Wehrmachtsausstellung:"Es ist einfach wahnsinnig"

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Schon mehr als 35.000 Menschen haben die Wehrmachtsausstellung besucht - viele reagieren nachdenklich, manche sind erschüttert.

Wolfgang Görl

Die Fotos sind klein, Postkartengröße, und Andreas Schuster muss nahe herangehen, um etwas zu erkennen. Wenn er sich vorbeugt, stützt ein Gehstock den kleinen alten Mann.

Bilder sind eher sparsam eingesetzt. Bei der letzten Wehrmachtsausstellung hatten unkommentierte Bildsequenzen zu falschen Interpretationen geführt. (Foto: N/A)

Auf den Bildern sind Menschen zu sehen - Frauen, Männer, Kinder -, die, zusammengetrieben wie eine Herde Vieh, auf spärlich bewachsenem Brachland kauern. Einige hundert mögen es sein. Es muss bittere Kälte herrschen, die Menschen haben dicke Mäntel und Fellmützen angezogen. Einige Fotos zeigen im Hintergrund eine Stadt. Vereinzelt sieht man auch Männer in Uniformen. Deutsche Uniformen.

Der Geist der Täter ist kalt

Die Stadt heißt Lubny. Sie liegt östlich von Kiew. Die Fotos sind am 16. Oktober 1941 aufgenommen worden. Was damals geschah, ist in großer Schrift auf einer Stellwand im Münchner Stadtmuseum zu lesen: "Die zusammengetriebenen Juden wurden unter Bewachung zur Exekutionsstätte gebracht, sie mussten sich entkleiden und wurden von Angehörigen des Sonderkommandos 4a erschossen."

Welcher Geist bei den Tätern herrschte, lässt sich den Worten entnehmen, mit denen das Massaker gemeldet wurde: "Ein anderer Zug des Sonderkommandos 4a wurde in Lubny tätig und exekutierte störungslos 1865 Juden, Kommunisten und Partisanen, darunter 53 Kriegsgefangene und einige jüdische Flintenweiber."

Zeitzeuge Schuster

Andreas Schuster ist eigens aus Mindelheim angereist, um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" zu besuchen. Es ist ein schöner Novembertag, über München scheint ausnahmsweise die Sonne. Ein halbes Dutzend Schulklassen füllt die Ausstellungsräume im zweiten Stock, daneben viele ältere Herrschaften und zwei Mütter mit Babys im Tragetuch.

Schuster lässt sich Zeit, verharrt lange vor den Exponaten, die deutsche Kriegsverbrechen in der Sowjetunion belegen. "Ja", sagt er, "ich war auch bei der Wehrmacht." Im Nordabschnitt, bei Leningrad. Ob er da auch Zeuge von Massenerschießungen geworden ist? "Ich war immer an der Front, da hab' ich nichts mitgekriegt."

Aber dann fällt ihm doch etwas ein. Einmal, bei Nacht, hätten sie beobachtet, wie Juden erschossen wurden. Nicht Deutsche, sondern Litauer seien die Täter gewesen. Und Wehrmachtssoldaten hätten die Aktion beaufsichtigt. Genaueres ist ihm nicht zu entlocken. Er betrachtet die Fotos und sagt: "Es ist schon wahnsinnig."

Oft in der Schule gehört - zu oft?

Unterdessen hat die 13. Klasse des Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben die Führung durch die Ausstellung hinter sich gebracht. Zuletzt hatte die junge Historikerin, die die Schüler durch die Säle geleitete, in die Runde gefragt, warum immer wieder Soldaten bereit waren, sich an den blutigen Exzessen zu beteiligen. Stefan, 19, hatte geantwortet, dass die Propaganda des NS-Regimes die Menschen "euphorisch gemacht" habe. "Die sind auf einer Welle geschwommen, in dem Sinne: Wenn es so viele machen, muss es gut sein."

Klar, im Unterricht haben die Gymnasiasten das Thema Nationalsozialismus durchgenommen, neu sei das hier nicht. "Weil man es so oft in der Schule hört, läuft man Gefahr, dabei abzuschalten", sagt die 18-jährige Angela. Aber hier, in der Ausstellung, "erkennt man erst, wie unmenschlich die abgeschlachtet wurden".

Nur weniger Text und mehr Bilder hätte sich die Schülerin gewünscht, weil doch nicht genug Zeit sei, all die Dokumente zu lesen. Ihr Klassenkamerad Dominik sieht das ähnlich, und dennoch sagt er, die Ausstellung resümierend: "Man bekommt einen ziemlich genauen Eindruck, wie die Leute manipuliert wurden."

Besonders gut finden die drei Schüler, dass auch Gegenbeispiele gezeigt werden - Menschen, die sich geweigert haben, an der Barbarei teilzunehmen.

Humanität statt Kadavergehorsam

Eben darüber hatte Jan Philipp Reemtsma gesprochen, der Chef des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das die Ausstellung konzipiert hat. Es habe durchaus Handlungsspielräume gegeben, sagte Reemtsma in seinem Münchner Vortrag. Und er erinnerte an die Beispiele, die er und seine Mitarbeiter zusammengetragen haben: Da gab es den Standortarzt Erwin Leder, der im Kriegsgefangenenlager von Sluzk in Weißrussland vielen Menschen das Leben rettete. Oder den Oberstleutnant Helmuth Großcurth, der die Truppenmoral als Begründung anführte, um den Mord an 90 jüdischen Kindern in Belaja Zerkow bei Kiew zu verhindern.

Geglückt ist es ihm nicht: Für die Erschießung der Kinder setzten die Kommandeure die ukrainische Miliz ein. Aber diese und andere Fälle belegen, dass es für den Einzelnen mitunter Möglichkeiten gab, statt Kadavergehorsam Humanität zu erproben.

