Vergewaltiger vom Brauneck:Die Jagd nach dem Phantom

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Die Sonderkommission ist zuversichtlich, den Vergewaltiger vom Brauneck zu finden - und ermittelt inzwischen wegen versuchten Mordes.

Susi Wimmer

7424 Spuren, 232 Speicheltests, 4977 verworfene Hinweise: Das ist der Fall des Vergewaltigers vom Brauneck in Zahlen. Ein "in dieser Dimension einzigartiges Procedere" und ein noch nie dagewesenes Tatgeschehen, das ist der Fall für Kriminalrat Bernd Putzer. Der Leiter der Sonderkommission "Leitenberg" jagt seit dem 25. November 2006 den Mann, der auf einer Wanderung im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen eine 67-jährige Münchnerin brutal vergewaltigt und sie hilflos an einen Baum gefesselt zurückgelassen hat.

Ein Phantombild der Polizei vom Täter. (Foto: Foto: Polizei/dpa)

Gleich nach der Tat fuhr der Mann kaltschnäuzig nach München und durchwühlte in professioneller Einbrechermanier die Wohnung seines Opfers. Wäre er nur zehn Minuten später aus der Wohnung in Obergiesing getreten, die Polizei hätte den Vergewaltiger noch am selben Tag verhaften können. Dass der Mann hier in München gewohnt oder gearbeitet hat oder sogar jetzt noch hier lebt, davon ist Bernd Putzer überzeugt. Ebenso wie von der Tatsache, dass der Täter früher oder später geschnappt wird. "Seine DNS-Spur ist in unserer Datenbahn. Das ist unser Riesen-Joker."

16 Polizisten der Direktion Weilheim sitzen in der Sonderkommission und arbeiten akribisch jeden einzelnen Hinweis ab. Zum einen etwa 400 Tipps, die seit der Tat aus der Bevölkerung an die Polizei herangetragen wurden; zum anderen werden 6500 Männer überprüft, die in ein bestimmtes Fahndungsraster fallen. "Das Raster ist beispielsweise auf Männer eines bestimmten Alters und einer bestimmten Größe beschränkt - und natürlich auf ein entsprechendes Vorleben", erzählt Putzer. Das heißt, die Personen sind aufgefallen als Sexualtäter, Räuber oder Einbrecher.

Verrutschte Obstschale

Profiler der Polizei stufen das Verhalten des Brauneck-Täters bei der Vergewaltigung als eher zögerlich ein, zumal er sein Opfer über eine Stunde lang durch den Wald gelockt habe. Später, in der Wohnung der Frau, sei er professionell vorgegangen. Keine durchwühlten und herausgerissenen Schubladen, kein einziger verwertbaren Fingerabdruck.

Ob der Mann Handschuhe trug oder ganz genau wusste, wie man Fingerspuren vermeidet, ist unklar. "Es ist überhaupt erst Tage später aufgefallen, dass der Mann in der Wohnung in Obergiesing gewesen sein muss", sagt Putzer. Da hatte die 67-Jährige in Begleitung der Polizei erstmals nach der Tat ihre Wohnung betreten und an Kleinigkeiten wie etwa einer leicht verrutschten Obstschale auf dem Küchentisch bemerkt, dass ein Fremder dort gewesen sein muss.

Obergiesing. "Der Täter hat ganz sicher einen Bezug hierher", sagt der Kriminalrat. An jenem 25. November sei er gegen 14.30 Uhr auf dem Berg in der sogenannten Roßgrube über sein Opfer hergefallen, habe Wohnungsschlüssel und Ausweis mit Adresse geraubt und sei dann nach dem Abstieg um 15.59 in die Oberlandbahn von Obergries nach München gefahren. Nach einer Stunde Fahrzeit, etwa 17 Uhr, kommt er in München an und muss dann eine winzige Straße in dem Viertel zwischen McGraw-Graben und Tegernseer Platz finden. Bereits gegen 17.40 Uhr wird er beim Verlassen der Wohnung in Obergiesing von einer Nachbarin beobachtet.

"Jemand der in München fremd ist, findet nicht so schnell zu dem Haus", ist sich Putzer sicher. Und dann versucht der Täter gleich am nächsten Tag um 7.47 Uhr früh, am Bankomaten an der TeLa-Post - ebenfalls in Obergiesing - mit der geklauten EC-Karte Geld abzuheben. Die Pin-Nummer, die er in der Wohnung seines Opfers fand, passt allerdings nicht zur Karte. Für die Polizei stellt sich nun die Frage, wo der Mann die Nacht verbracht hat. Hotels, Pensionen und Obdachlosenunterkünfte wurden abgeklappert - ohne Erfolg. Wohnt der Vergewaltiger also auch noch zufälligerweise in Obergiesing?

Tatsächlich führte eine von den über 7000 Spuren in das Viertel nahe dem alten 60er-Stadion. Ein 41-Jähriger Münchner fiel genau in das Verdächtigen-Raster und hatte auch noch ziemliche Ähnlichkeit mit dem Gesicht auf dem Phantombild. Ein entsprechendes Vorleben "und weitere Verdachtsmomente", wie Bernd Putzer sagt, führten dazu, dass der Mann befragt wurde.

