Viehhofgelände:Wie der Bahnwärter Thiel die Münchner Subkultur am Leben hält

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Stillleben mit surfendem Elefanten: Der Bahnwärter Thiel hat sein Winterquartier gefunden. (Foto: Veranstalter)

Die Kulturstätte ist dorthin zurückgekehrt, wo alles begann: Im Viehhof überwintert sie in einer beeindruckenden Containerburg - und hat schon ein neues Quartier in Aussicht.

Von Rieke Wiemann

Betritt man in diesen Monaten das Viehhofgelände, scheint es, als hätte Daniel Hahn genug von Jahrmarkt und sich nunmehr der Seefracht gewidmet. Kein Zelt, keine Bude in Sicht. Wo sonst unter monströsen Discokugeln getanzt, gestaunt und geträumt wird, ist es stockdunkel. Einzig ein Elefantenjunges in Clownskostüm erinnert an den wundersamen Ort - es hat sich auf einen Kahn gerettet. Hinter ihm ragt eine Containerburg in die Höhe.

40 Meter breit und zehn Meter hoch ist sie, ein bisschen rostig. Einen Monat lang haben Hahn und die anderen vom Wannda-Verein gebraucht, sie aufzubauen. Was sich im Innern dieses grünblauen Ungetüms verbirgt, lässt nur ein Graffiti ahnen: "Bahnwärter Thiel" steht in weißen Druckbuchstaben auf einem der Frachtbehälter. Benannt nach der Gerhart-Hauptmann-Novelle, begeistert die mobile Kulturstätte - ein Zugwaggon aus den Fünfzigern - seit vergangenem Jahr die Stadt. "Neben dem Schall- dient die Containermauer vor allem auch als Wetterschutz", sagt der Münchner. Eine Art Winternest für den heiß geliebten Schienenbus also.

Dass es dafür auch ein paar Holzlatten getan hätten, weiß Hahn. Doch ihm ging es um mehr. "Mit diesem Projekt wollte ich eine gemütliche Atmosphäre rund um den Pavillon schaffen, den Gästen ein Gefühl von Geborgenheit geben." Ein bisschen verrückt sei die Aktion dennoch, gibt er zu und schmunzelt. Nicht nur, weil ihn allein die Container ein Vermögen gekostet haben. Auch des Transports wegen.

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Der 25-jährige Daniel Hahn hat auf dem Viehhof seine Vision eines Veranstaltungsortes verwirklicht. Für ein paar Monate zumindest.

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Für die Installation, in der sich die Besucher frei bewegen können, hat der 26-Jährige 54 Container aus dem Hamburger Hafen per Güterzug nach München verfrachten lassen. Auf Lastwagen ging es in Schneckentempo weiter Richtung Schlachthofviertel, wo es zweier Autokräne bedurfte, um sie zu stapeln. "Wir haben lange überlegt, ob wir das wirklich durchziehen sollen."

Da es vorerst seine letzte Möglichkeit war, Unternehmen dieser Größenordnung zu verwirklichen, hat sich das Team schließlich zu dem Wahnsinn entschlossen. Denn die Kulturschaffenden werden nie wieder das Gelände der alten Großviehhalle bespielen. Im Mai müssen sie hier alles abbrechen, dann weicht der Rummel dem Volkstheater.

Natürlich schwingt da Wehmut mit, sind doch viele von ihnen auf dem Platz groß geworden. "An diesem Ort hängen viele Erinnerungen." Doch Hahn wäre nicht Hahn, hätte er für sein Kulturprojekt nicht längst ein neues Quartier in Aussicht - zumindest ein temporäres. "Ich hoffe, dass wir noch mal vor die Hochschule für Film und Fernsehen dürfen", sagt er optimistisch.

Wie es danach weitergeht, verrät der Wannda-Gründer noch nicht. So viel steht fest: "Wir ziehen weiter." Unentwegt sucht er nach Plätzen, auf denen er seine Zelte aufschlagen kann. In München jedoch schwinden die brachen Flächen und mit ihnen verschwindet die Subkultur. Dabei wünscht er sich für den Bahnwärter Thiel, dem Vagabunden unter den Kulturstätten der Stadt, nichts mehr als einen Ort zum Bleiben - mit Werkstätten, Ateliers, Lagern und Tanzwiese. Das aber wäre keine Endstation. "Wir sehnen uns lediglich nach einer Basis. Wenn wir ein solches Zuhause finden, dann wird München um eine Sehenswürdigkeit reicher." Schlecht stehen die Chancen nicht, denn Hahn hat zwei Orte in Aussicht, für die er brennt.

Mit 16 Jahren hat er begonnen, Ausrangiertes aufzulesen. "Ich wollte funktionslosen Sachen neuen Sinn verleihen." So wurden aus einem Zirkuszelt zwei, hinzu kamen Telefonzellen, Schiffschaukeln, Kinosessel und andere Kuriositäten.

Seinen Zweck erfüllt sein Sammelsurium gerade beim Märchenbasar, einer Mischung aus Tollwood und Tim Burton. Versteckt hinter dem Containerklotz, lädt er noch bis Weihnachten zum Bummeln ein. Und auch im Bahnwärter Thiel geht es bunt zu: Lesungen, Tanzworkshops, Improtheater.

An diesem Dienstagabend lassen drei Stand-up-Comedians den Hut rumgehen, darunter der Kanadier Matt Devereux, der Motor der englischsprachigen Münchner Comedy-Szene. "Außerdem sendet Dublab jede Woche live aus dem Waggon." Den deutschen Ableger eines Radiosenders aus Amerika sieht Hahn als Alternative zum Mainstream. Neben elektronischer Musik spielen die Radiomacher auch Jazz oder Afrobeat.

Schnell füllt sich der Bahnwärter Thiel, wenn wöchentlich Straßenmusiker "Schienenbuskonzerte" geben - diesen Mittwoch um 20 Uhr zeigen D ie Libellen, was sie können. Die Pop-Band aus München singt auf Deutsch über Spiegel, Sehnsucht und SMS. Und bevor Sonntagabend um 19 Uhr Ken Loachs "It's a free world" auf der Leinwand läuft, gesellt sich Faulchen Fänther zum DJ-Set des Berliner Duos Soukie & Windish. Die, deren melodische Klänge sonst über die Fusion oder das Dockville tanzen, legen bis in die Morgenstunden im Pavillon auf. "Bald bekommt die Sub- auch Besuch aus der Hochkultur. Am 29. Dezember spielt der Pianist Zoran Imsirovic im Waggon." Dass Hahn seinen Flügel mit einem Kran mitten hinein in die Kulturstätte setzt, überrascht kein bisschen.

Bahnwärter Thiel , Tumblingerstraße 29, Infos zum Programm : www.bahnwaerterthiel.de, 45 21 50 63

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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