Zensuren für die Schule:Bröckelnde Fassaden und Hippies im Englischbuch

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Heute bekommen 100.000 Münchner Schüler ihre Zeugnisse - zwei von ihnen verteilen jetzt einmal selbst knallharte Zensuren

Anja Burkel

Als Schulstadt hat München eine stolze Tradition. Aber wie ist es heute um sie bestellt? Anlässlich der Zeugnisverleihung bat die SZ zwei Mitglieder des Münchner Schülerbüros, dies mit Noten zu beurteilen. Marcel Reymus, 17, und Franziska Berghofer, 16, besuchen beide das Elsa-Brändström-Gymnasium.

(Foto: N/A)

Sie sprechen aber auch für das gesamte Münchner Bildungswesen. Schließlich wissen sie aus der Arbeit im Schülerbüro, bei der Landesschülervertretung und SMV-Seminaren, was andere Münchner Schüler so umtreibt.

Hygiene: Note: 4

Franziska: Der Zustand von den Toiletten zum Beispiel ist schon... eklig. Aber da sind auch oft die Schüler selbst dran schuld.

Marcel: Ja, die Toiletten sind verstopft, Klopapier liegt rum. Die Wände sind voll gekritzelt. Das ist an allen Schulen ziemlich schlimm. Besonders in den Toiletten, aber es zeigt sich auch auf dem ganzen Schulgelände. Nie wird etwas renoviert, sondern nur hier und da mal was geflickt.

Franziska: Aber bei uns wird doch jetzt die Außenwand gestrichen...

Marcel: Ja, nachdem der Antrag vor 20 Jahren gestellt wurde! Natürlich wird erstmal die Außenfassade gemacht, damit die Leute meinen, dass die Schule renoviert ist. Und der Innenhof, wo die Holzrahmen der Fenster total vergammelt sind und fast rausfallen, der kommt dann auch mal irgendwann dran. "Das seh ich jeden Tag an den Schulen" hat die Stadtschulrätin mal gesagt, als sie bei uns zu Besuch war.

Computerausstattung: Note 3

Marcel: Wir haben einen Computerraum und sollen noch einen neuen reinkriegen. In jedes Klassenzimmer sollen bei uns langfristig zwei Computer reinkommen. Es lässt sich darüber streiten, ob es nicht besser gewesen wäre, ein Klassenzimmer in einen Computerraum umzuwandeln. Aber zwei Computer in einem Klassenzimmer - das bringt's halt nicht für 30 Leute.

Ein paar Schulen haben vor zwei Jahren einen Internetanschluss bekommen. Mit dem Ergebnis, dass es jetzt nicht klappt, weil die Kabel falsch verlegt worden sind. Von unserer Schule ausgehend würde ich die Note drei geben - mit Tendenz nach oben, weil wir jetzt immerhin eine TDSL-Standleitung bekommen.

Schulbücher: Note: 4

Franziska: Die sind total alt! Wir haben Bücher, da sind noch Stempel von Schülern aus dem Jahr 1972 drin.

Marcel: Ich hab zum Beispiel mal ein neues Englischbuch bekommen, namens "Modern Life". Ich schlag die erste Seite auf - und da sind lauter Hippies abgebildet! Tolles Modern Life! Das war so 1976, 1977 gedruckt. Manche Lehrer bringen dann schon mal aktuelle Blätter mit, um das Alter der Bücher auszugleichen. In Englisch ist es ganz krass. Im nächsten Jahr kriegen wir da neue Bücher - und die sind schon wieder total veraltet. Und die Atlanten sind auch ganz lustig - in den meisten sind noch die UDSSR und die DDR drin. Franziska: Aber die Sozialkundebücher sind eigentlich relativ okay.

Schulbibliotheken: Note: 2

Marcel: Ich find die Bibliothek in unserer Schule gar nicht schlecht. Es gibt Duden, Lexika, Fremdwörterbücher und auch Lesebücher für alle Jahrgangsstufen. Vor allem die Unterstufen treffen sich da. Zum Lesen, aber auch zum Reden und Kartenspielen. Und auch die Kollegiaten gehen da hin, um das eine oder andere nachzuschauen.

Franziska: In unserer Bibliothek stehen auch eigentlich zu jedem Fach Bücher. Aber dass sie im Keller liegt, gibt Abzüge bei der Note.

Marcel: Na, aber immerhin haben wir eine Bibliothekarin an der Schule, die die Bücher ordnet und sich um die Ausstattung kümmert. Und an den anderen Schulen? Das Gymnasium Unterhaching hat zum Beispiel eine riesige Bibliothek. Das Luisengymnasium auch. Und das Louise-Schroeder hat besonders Glück: Deren Gebäude grenzt gleich an die Stadtbibliothek.

Franziska: An anderen Schulen ist die Bibliothek dafür winzig und die Bücher sind total veraltet und völlig eingestaubt.

Förderung schwächerer Schüler: Note 2

Franziska: Die funktioniert eigentlich sehr gut. Bei uns organisiert die SMV den Nachhilfeunterricht.

Marcel: In Form eines Schülerunternehmens, ähnlich wie die Schulcafeteria. Außerdem bietet die Schule eine Hausaufgabenbetreuung an. Dort helfen Lehrer den schwächeren Schülern. Und sie schauen, dass auch ältere Schüler, die in einem Fach sehr gut sind, dorthin kommen und jüngere betreuen. Und die Konrektorin schaut schon, dass die Eltern davon erfahren, wenn jemand Probleme hat und absackt.

