Zehnte Liga (5):Vergesst die Hinrunde

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Rot-Weiß Tunesien erlebt in der Kreisklasse den denkbar schlechtesten Saisonstart, andere sprächen längst von Krise - Rot-Weiß ist das egal.

Marc Baumann

Die SZ begleitet eine Saison lang die Kreisklasse Gruppe 2. Auch das vierte Spiel endet für Rot-Weiß Tunesien mit einer Niederlage. Aber das macht nichts: Im September war das noch nie anders.

Der Unparteiische Atakan Özcan ist ein großer Freund des Schiedsrichterballs. Das findet auch Mootez Zahou (Mitte) erstaunlich. (Foto: Foto: sampics)

Der Anfang klingt wie ein Witz: Treffen sich zwei Vorstände von Rot-Weiß Tunesien und ein SZ-Journalist. Sagt der eine Vorstand zum anderen: "Schau, der Mann ist von der Süddeutschen." Darauf der andere: "Mir doch egal, ich bin auch Deutscher!"

Ein Missverständnis, Malik Ben Chedli, der dritte Vorstand von Rot-Weiß Tunesien, klärt es gleich lächelnd auf: "Nein, nein, der arbeitet für die Süddeutsche Zeitung!" Und Ridha Zahaf, der erste Vorstand, sagt: "Ach so", und schüttelt zur Begrüßung die Hand.

Kurz zuvor hatte Trainer Lamir Mohamed zur Begrüßung gesagt: "Hier spielen fast nur Studenten, angehende Ingenieure, fast alle haben einen deutschen Pass und unser Vorstand ist auch Ingenieur."

Der erste Eindruck ist Rot-Weiß Tunesien wichtig. Danach gehen sie es recht locker an: Der Torwart steht während dem Spiel oft 30 Meter vor seinem Tor und macht Scherze mit dem Fotografen, der Vorstand findet die unnötige Niederlage nicht so wild und als zweiter Linienrichter wird kurzzeitig ein höchstens Fünfjähriger mit seinem vielleicht dreijährigen Bruder eingesetzt.

Während andere Vereine nach vier Niederlagen in vier Spielen schon die Krise kriegen, wirkt bei Rot-Weiß Tunesien alles noch wie ein Trainingsspiel. Dabei hatten sie nicht mal eine richtige Vorbereitung. Vom 1. bis zum 30. September ist in diesem Jahr Ramadan, "ausgerechnet während dem Oktoberfest", wie einer sagt. Der Fastenmonat ist für einen Teil der Mannschaft von großer Bedeutung. Und weil Muslime dabei vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang nüchtern bleiben sollen, verbringen sie die Zeit lieber daheim, bei ihren Familien in Tunesien, statt durstig und hungrig in der Kreisklasse dem Gegenspieler hinterherlaufen zu müssen.

Elf Mann haben sie dann aber doch hinbekommen, genaugenommen sind es 13 Spieler, einer kommt Ende der ersten Halbzeit mit der Sporttasche angeschlendert und zieht sich ohne größere Eile um. Das entspannte Verhältnis zum Ligaspiel hat einen einfachen Grund: "Wir machen 80 Prozent unserer Punkte in der Rückrunde, das ist immer so", sagt der junge Vorstand Malik Ben Chedli, der Ingenieur, "ich würde mit Ihnen wetten, dass wir die Klasse trotzdem halten." Und so zuversichtlich wie Chedli das sagt, setzt man besser kein Geld dagegen.

Die Niederlage an diesem Sonntagvormittag auf eigenem Platz hätten sie sich trotzdem sparen können. Die Mannschaft des VfR Garching II wirkt in der ersten halben Stunde so, als wären sie im Ramadan und nicht die Tunesier. Als Garchings Nummer 9, Christian Ehrecke, kurz vor dem Anpfiff "auf geht's, Konzentration" über seine Hälfte des Rasens ruft, klingt er dabei so müde und lustlos, als hätten sie ihn eben erst aus dem Bett geholt. Auch der Rest der Mannschaft steht anfangs unter Wiesnbesuchsverdacht, so ungeordnet laufen sie Rot-Weiß Tunesien hinterher. Hinten mit acht Mann, kein Ball bleibt länger als drei Passstationen im eigenen Besitz.

Die Tunesier stellen sich nicht viel besser an, haben aber wenigstens den ersten Lacher auf ihrer Seite: Ihre Nummer 9, Mootez Zahou, der Stürmer mit der Afro-Frisur, stellt sich beim Einlaufen mit dem Schiedsrichter einfach zu den Garchingern und winkt inmitten des Feindes fröhlich den gerade so zweistelligen Zuschauern zu.

An der ersten Halbzeit sind nur zwei Dinge wirklich bemerkenswert: Der junge Unparteiische gibt gleich zwei Mal Schiedsrichterball und die Sonne kommt doch noch raus. Mit steigender Temperatur klappt zwar der Fußball besser, jetzt läuft der Ball öfter mal über sechs, sieben Stationen. Die beste Torchance aber ist eine verunglückte Ecke.

Deutlich unterhaltsamer ist da schon die Vereinsgeschichte von Rot-Weiß Tunesien, die Malik Ben Chedli in der Halbzeit erzählt: Die Automobilindustrie und die Olympischen Spiele bringen tunesische Gastarbeiter nach München, 1978 entsteht der Verein. Ende der achtziger Jahre zieht ein neues Austauschprogramm junge tunesische Akademiker an die TU München, Rot-Weiß wird nicht ganz ohne Reibereien vom Arbeiter- zum Studentenverein.

Seit kurzem hat Rot-Weiß Tunesien eine zweite Mannschaft: Sie besteht aus lauter Marokkanern. Arabisch als Sprache verbindet, bis zum Ramdanende helfen sie mit Spielern aus. Getroffen haben die am Sonntag aber ebenso wenig. Oualid Hannachi, die 7, scheitert nach einem Alleingang aufs Tor am Pfosten.

Ein Garchinger nutzt etwas später einen vergleichbaren Steilpass zum 1:0, ein Distanzschuss überwindet Torwart Mehrez Harbaoui zum 2:0. Große Gegenwehr gibt es nicht mehr, vielleicht liegt es am Ramadan, vielleicht am großen Vertrauen auf die Rückrundenstärke.

Doch der erste Sieg ist nah: Am 3.Oktober kommt es zum Tabellenkellerduell mit SV Istiklal, ebenfalls ohne Punkt bisher, ebenfalls urlaubsgeschwächt. Übrigens für beide ein Feiertag: der Tag der Deutschen Einheit.

© SZ vom 23.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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