Zu nah am echten Leben:Tatort wird Ermittlungsfall

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Die am Sonntagabend in der ARD ausgestrahlte Tatort-Serie "Im Visier" sorgt für erheblichen Wirbel bei der Münchner Polizei: Im Polizeipräsidium ist man "entsetzt" über die detailliert gezeigten polizeitaktischen Maßnahmen bei einer Geiselnahme. Jetzt wird nach dem Beamten gesucht, der den Film-Leuten die Polizei-Interna verraten hat.

Von Christian Rost

In der vom Bayerischen Rundfunk (BR) produzierten Münchner Tatort-Folge mit den Hauptdarstellern Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl steht eine Geiselnahme in einer Bank im Mittelpunkt: Während ein bewaffneter Jugendlicher die Angestellten mit einer Pistole in Schach hält, versucht ein Sondereinsatzkommando der Polizei, ins Innere des Gebäudes zu gelangen.

Dabei wird von den Polizisten eine Mini-Kamera durch eine Lüftungsschacht in die Räume gelenkt, um die Situation abschätzen zu können. Und Spezialkräfte knacken mit einem besonders leise arbeitenden Spezialgerät ein Schloss, um die Bank stürmen zu können. "Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das gesehen habe", sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums, Peter Reichl, auf Anfrage der SZ. "Das sind polizeitaktische Details, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen."

Mit der Ausstrahlung des Films, in dem laut BR die Hauptdarsteller ihre Gewissensnöte überzeugend spielten, sei die Polizeiarbeit bei Geiselnahmen nun deutlich erschwert. "Das trifft unsere Sondereinsatzkommandos hart. Sie müssen sich für solche Situationen eine neue Vorgehensweise überlegen", so Reichl.

Viele Münchner Polizisten sind laut ihrer Pressestelle echte Fans der TV-Ermittler Nemec (in der Rolle von Batic) und Wachtveitl (Leitmayr). Man könne auch damit leben, dass der Einsatzleiter in diesem Tatort "völlig deplatziert als schießwütig hingestellt" werde, heißt es. Doch hinsichtlich der Darstellung von einzelnen Maßnahmen bei einer Geiselbefreiungsaktion sollte "das Für und Wider sorgfältig abgeschätzt" werden.

Woher die Drehbuchautorin Sabine Bühring die Detail-Informationen hatte, wird nun intern untersucht. "Ein Beamter muss geplaudert haben", so die einhellige Meinung. Die Fahndung läuft.

Beim Bayerischen Rundfunk indessen herrscht Hochstimmung über diese Tatort-Folge. "Sensationelle 9,39 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 26,3 Prozent hatten wir", jubelt eine BR-Sprecherin. Dies reiche fast an die Tatort-Folge "Einmal täglich" mit mehr als zehn Millionen Zuschauern heran. Im Genre "Fiction" getoppt wurde dieser Streifen in der Gunst der Zuschauer bislang nur von "Titanic".

Untergangsstimmung nun also auch bei der Münchner Polizei. Dabei hätten sich die Beamten den Tatort vor der Ausstrahlung im Fernsehen bei der Pressepremiere durchaus ansehen können. "Die Mordkommission ist immer eingeladen", heißt es beim BR. Polizeisprecher Peter Reichl verteidigt das Fernbleiben der Beamten: "Dafür haben wir nicht immer Zeit", sagt er und verweist darauf, dass die Ermittler auf die Ausstrahlung des Filmes zu diesem Zeitpunkt ohnehin keinen Einfluss mehr gehabt hätten.

Reichl wünscht sich im Nachhinein, das BR-Team hätte sich von der Polizei beim Dreh beraten lassen. Aber sei's drum: "Die Film-Leute sind auch künftig am Präsidium willkommen."

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