Globenmuseum:Der Nabel der Welt

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Im neuen einzigartigen Globenmuseum in Wien können Besucher mit dem Finger ganz famos auf Entdeckungsreise gehen.

Michael Frank

Wien - Die ersten großen Weltreisen haben wir mit dem Finger auf der Weltkugel gemacht. Auf einem so genannten Wechselleuchtglobus, deutsches Patent, fünfziger Jahre. Schaltete man diesen ein, erhellte sich das Antlitz der Erde, wunderbarerweise verschwanden Berg und Tal, stattdessen erschienen bunte Länder und Staaten.

Über Bergketten und Ozeane, durch Wüsten und Ebenen zogen wir träumend mit den großen Naturforschern der Geschichte. Genau so eine Erdkugel steht in einem der liebreizendsten Museen Wiens: An diesem Donnerstag wird in Österreichs Hauptstadt das neue Globenmuseum eröffnet, das einzige seiner Art auf der Welt. Es hat würdigen Unterschlupf im Palais Mollard gefunden, einem traditionsreichen Bau inmitten der Stadt.

Und siehe da, wir dürfen die Weltreise mit dem Finger auf dem Globus wieder machen. Sogar auf einem der wert- und kunstvollsten Stücke unter den 250 Exponaten dieser Sammlung, ja, überhaupt auf dem Erdball: auf dem berühmten Erdglobus des Gerard Mercator aus dem Jahre 1541.

Er steht leibhaftig da in gepanzerter Vitrine, von allen Seiten betrachtbar. Davor leuchtet ein großer Schirm mit dieser Weltkugel in digitalisierter Form; mit dem Finger kann jeder den wundersamen Ball drehen und wenden und sogar die Polregionen frontal betrachten; kann einzelne Regionen so vergrößern, dass sie genauer zu sehen sind als auf dem Original; Küsten, Städte, Flüsse lassen sich herausheben; und es lassen sich die Umrisse der Kontinente, wie wir sie heute kennen, über die des genialen Kartographen Mercator legen, um verblüfft festzustellen, wie realitätsnah dessen Weltkenntnis gewesen ist.

Reichsapfel der Herrscher

Die Idee zu dieser famosen Weltreise mit dem Finger auf dem Globus hatte Museumsdirektor Jan Mokre, ein 44-jähriger Berliner, der schon seit 1984 in Wien lebt. Er erläutert, warum neben Mercators Erdkugel ein Himmelsglobus aus derselben prominenten Hand steht. Bis ins 18. Jahrhundert waren die Himmelsgloben die gängigere Spezies: "Denn der Himmel, den konnte man immer über sich sehen, der war den Menschen nahe - die Erde nicht."

Die ersten Globen waren nachweislich Himmelsdarstellungen, dann wurden sie, Himmel und Erde, immer paarweise gefertigt und aufgestellt.

Die Welt der Erdkugeln fasziniert schon in der Symbolik. "Schon der Reichsapfel der Herrscher", erklärt Mokre, "war nichts anderes als ein Globus." Die Erdkugeln hier beflügeln die Neugier über das, was ist, und über die Phantasie jener, die mit viel Vorstellungskraft eine noch unerforschte Erde darstellten.

Erst im 18. Jahrhundert tauchen Aufschriften wie "unbekanntes Gebiet" auf, wo Vorläufer Phantasiegemarkungen verzeichneten, Flüsse und Gebirge. Es faszinieren die Kunstfertigkeit, der Ideenreichtum bei der Illustrierung von Flora und Fauna und des reichhaltigen Bestiariums der Tierkreiszeichen am Himmel wie auf Erden.

Das Museum im Palais Mollard ist in Themenkreise gegliedert: Herstellung, Machart, Gestalt, ob flach, ob Relief, in Absichten und Ansprüche, die damit verbunden waren. Was Wunder, dass der Mensch, der die Erde als Kugel entwarf, seinen eigenen Standort oft als den Nabel der Welt begriff und eintrug. Akribisch wurden Welthandel, Reiserouten, Klima, Geologie und Industrie verzeichnet.

Ein Globus aus den dreißiger Jahren vermerkt 92 verschiedene Sachangaben, bis hin zu den Opiumanbaugebieten der Welt und wo die besten Meeresschwämme geerntet werden. Details gibt es vergrößert, Erläuterungen werden mit markanten Bildsequenzen ergänzt.

Das zur Nationalbibliothek gehörige Globenmuseum führte bisher ein Kümmerdasein. Es dankt sein Entstehen dem schon in den Sechzigern verstorbenen Privatgelehrten Robert Haardt, einem eigenbrötlerischen, fanatischen Enthusiasten, der auch Mitbegründer der Coronelli-Gesellschaft war, die als Internationale der Globenfreunde gelten kann.

Peter E. Allmayer-Beck, derzeit Präsident der Coronelli-Gesellschaft, hat wie drei weitere Privatsammler dem Museum namhafte Stücke als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt. Für Allmayer-Beck sind Globen "Modelle der Welt". Oder auch der Versuch, sich durchaus auch im philosophischen Sinne ein Bild von der Welt zu machen.

© SZ vom 1.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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