. Doch hinter den heruntergelassenen Jalousien leben noch Kinder der Familie. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Nach dem Fund von acht Babyleichen stehen die Menschen im oberfränkischen Wallenfels unter Schock. Die Polizei hat unterdessen eine 45-jährige Frau verhaftet. Sie legte ein Teilgeständnis ab.

Von Olaf Przybilla, Wallenfels

Am Samstag hat eine 45-jährige Frau aus dem oberfränkischen Wallenfels gestanden, "einige Kinder" zur Welt gebracht und kurz darauf getötet zu haben. In ihrer Wohnung hatte die Polizei am Freitag die Leichen von insgesamt acht Säuglingen gefunden. Sie waren in einer Kiste versteckt. Am Tag nach diesem Teilgeständnis sucht die Kleinstadt nun nach Wegen, damit umzugehen. Auch Jens Korn, der Bürgermeister. Er steht in der Kirche St. Thomas, fasst sich an die Stirn und presst dann einen Satz hervor: "Man hat den Eindruck, die Welt ist aus den Fugen."

Die katholische Kirche befindet sich an einer Anhöhe, von dort hat man einen guten Überblick über das Städtchen. Wallenfels liegt in einem schmalen Tal des Frankenwalds. Links und rechts erheben sich bewaldete Hügel, sie stecken im Nebel an diesem Sonntagvormittag. Weniger als 2800 Einwohner leben in dem Ort, es ist eine überschaubare Welt, die da aus den Fugen geraten ist. Vielleicht macht das die Sache noch schlimmer. Korn erzählt, was Wallenfels für ihn ist: "Ein Ort", sagt er, "in dem man sich hilft, sich wohlfühlt und sich kennt." Auch Korn kannte die Frau, die in der Nacht zum Samstag in einer Pension im nahen Kronach gefasst wurde und nun von der Staatsanwaltschaft beschuldigt wird, eine siebenfache Kindermörderin zu sein. Der Haftbefehl beziehe sich nur auf sieben Kinder, sagt eine Polizeisprecherin, wie der achte Säugling zu Tode kam, sei Gegenstand von Ermittlungen. "Natürlich kannte ich sie", sagt Korn. Schließlich half sie mitunter im Kiosk des Schwimmbads aus. Sie galt als besonders nett, sagt der Bürgermeister. Vor allem zu Kindern.

Von der Kirche auf der Anhöhe sind es kaum hundert Meter zu der Wohnung, die inzwischen als Tatort gilt. Die 45-Jährige lebte dort bis vor wenigen Wochen mit ihrem Ehemann, gemeinsam haben sie drei Kinder. Aus früheren Partnerschaften brachten beide Partner noch jeweils zwei Kinder in die Ehe ein. Sieben Kinder, das lasse womöglich an ein bestimmtes Milieu denken, sagt Korn. Nur liege man damit falsch. Ein ganz normales Paar sei das gewesen, integriert in die Stadtgesellschaft. Er ehrenamtlich tätig in der Wasserwacht, sie im Städtchen allgemein bekannt. Am Freitagabend, als die 45-Jährige im nahen Kronach gefasst wurde, war sie in Begleitung eines 55 Jahre alten Mannes, womöglich eines neuen Partners. Auch er wurde vernommen, gilt aber nicht als beschuldigt. Inwieweit der Ehemann wusste, was seine Frau tat, sei ungewiss, sagt die Polizeisprecherin. Er wurde vernommen und befindet sich jetzt auf freiem Fuß. Ob er der Vater der getöteten Kinder ist und wie und wann die Babys zu Tode kamen, ist unklar. Die Ermittler warten auf das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung.

In dem Haus sei alles sehr aufgeräumt gewesen, heißt es. Nur in einem Raum nicht

In der Kirche steht an diesem Vormittag eine Wand, an der die Wallenfelser ihre Gefühle aufschreiben können. Eine Art Klagemauer soll es sein, sagt Korn, der zu Beginn des Gottesdienstes darum bittet, man möge den Bürgern der Stadt in diesen Stunden keine Fragen mehr stellen. Die Fragen, die man hätte, stellen sich die Wallenfelser ohnehin selbst. "Wie konnte so was nur passieren?", steht auf einem der Zettel an der Wand. "Unfassbar, unbegreiflich", hat einer in ein Gedenkbuch geschrieben. "Sie bekamen keine Chance", notierte ein anderer. Aber auch das ist zu lesen: "Das macht keine Mutter."

Die Feststellung ist offenkundig falsch, und das, sagt ein Passant vor der Kirche, sei so bestürzend: "Die getöteten Kinder haben eben auch lebende Geschwister, und an die denkt jetzt niemand." Der Mann trägt eine Kappe mit "Wallenfels"-Schriftzug, die Kappe ist sehr nass, es regnet in Strömen. "Das macht mich so wütend", sagt der Mann, "dass jetzt einfach niemand an diese Kinder denkt." Er sperrt eine Wohnungstür auf. Ehe er sie zuwirft, ruft er heraus: "Und ihr auch nicht."

Eine Minute zu Fuß von hier steht das Haus, in dem alles passiert sein soll. Die Wallenfelser haben dort Kerzen aufs Fensterbrett gestellt und ein paar Blumen daneben gelegt. Unterhalb des Fensters sitzen zwei Teddybären auf dem Bürgersteig, der eine von ihnen ist vorne übergekippt. Im Haus, erzählt ein Augenzeuge, sehe es äußerst gepflegt aus. Alles sei sehr aufgeräumt und akkurat gewesen, als die Ermittler nach einem Notruf dort eintrafen. Nur in einem Abstellraum hätten sie "das reine Chaos vorgefunden". Dort fand die Polizei die Kiste mit den Leichen.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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