Die Ausstellung verhüllt nicht, wie gefährlich das sein konnte. Der Feldwebel Anton Schmid beispielsweise, der im litauischen Wilna Dienst tat, hat todgeweihten Juden zur Flucht verholfen. Am 13.April 1942 wurde er hingerichtet. Kurz vor der Exekution schrieb er an seine Frau: "Ich musste - was ich nicht wollte - die Versprengtenstelle übernehmen, wo 14 Juden arbeiteten, diese baten mich, ich soll sie von hier wegbringen...Da ließ ich mich überreden - Du weißt ja, wie mir ist mit meinem weichen Herzen - ich konnte nicht viel nachdenken und half ihnen - was von Gerichts wegen schlecht war."

Willfährige Helfer

Renate und Rudolf Kiefl aus Wolfratshausen stehen vor den Fotos im Ausstellungsbereich "Handlungsspielräume", der an acht Biographien zeigt, wie unterschiedlich Soldaten mit den ihnen erteilten Aufträgen umgegangen sind. Einerseits waren da Männer wie Schmid oder Erwin Leder, die Menschen halfen, andererseits gab es aber auch solche wie den Gendarmerieleutnant Rudolf Pallmann, der Frauen und Kinder erschießen ließ und nach dem Krieg wegen gemeinschaftlichen Mordes an 109 Menschen verurteilt wurde. Andere, die willfährige Helfer des Naziregimes waren, sind davongekommen, und das ärgert Rudolf Kiefl: "Wie schnell die wieder an der Macht waren", sagt er, und seine Frau ergänzt: "Oder die sind nach Südamerika mit Hilfe des Vatikans."

Das Ehepaar Kiefl beschäftigt sich "seit mindestens zwanzig Jahren" mit deutscher Geschichte und insbesondere dem Dritten Reich. Die beiden finden die Wehrmachtsausstellung "sehr interessant", nur "müsste man drei Tage Zeit haben, um das alles zu lesen". Rudolf Kiefls Vater "ist im Krieg geblieben", er selbst war zu jung, um eingezogen zu werden. "Mein Vater hat immer gesagt: ,Wehe, wenn die Deutschen mal das alles verantworten müssen, was sie angerichtet haben'."

Einiges davon ist im Stadtmuseum zu besichtigen: Die Bilder und Dokumente von den Massenexekutionen in Kamenez-Podolsk (Ukraine), wo die Einheiten des Höheren SS- und Polizeiführers Friedrich Jeckeln 23.600 Menschen umbrachten. Oder die Ermordung von 19.000 Menschen unter dem Kommando der 707. Infanteriedivision im westlichen Teil Weißrusslands. Kiefl hält es für "sehr positiv", dass die Untaten hier dokumentiert sind. "Und mich freut, dass sehr viel Jugendliche da sind."

Attacke von rechts

Soeben hat Brigitte Falk die Schulklasse verabschiedet, die sie zwei Stunden lang durch die Säle begleitet hatte. Eigentlich studiert die junge Frau in Leipzig Geschichte, aber zurzeit jobbt sie als Führerin in der Wehrmachts-Ausstellung. Das Interesse der Schüler sei groß, sagt sie, manche "sind erschüttert".

Manchmal spüre sie auch eine gewisse Abwehrhaltung, die man durch genaue Informationen meist überwinden könne. Einmal hatte sie in einer Klasse zwei Schüler, die trugen Bomberjacken und kurz geschorene Haare. Die beiden, das war bald klar, hatten sich vorgenommen, die Ausstellung von rechts zu attackieren. "Sie haben sie als einseitig bezeichnet, und einer wollte die Darstellung der Ruhmestaten der Wehrmacht sehen."

Das Interesse an der zweiten Wehrmachtsausstellung ist enorm. Vergangenen Sonntag wurden die Tore zeitweise geschlossen, weil andernfalls die Räume überfüllt gewesen wären. Seit der Eröffnung am 8. Oktober haben 35.000 Menschen die Ausstellung besucht. Darunter waren 140 Schulklassen, die sich beim Museums-Pädagogischen Zentrum für eine Führung angemeldet hatten.

Dabei ist es keineswegs einfach, die Fülle des Materials zu bewältigen. Eine unübersehbare Menge an Texten und Dokumenten liegt aus, wohingegen Bilder eher sparsam eingesetzt sind.

In München läuft die Diskussion persönlicher

Zweifellos ist dies eine Reaktion auf die Kritik an der Wehrmachtsausstellung von 1997, die nicht zuletzt in München zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt hatte. Heute sagt Jan Philipp Reemtsma: "Eine Reihe von Stilmitteln der ersten Ausstellung war für diese Debatte nicht gut. Zum Beispiel führten unkommentierte Bildsequenzen zu falschen Interpretationen."

Doch es gibt Menschen, die sind auch durch die beste Dokumentation nicht zu erreichen. Die möchten das Thema am liebsten totschweigen. Etwa fünfzig, meist anonyme Briefe hat das Stadtmuseum erhalten, und die klingen etwa so: "Was soll denn diese Wehrmachtsausstellung überhaupt? Wie hinreichend bekannt, haben sich Bubis und Reemtsma damals diese Ausstellung ausgedacht, um Hass und Unfrieden zu säen, in unserem Land, in den Familien...Damals durfte man nichts gegen Hitler sagen, heute nichts gegen Juden."

Regine Falk hat schon in Leipzig Schulklassen durch die Ausstellung geführt. "Dort waren die Reaktionen verhaltener", sagt sie. Das Interesse sei nicht so differenziert gewesen, auch habe es weniger Fragen und Zwischenrufe gegeben. "Hier in München wird die Diskussion persönlicher geführt."

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