Einen Speicheltest lehnte er kategorisch ab, außerdem wollte er die Polizei nicht in seine Wohnung lassen. Mit entsprechenden Vollmachten kamen die Ermittler dann doch noch in die Wohnung - und zu einem Kamm und einer Zahnbürste, um an das DNS-Material des Verdächtigen zu gelangen. Allerdings verlief auch diese Spur im Sande.

Ein Zufallsopfer

Wanderinnen, so meint Putzer, sollten jetzt generell nicht in Angst verfallen. Eine derartige Tat halte er einen wirklichen Einzelfall. Mittlerweile ist sich die Kripo ganz sicher, dass die 67-jährige Münchnerin, schlichtweg ein Zufallsopfer war. Wie sich herausstellte, hatte er am besagten Samstagmorgen in der Oberlandbahn zuvor eine andere Frau angesprochen.

67 Jahre alt, klein und zierlich - und alleine unterwegs. Er will sich ihr zum Wandern anschließen, ist freundlich und keineswegs aufdringlich, wie die Frau später der Polizei erzählt. Aber ein unergründliches "komisches Bauchgefühl" warnt sie. Sie erfindet einen Bekannten, der sie von der Bahn abholen will und steigt in Tölz aus.

Der Täter fährt weiter bis Obergries, treibt sich dort an der Haltestelle herum, bis der nächste Zug gegen 10.45 Uhr einfährt. Hier steigt die Frau aus Obergiesing aus. 67 Jahre alt, klein und zierlich und alleine. Schon am ersten Wegweiser spricht er sie an, zufällig hat man dieselbe Tour nach Längental vor. Sie gehen zwar nicht nebeneinander, sondern er geht meist voraus und bleibt fast immer in Sichtkontakt.

Nach etwa einer Stunde reißt er unbemerkt einen Wegweiser aus dem Boden. Das Schild zeigte geradeaus. Er wartet auf die Wanderin und winkt nach links: "Hier geht der Weg lang." Die Frau folgt ihm in den Bereich des Leitenbergs. Eine verlassene Gegend, in die sich kein Wanderer verirrt, aber der Täter scheint sie zu kennen. Auf einem Hochplateau, wo Bäume auf einer Länge von etwa 20 Meter abgeholzt wurden, wartet er auf sie. Erst als sie fast vor ihm steht, zieht er ein Messer.

"Ich will Geld", sagt er in bayerischem Dialekt. Die Frau muss den Rucksack ablegen, sich halbnackt ausziehen. Er fesselt ihr die Hände mit Handschellen auf den Rücken und wickelt ihr ein knallrotes Industrieklebeband (innen mit Gitterstruktur, Dragon-Faser und grauem Spezialkleber) wie einen Kopfverband um Augen und Mund. Dann schleift er sie ins Unterholz, vergewaltigt sie brutal, zieht sie etwa 75 Meter weiter ins Gehölz und kettet sie mit einer Handschelle an einen Wurzelausläufer.

Danach lässt er die Frau völlig hilflos zurück. Sie kann das Klebeband nicht entfernen. Sie sitzt halbnackt, auf etwa 1000 Metern Höhe, in einer gottverlassenen Gegend bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. "Er hat den Tod der Frau billigend in Kauf genommen, deshalb ermitteln wir auch wegen versuchten Mordes und Vergewaltigung", sagt Bernd Putzer.

Nur zehn Minuten zu spät

Ein Jäger, der zufällig an diesem Tag noch durch sein Revier streift, entdeckt einen knallroten Fleck im Unterholz. Er denkt an einen Waldarbeiter mit Helm, der sich vielleicht verletzt hat und sieht schließlich die Frau. Die gerät in Panik, denkt, ihr Peiniger kommt zurück, um sie zu töten. Minutenlang redet der Jäger auf sie ein, bis er ihr schließlich mit seinem Messer das Spezialklebeband vom Kopf reißen kann.

Bis er ebenfalls mit seinem Jagdmesser den Wurzelstock angesägt und die Frau befreit hat, vergeht erneut Zeit. Mit dem Handy die Polizei zu rufen geht auch nicht, dort auf dem Berg funktioniert kein Netz. Er steigt mit der Frau bergab. Bis schließlich der Notruf bei der Polizei eingeht, ist es 16 Uhr.

Um 17.53 Uhr fährt ein Streifenwagen vor der Obergiesinger Wohnung vor, da hat der Täter zehn Minuten vorher das Haus verlassen. Mit 20 Euro Bargeld, Familienschmuck und EC-Karte. Dass ausgerechnet der Bankomat an der TeLa-Post keine Überwachungskamera hat, ist ebenso Pech für die Polizei. Dass der Täter nur einmal versucht, mit der geklauten Karte Geld abzuheben, schreibt die Polizei seiner einschlägigen Erfahrung zu.

Trotzdem: Kriminalrat Bernd Putzer bleibt Optimist. Am 29. März berichtet "Aktenzeichen XY ungelöst" über den Fall, außerdem gibt es noch etwa 2500 Spuren abzuarbeiten. Irgendwann, das weiß er, wird der Fall aufgehen. "Uns reicht ein Anruf" - dann ist der Vergewaltiger vom Brauneck ein für allemal gefasst. Ein Wunsch, den wohl auch sein Opfer haben dürfte: Die 67-jährige Frau hat München verlassen, lebt bei ihrer Tochter in Norddeutschland und ist in therapheutischer Behandlung. Ihre Wohnung wird sie nicht wieder betreten.

© SZ vom 8.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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