Franziska: Naja, wir haben 700 Schüler. An größeren Schulen funktioniert das manchmal nicht so gut. An meinem alten Gymnasium gab es zwar auch so eine Nachmittagsbetreuung - aber das war eher Spaß und keine wirkliche Förderung. Von anderen Tutoren weiß ich aber auch, dass sie an manchen Realschulen diesen "pädagogischen Nachmittag" mitgestalten. Die Tutoren sind dann regelmäßig nachmittags an der Schule und helfen den Schwächeren. Das läuft ganz gut.

Lebenshilfe: Note 2

Marcel: Wir haben an unserem Gymnasium das Glück, eine eigene Schulpsychologin zu haben. Manche anderen Schulen müssen sich zu fünft einen Schulpsychologen teilen. Weil da auch gespart wird.

Franziska: Gut ist auch, dass die Schulpsychologen die Tutoren ausbilden. Wenn zum Beispiel Kleinere mit Problemen zu mir kommen, gerade mit Sachen, die ins Familienleben hineingehen, dann geh ich mit denen lieber zur Schulpsychologin. Man selbst fühlt sich manchmal einfach überfordert.

Marcel: Unsere Psychologin macht auch Suchtberatung. Die hat am Anfang des Schuljahres Flyer verteilt, damit jeder sie schon mal gesehen hat und ihre Sprechzeiten kennt. Ich wüsste auch gar nicht, wo die Leute mit solchen Fragen sonst hingehen sollten. Es funktioniert aber eher dann gut, wen die Schulpsychologin wirklich nur Psychologin ist und nicht auch Lehrerin.

Franziska: Viele hätten wohl Hemmungen, mit ihren Sorgen zu einem Psychologen zu gehen, den sie dann zum Beispiel im Englischunterricht wieder treffen.

Pressefreiheit: Note 4

Marcel: Es ist völliger Schmarrn, dass im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz steht, dass der Schulleiter bei der Schülerzeitung Einspruch erheben kann. Das ist doch totaler Schwachsinn! Man muss doch seine Meinung äußern können. Eine Münchner Schule zum Beispiel hatte in diesem Jahr einen Artikel über die Demos gegen den Irakkrieg geschrieben. Da hat der Direktor einfach die ganze Schülerzeitung verboten.

An manchen Schulen haben sie große Probleme, irgendwas Kritisches unterzubringen. Die müssen schreiben, wie toll und super alles ist. Wenn sie über einen Lehrer schreiben, dass er dummes Zeug macht oder dass das Direktorat total verplant ist, dann wird auch mal die ganze Zeitung nicht rausgegeben. Und dann kriegen sie keine finanzielle Unterstützung mehr für ihre Zeitung. Das müsste geändert werden.

Hitzefrei: Note: 3 (An den Schulen sehr unterschiedlich: zwischen 1 und 6. Deshalb ein freundlicher Zwischenwert.)

Marcel: Die Schulleiter, die darüber entscheiden, sind ganz unterschiedlich drauf. Der Leiter einer Schule war letztes Jahr ziemlich streng. Er saß ja auch ganz unten im Schulhaus, der Ventilator brummte - der Direktor hatte es halt immer schön kühl, während der Rest im Haus schwitzte. Irgendwann kamen alle 500 Schüler in die Aula und haben Hitzefrei gefordert.

Bei uns, wie an vielen anderen Schulen, gibt es aber dieses neue System, das ich sehr gut finde. Es fällt nicht einfach die letzte Stunde aus wegen Hitzefrei. Stattdessen werden bei großer Hitze die letzten drei Stunden um je eine Viertelstunde verkürzt. Da kommen die Lehrer mit ihrem Stoff weiter, und die Schüler haben trotzdem eine Dreiviertelstunde früher aus. Franziska: Es ist doch sehr unterschiedlich. An einigen Schulen hat es in diesem Jahr auch überhaupt kein Hitzefrei gegeben. Schulklima: Note 1

Marcel: Wir haben schon ein familiäres Klima am Elsa-Brändström-Gymnaium. Die letzte Schlägerei gab es vor, ich glaub, fünf Jahren. Es ist eine gute Mischung von Leuten bei uns. Wenn einer nicht mit Markenklamotten ankommt, dann wird er nicht gleich ausgebuht und aus der Klassengemeinschaft verstoßen.

Franziska: Aber das ist nicht überall so. Viele Schulen sind so riesig, dass manche Schüler sich noch nie gesehen, geschweige denn kennen gelernt haben.

Marcel: So eine Stimmung wie an unserer Schule gibt es nicht an vielen Schulen. Das ist schon was Besonderes am "Elsa" und kommt wohl auch von der diesjährigen Demo, bei der alle Schüler gemeinsam demonstriert haben. Damals war in Gespräch, dass unsere Schule von der Stadt verkauft werden soll.

Franziska: Wir haben eine ziemlich gute Schülergemeinschaft. Es gibt eigentlich niemanden, der in der Pause alleine rumsteht und mit niemandem was zu tun hat. Jeder hat seine Leute. Man fühlt sich einfach wohl.

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